Experte Saurugg: Gesundheitseinrichtungen kaum auf Blackout vorbereitet
Archivmeldung vom 08.11.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.11.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićIm ersten Teil sprach Wochenblick mit Herbert Saurugg über die Einsatzfähigkeit der Blaulichtorganisationen. Die Vorbereitungen habe man begonnen. Für einen jetzigen flächendeckenden Strom- und Versorgungsausfall sei man noch nicht vorbereitet, erklärte der Experte. In diesem Teil unseres Interviews spricht Herbert Saurugg über die Lage der Gesundheitseinrichtungen und die Vorbereitung der Bürger in den Gemeinden.
Den ersten Teil des Interviews finden Sie hier! Das Interview mit Herbert Saurugg führte Birgit Pühringer vom Magazin "Wochenblick:
Wir reden hier von einem Stromausfall, der in Österreich rund
einen Tag dauern könnte. Wie kann man sich darauf vorbereiten und
einstellen?
Zuerst einmal müssen sich die Menschen darauf einstellen, dass es
überhaupt zu einem Blackout kommen kann. Dann ist es wichtig, sich
bewusst zu machen, dass auch nach dem Stromausfall noch länger keine
Normalität herrschen wird. Selbst ein nur eintägiger Stromausfall hätte
enorme Schäden zur Folge. Die Tragweite und die langen
Wiederanlaufzeiten sind für viele nicht vorstellbar. Die Vorbereitung im
Kleinen, also jeder Haushalt für sich selbst, ist enorm wichtig. Es
gibt keine Alternative zur Vorbereitung und Vorsorge. Selbst in der
kleinsten Wohnung findet sich ein Platz, um einen Vorrat an notwendigen
Lebensmitteln und Medikamenten für mindestens zwei, noch besser drei
Wochen, anzulegen. Man muss andere Prioritäten setzen.
Was ist, wenn das Ganze länger dauern sollte?
Je länger ein großflächiger Stromausfall dauert, desto länger wird
der Wiederaufbau dauern. Allein in den ersten Stunden sterben
wahrscheinlich Millionen Tiere in Europa. Das zieht einen enormen
Rattenschwanz nach sich. Die Produktion steht still. Das komplette
Wirtschafts- und Finanzsystem bricht ein. Es ist eben nicht nur der
Strom, der ausfällt, sondern auch die Telekommunikation, IT, Logistik
und damit die komplette Versorgung. Bei einem europaweiten Blackout wird
nicht nur Europa betroffen sein. Dieses Ereignis wird einen globalen
Schock in den Lieferketten auslösen. Denn Wirtschaft und Finanzsystem
greifen weltweit ineinander. Wir werden uns danach deutlich einschränken
und regional versorgen müssen. Ein kleineres Produktsortiment bedeutet
eine große Umstellung. Wenn wir uns bereits jetzt darüber Gedanken
machen, mit weniger ein gutes Leben führen zu können, wird unser
Konsumverhalten einen anderen Stellenwert bekommen. Das muss gar nicht
so negativ sein, wie es im ersten Moment klingen mag. Es wird anders.
Und wir können uns anpassen. Je besser wir uns darauf einstellen und
vorbereiten, desto krisenfitter sind wir. Ein Kollaps dient in der Natur
dazu, dass etwas Neues entstehen kann. Vielleicht stehen wir vor einer
solchen Umbruchsphase.
Gemeinden haben eine wichtige Rolle
Wir hatten bereits die Blaulichtorganisationen. Wie müsste
die Vorbereitung auf einen Blackout in den Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen aussehen?
In Krankenhäusern muss frühzeitig mit der Triage begonnen werden.
Die Versorgungsgüter reichen nicht für einen zweiwöchigen Notbetrieb
aus. Für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen gilt: Jeder Patient, der
zu Hause Betreuung hat, sollte entlassen werden. Die Versorgung
schwerster Fälle kann nur für eine gewisse Zeit gewährleistet werden,
wenn der restliche Betrieb auf das Notwendigste heruntergefahren wird.
Medizingüter, Medikamente und Nahrung müssen ebenfalls für zumindest
zwei Wochen vor Ort zur Verfügung stehen, da so gut wie sämtliche
Produktion und Zulieferung stillstehen wird. Das ist derzeit nicht
gewährleistet. Auch der Personalwechsel ist ein kritischer Punkt. Damit
das Krankenhaus- und Pflegepersonal längerfristig einsatzfähig bleibt,
muss ein Schichtbetrieb für mindestens 14 Tage eingeteilt werden. Sonst
ist mit chaotischen Zuständen zu rechnen. Deshalb ist es unerlässlich,
das Personal wie in allen Organisationen und Unternehmen vorzubereiten.
Wer zu Hause in der Krise steckt und ums Überleben kämpft, wird nicht
zur Arbeit kommen. Aber auch die dezentrale Notversorgung durch
niedergelassene Ärzte und Apotheken muss vorbereitet werden, um die
Krankenhäuser zu entlasten. Dazu braucht es aber eine gemeinsame
Vorbereitung. Hier hätten die Gemeinden eine wichtige Rolle, um das
Ganze zu orchestrieren und jetzt vorzubereiten.
Wie könnte der Schutz in den Gemeinden während eines
großflächigen Stromausfalles aussehen? Die Polizei wird alle Hände voll
zu tun haben. Welchen Beitrag können die Bürger leisten?
Laut einer Umfrage des Landes gibt es in Oberösterreich 170
Gemeinden ohne Notstromversorgung für die Wasserversorgung.
Katastrophal, kann man nur sagen. Wenn die Wasserversorgung ausfällt,
wird es rasch kritisch. Dies zu vermeiden muss oberste Priorität haben.
Bis zum letzten Haus ist eine derartige Versorgung aber unfinanzierbar.
Das müssen die betroffenen Menschen wissen, um sich vorbereiten zu
können. Zudem ist es wichtig, dass sich einzelne Akteure bereits im
Vorfeld auf ein derartiges Krisenszenario vorbereiten, sich vernetzen
und dezentral Hilfe leisten. Dazu bedarf es auch sogenannter
„Selbsthilfe-Basen“, also dezentrale Anlaufstellen, wo Notrufe abgesetzt
werden können und eine Selbsthilfe organisiert wird. Ich denke da
beispielsweise an den Schutz von Supermärkten. Den müssen die Bürger
selbst übernehmen und die Hürden höher setzen, um gewaltsame Übergriffe
so lange wie nur möglich hinauszuschieben. Sonst kippt die Situation.
Vorsorge für 14 Tage unverzichtbar
Wie kann man sich Selbsthilfe-Basen vorstellen?
Das können Schulen, Wahllokale, Vereinshäuser sein, wo es eine
gewisse Grundstruktur gibt. Menschen brauchen in Krisensituationen
Struktur. Es braucht einen Verantwortlichen, der den Grundbetrieb mit
der Bevölkerung organisiert, um die Anlaufstelle rund um die Uhr
besetzen zu können. Ideal wäre eine Funkverbindung zur
Gemeindeeinsatzleitung oder zu Einsatzorganisationen, um Notrufe rasch
weiter zu leiten. Die Menschen müssen zusammenhalten und sich
organisieren, um Eskalationen, Übergriffe und Gewalt möglichst lange
hinauszuschieben. Diese Krise wird eine Herausforderung ungeahnten
Ausmaßes.
Können Sie abschließend sagen, wie europaweit die Kraftwerke hochgefahren werden?
Es gibt Notfallpläne. Jedes Land beginnt mit einem solchen
Schwarzstart und dann werden die Teilnetze wieder nach und nach
zusammengeschaltet, wo jedoch noch immer etwas schief gehen kann. Dann
würde es zu einem neuerlichen Ausfall kommen. Bei den österreichischen
Netzbetreibern bin ich zuversichtlich, dass diese gut vorbereitet sind.
Die APG, die Austrian Power Grid, gibt in Österreich den Startschuss für
das Hochfahren. Europaweit werden Österreich und die Schweiz
wahrscheinlich die ersten Länder sein, die ihre Kraftwerke wieder
hochfahren können. Aber in vielen anderen Bereichen gibt es
internationale Abhängigkeiten, womit die Vorsorge für zumindest 14 Tage
unverzichtbar bleibt."
Quelle: Wochenblick