Oberst Dr. Winfried Heinemann: Wir wollen Bundeswehrsoldaten, die um die moralische Dimension ihres Tuns wissen
Archivmeldung vom 24.11.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIst der "Wüstenfuchs" Erwin Rommel ein vorbildlicher Vertreter der deutschen Militärgeschichte? Was kann die Bundeswehr bewahren? Gerade in Zeiten einer sich wandelnden Truppe brauchen Soldaten Vorbilder. "Männer des militärischen Widerstands lassen die moralische Dimension erkennen, die dem Beruf erst Sinn gibt", meint Oberst Dr. Winfried Heinemann vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam.
Brauchen Soldaten Helden als Vorbilder?
Oberst i.G. Dr. Winfried Heinemann: Nein, sie brauchen keine Helden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut als Vorbilder.
Genügt Soldaten der aktuelle Auftrag, um den Sinn ihres Dienstes zu sehen?
Oberst Dr. Heinemann: Ein Auftrag ist ein Auftrag und Sinn ist Sinn: Ein Auftrag ist lediglich der Befehl, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Der Sinn des Dienstes liegt tiefer: der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Die Bundeswehr hat eine 57-jährige Geschichte. Bietet diese Ära nicht genug Stoff, um eine eigene Tradition zu begründen?
Oberst Dr. Heinemann: Die Geschichte der Bundeswehr - gerade im Kalten Krieg - bietet in der Tat genug Anknüpfungspunkte für eine Tradition. Wenn die Soldaten ihre Vorbilder aber auch in anderen Epochen der deutschen Geschichte suchen, ist das in meinen Augen auch nicht unanständig. Wir können deutsche Geschichte nicht auf die Jahre nach 1945 reduzieren. Aber wir müssen in all diesen Epochen sehr sorgfältig auswählen.
200 Jahre war beispielsweise höchst umstritten, ob man von Clausewitz etwas lernen könne. Heute studieren Generalstabsoffiziere an den Führungsakademien der Bundeswehr wieder "Vom Kriege". Was hat sich geändert?
Oberst Dr. Heinemann: Es hat sich in den vergangenen 50 Jahren nicht allzu viel geändert, wenn man die wesentliche Aussage Clausewitz' darin sieht, dass Krieg eine Fortsetzung der Politik ist, das heißt, dass Krieg eine politisch kontrollierte Sache ist. Das ist gute alte deutsche Militärtradition, die zur Zeit des Dritten Reiches in Vergessenheit geraten ist, weil damals Krieg völlig entgrenzt worden ist. Von daher ist die Rückbesinnung auf Clausewitz eine Rückbesinnung auf das Primat der Politik, wie es das Grundgesetz ohnehin vorsieht. Von daher ist das kein schlechter Trend.
Ist Krieg als Fortsetzung der Politik mit speziellen Mitteln auch deswegen nicht mehr verpönt, weil sich die Abschreckungsarmee in eine Interventionsarmee wandelt?
Oberst Dr. Heinemann: Die Bundeswehr ist keine Innovationsarmee und wandelt sich auch nicht in diese Richtung. Sie ist nach wie vor ein Instrument von Politik. Die muss sich heute anderen Bedrohungen stellen als vor 30 Jahren. Deshalb wandelt sich auch der Auftrag für die Bundeswehr. Das ändert aber nichts daran, dass die Bundeswehr letztlich Teil der staatlichen Sicherheitsvorsorge ist.
Reicht der Rückgriff auf die friedensbewahrende Rolle im Kalten Krieg wegen der aktuell völlig anderen Aufgaben nicht mehr aus, um sich als Teil einer Tradition zu sehen?
Oberst Dr. Heinemann: Wir dürfen Tradition nicht auf Vorbilder reduzieren, wenn es auch dazugehört, sie mit Namen zu verknüpfen. Aber die Bereitschaft, sich als Staatsbürger ganz für dieses Land einzubringen, sich auch massiv am Sicherheitsdialog zu beteiligen - wie das die Bundeswehr in den 80er-Jahren getan hat, als dies ein sehr kontroverses Thema war --, ist auch Teil der Tradition. Es ist ebenso Teil der Tradition, dass sich Soldaten in ihren Standorten aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen. Aber obwohl ich Traditionspflege nicht nur an Namen knüpfen möchte, gibt es Personen gerade aus dieser Zeit, die Vorbildfunktion haben können: Da sind die Väter der Philosophie der inneren Führung: Wolf Graf von Baudissin und Ulrich de Maizière. Da sind die ersten Verteidigungsminister, die die Bundeswehr geprägt haben: Theodor Blank und Franz Josef Strauß. Aber auch andere wie der Generalinspekteur Admiral Armin Zimmermann, der im Dienst starb.
Soldaten wollen sich gerne als Teil einer langen Generationenfolge von Soldaten sehen, denen sie sich verbunden fühlen. Verhindern Hitlers Kriege eine derartige Selbstdefinition?
Oberst Dr. Heinemann: Die Erfahrung der verbrecherischen Kriege, die von Deutschen geführt wurden - es ist nicht Hitler alleine gewesen, der Verbrechen verübte -, macht es sicher schwerer, unbefangen militärische Traditionen zu pflegen. Aber wir haben vor 1933 und vor 1914 vorzeigbare Elemente in der deutschen Militärgeschichte, an die wir anknüpfen können. Nehmen wir etwa Clausewitz, Scharnhorst und die anderen preußischen Reformer: Natürlich waren sie keine Anhänger der parlamentarischen Demokratie. Trotzdem waren sie in ihrer Zeit vorbildlich. Darauf können sich auch heutige Soldaten beziehen.
