Plutoniumunfall in Cadarache - nicht mehr als eine "Wasserflasche"
Archivmeldung vom 24.10.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBeim Abbau der seit mehr als 40 Jahren vom französischen Zentrum für Atomenergie (CEA) betriebenen Atomanlage in Cadarache sind in einem abgedichteten Behälter (Handschuhkasten,[1]) der Anlage für die Herstellung von MOX-Brennelementen[2] 22 Kilo Plutoniumstaub entdeckt worden (das CEA schätzt die Gesamtmenge sogar auf 39 Kilo). Dies teilte die Atomaufsichtsbehörde (ASN) in Paris mit. Die Betreiber hatten den Bestand auf lediglich 8 Kilo geschätzt.
Diese MOX-Anlage gehört zum CEA und wird seit 2008 von AREVA abgebaut. Die Rohstoffe kamen dort als Pulver (Plutonium- oder Uranoxid) an und verließen die Anlage in Form von MOX-Metallplättchen. Jedes Jahr passierten 1 bis 3 Tonnen Plutonium diese Fabrikhalle, was über die gesamte Laufzeit 350 Tonnen bedeutet. Die Anlage wurde im Jahr 2003 stillgelegt, und von 2008 an abgebaut. Bei der Arbeit mit den 450 Handschuhkästen wurden viele Aufgaben manuell getätigt. Während des Abbaus werden die Plutoniumablagerungen abgesaugt oder mit einem Kratzer entfernt. Diese langlebigen Abfälle mit hoher bzw. mittlerer Radioaktivität werden unter streng vorgegebenen Bedingungen behandelt. Bislang wurden bereits 200 der 450 Handschuhkästen zurückgebaut.
Diese Fehleinschätzung der Plutoniummenge (zunächst 8 kg, dann 22 kg
und schließlich 39 kg) ist auf die Dichte des Stoffes zurückzuführen.
22 Kilo Plutonium entsprechen dem Volumen einer Wasserflasche. Es war
des Weiteren über eine große Fläche verteilt (10 m2 pro Kasten) und 40
dieser 450 Handschuhkästen enthielten außerdem den höchstmöglichen
Plutoniumgehalt.
Bei der Herstellung von MOX ging ein Teil des Stoffes während des
Verfahrens verloren und verschwand in den Ecken. Dies musste ganz genau
erfasst werden. Während des Betriebs waren die Handschuhkästen
permanent an eine Saugleitung angeschlossen, so dass selbst im Fall
eines Lecks die Luft nach Innen und nicht in Richtung der Mitarbeiter
geleitet wurde. Die Kästen wurden regelmäßig mit einem Absauggerät
gereinigt, was mit Wischtests (Wattestäbchen) überprüft wurde. Dennoch
konnte sich während des 40jährigen Betriebs der Anlage eine bestimmte
unerreichbare Pulvermenge in der Einrichtung (Waage, Presse,
Zuschnittmaschinen) bzw. in den Zwischenräumen festsetzen. Aufgrund der
Dichte des Plutoniums sind 40kg Plutonium nicht unbedingt mit bloßem
Auge erkennbar.
Die ASN ordnete an, die Abbauarbeiten an der Anlage umgehend einzustellen. Es herrscht Gefahrenstufe zwei auf einer internationalen siebenstufigen Skala. Große Mengen Plutonium am selben Ort können zu einer gefährlichen Kettenreaktion führen", sagte Alain Delmestre, Vizechef der ASN. In einem solchen Fall könnten Menschen tödlich verstrahlt werden. Die Atomaufsichtsbehörde wirft dem Betreiber CEA vor, den Zwischenfall nicht rechtzeitig gemeldet zu haben. "Es sieht so aus, als ob der Fund schon im Juni bekanntgeworden sei, aber wir erst im Oktober informiert wurden", sagte Delmestre. Der Fall sei aus diesem Grund der Staatsanwaltschaft übergeben worden.
Begriffsdefinition:
[ 1] Handschuhkasten: vollständig abgedichtete Plexiglasbehälter, die
das für die MOX-Herstellung nötige Plutonium und Uran enthalten. Beim
Umgang mit diesen beiden gefährlichen Materialen agieren die
Mitarbeiter mit Handschuhen und sind durch eine durchsichtige Wand
gegen radioaktive Strahlung geschützt.
[2] MOX: MOX-Brennelemente, die aus Urandioxid UO2 und Plutoniumdioxid
PuO2 bestehen, werden heute in verschiedenen Ländern (vor allem in
Frankreich und Deutschland, aber auch in der Schweiz und Belgien) in
Kernreaktoren eingesetzt, um das bei der Wiederaufbereitung abgetrennte
Plutonium zu verwerten und dabei gleichzeitig für Kernwaffen weitgehend
unbrauchbar zu machen.
Quelle: Französische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland