Walter Kreische: „Menschen können sich das nackte Leben nicht mehr leisten“
Archivmeldung vom 18.10.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićImmer mehr Menschen leiden unter den enormen Teuerungen und Preisexplosionen. Der Schritt in die Armut ist dann nicht mehr weit. Armut und Obdachlosigkeit sind aber Themen, die nicht so recht in unsere hochgelobte Wohlstandsgesellschaft passen. Und trotzdem gibt es Obdachlose, Wohnungslose und eben auch immer mehr Menschen, die in Armut leben. Wir verschweigen dieses Thema nicht. Wochenblick traf Walter Kreische, den Obmann der Obdachlosenhilfsaktion.
Weiter berichtet das Magazin: "Immer mehr Bedürftige in unserem Land
Jeden Donnerstag steht der 59-Jährige mit seinem Bus in Linz in Bahnhofsnähe. Beim alten Busterminal verteilt er mit seinem Team Lebensmittel, Hygieneartikel und Kleidung an arme und bedürftige Menschen. Für diese Menschen ist Walter Kreische ein Rettungsanker, wie er erzählt: „Wir werden immer schon sehnsüchtig erwartet. Wir bekommen so viel Dankbarkeit und immer wieder hören wir: Wenn es euch nicht gäbe, gäbe es uns nicht mehr! Das berührt mich wirklich sehr und ist auch der Motor, um weiterzumachen.“ Allein in Linz gibt es, so der engagierte Linzer, fast 400 Obdachlose. Diese Menschen leben auf der Straße und haben keine Möglichkeit zu einem Schlafplatz bei Familie oder Freunden. In ganz Österreich seien es rund 27.000 Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind.
Am Verteil-Donnerstag, der Kreische ein besonderes Anliegen ist, sieht der Helfer immer neue Gesichter in Oberösterreichs Landeshauptstadt. „Es ist erschreckend, die Armut nimmt rasant zu. Es kommen immer neue Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Wir erhalten täglich Nachrichten und Anrufe mit verzweifelten Hilferufen. Viele können sich das nackte Leben nicht mehr leisten. Menschen, die bereits vor den Teuerungen einen Zweitjob hatten, um über die Runden zu kommen, bräuchten jetzt einen dritten und vierten Job. Es steht uns eine furchtbare Zeit bevor“, nennt Kreische die Dinge beim Namen. Von der Kurzarbeit hätten sich viele Arbeitnehmer nicht mehr erholt. Viele seien gar arbeitslos. Ein finanzielles Polster habe sich kaum einer anlegen können.
Für den Winter nicht gerüstet
Jetzt steht aber erst der Winter vor der Tür. Das wirtschaftliche Desaster hat an Fahrt aufgenommen, die Stromkosten explodieren. Auch die Güter des täglichen Bedarfs sind für viele nicht mehr erschwinglich. Kreische versorgt nicht nur Menschen auf der Straße. Mit seinem Verein beliefert er zusätzlich fast 40 Einrichtungen wie Notschlafstellen, Frauenhäuser und Übergangswohnheime in Oberösterreich, Salzburg, Wien und Graz. Insgesamt können rund 4000 Menschen auf die Hilfe von Walter Kreische zählen. Sorgenvoll blickt der Linzer in die Zukunft.
„Denn“, so der Obmann der Obdachlosenhilfsaktion, „die Spenden stagnieren seit 15 oder 16 Wochen enorm. Die Spenden gehen an die Ukraine-Hilfe, das wurde mir von dortigen Mitarbeitern direkt so gesagt. Wir bekommen derzeit nicht ausreichend Spenden, weshalb wir künftig die Anzahl der Einrichtungen drastisch reduzieren müssen. Auch, wenn es uns schwerfällt, aber wir können nicht mehr alle Einrichtungen beliefern.“ Spender sind sowohl Firmen als auch Privatpersonen. Dringend benötigt werden Sachspenden wie haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel und warme Kleidung für das Leben auf der Straße. Auch über Geldspenden und Retourwaren von Firmen freut sich das Hilfsprojekt.
Auf der Homepage kann man sich über die Initiative und benötigte Spenden informieren oder direkt spenden. Schon im letzten Jahr gingen die privaten Spenden zurück, weil viele Menschen in Kurzarbeit waren. „Es war ihnen schlichtweg finanziell nicht mehr möglich, Spenden zu bringen. Durch die stagnierenden Spenden sind wir für den kommenden Winter leider nicht gerüstet. Wir brauchen dringend Spenden, um die Menschen weiter versorgen zu können.“, sagt Walter Kreische. Mit einer Lieferung an alle Einrichtungen ist das große Lager in Ansfelden fast leer.
Für die Versorgung durch die Obdachlosenhilfsaktion gibt es klare Einkommensgrenzen. Ein Einkommensnachweis muss vorgelegt werden. In der Regel sind es Menschen, die monatlich nicht mehr als 200 bis maximal 600 Euro zur Verfügung haben.
Obdachlose sind kein „Gsindel“
Vor gut 10 Jahren hat der 59-jährige Linzer die Obdachlosenhilfsaktion „als kleine „Privatinitiative“, wie er sagt, gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin gegründet. Vor 6 Jahren wurde aus der Privatinitiative ein Verein, der sich rein durch Spenden finanziert und von mehr als 25 ehrenamtlichen Helfern getragen wird. Vom Staat bekommt Kreische keinerlei Unterstützung. Der Verein sei nicht förderwürdig, wie man dem Vereinsobmann im Jahr 2017 schriftlich mitteilte. Es ist kaum an Absurdität zu überbieten, dass Kreische und seine damalige Lebensgefährtin im selben Jahr für ihren Verein mit dem Ehrenamtspreis ausgezeichnet wurden.
Großteils sind es Frauen, die ihr Engagement in den Dienst der bedürftigen Menschen stellen, sagt der Linzer: „Bei unseren Verteilaktionen und den Lieferungen unterstützen uns Pensionistinnen, aber auch Frauen, die noch berufstätig sind. Ohne diese tollen Helferlein wäre unser Projekt nicht möglich.“ Dass ihm obdachlose und bedürftige Menschen so am Herzen liegen, hat einen besonderen Hintergrund. Der 59-Jährige weiß wie es ist, obdachlos zu sein und den Halt in seinem Leben zu verlieren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er abwechselnd in einer Pflegefamilie und im Erziehungsheim, erzählt der Linzer.
Als 18-jähriger Bursche sei er aus dem Linzer Erziehungsheim auf die Straße gesetzt worden und lebte danach mehr als drei Wochen auf der Straße. „Diese Zeit hat sich in mir festgebrannt. Ich weiß, wie es diesen Menschen geht. Ich will für sie da sein“, sagt Walter Kreische und kritisiert scharf, dass das Gros der Gesellschaft Obdachlose als „Gsindel“ bezeichnet: „Diese Menschen sind kein Gsindel. Das sind unsere Mitmenschen – alle mit einem Leben! Sie sind irgendwo an einer Lebensampel falsch abgebogen. Wenn du dann niemanden hast, der dich auffängt, bist du im freien Fall und kommst alleine nicht mehr raus.“
Quelle: Wochenblick