Ist es nicht willkürlich, sich ausschließlich in der Tradition der Widerstandskämpfer in Uniform zu sehen?
Oberst Dr. Heinemann: Das tut die Bundeswehr schon seit 1955, ganz bewusst - aber dennoch ist es nicht willkürlich. Denn die Bundeswehrführung ist sich in all den Jahren bewusst gewesen, dass man mehr braucht als nur den konkreten Auftrag, nämlich einen konkreten Sinn. Das heißt, dass man in seinem Beruf auch eine moralische Dimension erkennen können muss. Und dafür stehen Männer wie Stauffenberg und Hans Scholl, der auch Soldat war. Das sind geeignete Vorbilder für die Bundeswehr.
Andere Namen sind umstritten: Kasernen dürfen seit 2005 nicht mehr nach dem hochdekorierten Jagdflieger Mölders benannt werden. Welche Kriterien müssen Vorbilder für die Bundeswehr erfüllen?
Oberst Dr. Heinemann: Zwar müssen Soldaten auch aus ihrer Zeit heraus begriffen werden. Dennoch darf man nicht übersehen, dass Soldaten, die im Dritten Reich gedient haben, ihr Engagement, ihre taktisch-operativen Fähigkeiten und ihre Tapferkeit in den Dienst einer verbrecherischen Sache gestellt haben. Und das entwertet ein Stück weit die Vorbildfunktion solchen Handelns. Wir wollen keine Soldaten, die sich bedingungslos jedem denkbaren Auftrag zur Verfügung stellen. Wir wollen Soldaten, die wissen, dass ihr Handeln moralisch rückgebunden ist. Deshalb können Soldaten, die sich unmoralischen Aufträgen bedingungslos zur Verfügung gestellt haben, keine Vorbilder für Soldaten der Bundeswehr sein.
Die Grenze zwischen Schwarz und Weiß verläuft oft fließend. Über Erwins Rommels Nähe oder Distanz zum Nationalsozialismus wird derzeit diskutiert. Welchen Sinn macht Traditionspflege, die von neuen Historikerfunden ad absurdum geführt werden kann?
Oberst Dr. Heinemann: Traditionspflege wird heute nicht durch Aktenfunde von Historikern ausgehebelt. Sie haben das Beispiel Mölders genannt: Wir wissen über Mölders heute nicht wesentlich mehr als 1973, als Bundespräsident Heinemann zugestimmt hat, das Jagdgeschwader 74 nach Mölders zu benennen. Was sich verschoben hat, sind die Werte. Wir leben in einer Welt des schnellen Wertewandels - und Tradition ist wertebezogen. Dazu müssen wir stehen. Dinge werden heute anders bewertet als noch vor Jahrzehnten. So wurde 2005 entschieden, dass ein Mitglied der Legion Condor nicht als Namensgeber für die Bundeswehr taugt. In Sachen Rommel nehme ich eine eigene Position ein: Natürlich ist der "Wüstenfuchs" auch eine Propandagestalt gewesen. Würde sich seine Rolle darin erschöpfen, wäre ich auch der Meinung, dass Rommel kein Traditionsträger für die Bundeswehr sein kann. Aber Rommel war jemand, der am Ende seiner Karriere und seines Lebens begriffen hat, dass sein hoher Rang als Generalfeldmarschall von ihm verlangt, jetzt tätig zu werden und den Krieg im Westen zu beenden. Dafür traf er konkrete Vorbereitungen. Grund genug für Hitler, Rommel zum Selbstmord zu zwingen. Das, finde ich, macht ihn schon traditionswürdig. Aber bei Rommel kann man natürlich auch mit Fug und Recht anderer Auffassung sein. Das ist aber entscheidend: Soldaten diskutieren letztlich den Wertebezug ihres Berufes, wenn sie analysieren, ob ein so ambivalenter Offizier zum Vorbild taugt.
Inwieweit prägen Traditionen auch die Strategie?
Oberst Dr. Heinemann: Das Auftragswesen als Führungsprinzip ist selbstverständlich deutsche Militärtradition. Die Weiterentwicklung der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz hat auch auf dieses Führungsprinzip Auswirkungen, steht zum Teil auch im Spannungsverhältnis dazu. Aber das ist mehr als Tradition, weil dieses Prinzip auch einen Wertebezug hat: Es nimmt den unterstellten Soldaten als Person ernst und ermöglicht ihm eigenständige Entscheidungen. Gleichwohl ist es auch einfach ein Element militärischer Führung, weil es letztlich bei einem unübersichtlichen Gefechtsgeschehen zweckmäßig und sinnvoll ist.
Angelsächsische Historiker vergleichen die Kampfkraft der Wehrmacht mit anderen Armeen und loben diese - wobei sie dabei deren Rolle im Vernichtungskrieg ausklammern. Vermissen Bundeswehrsoldaten die Unbefangenheit in der Traditionspflege?
Oberst Dr. Heinemann: Mag sein, dass sie diese Unbefangenheit vermissen. Wir können aber mit der deutschen Militärgeschichte nicht so unbefangen umgehen wie andere Nationen. Wir müssen sehr kritisch hinterfragen, was wir als positiv besetzt aus der deutschen Militärgeschichte auswählen.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg - Das Interview führte Joachim Zießler (ots)