Minentaucher aus Eckernförde stellt neuen Tieftauch-Rekord auf
Archivmeldung vom 15.08.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittObermaat Andreas Güldner hat einen neuen deutschen Rekord im Tieftauchen aufgestellt. Der 22-Jährige schaffte im ägyptischen Dahab eine neue Rekordtiefe von 71 Metern bei seinem Tauchgang mit Flossen, auch "Constant Weight with Fins" genannt.
Dabei handelt es sich um die Königsdisziplin im Apnoetauchen. Der Freitaucher taucht dabei aus eigener Kraft und ohne Hilfe eines Zuggerätes in die Tiefe und auch aus eigener Kraft wieder hinauf an die Oberfläche.
Andreas Güldner sitzt im "Taucherkeller", einem Gemeinschaftsraum im zweiten Obergeschoss der Minentaucherkompanie in Eckernförde. Der 22-Jährige ist gut gelaunt, ist Bootsmannanwärter der Deutschen Marine - die Freude seines Berufes ist ihm anzumerken. In der vergangenen Woche hat der ledige Marinezeitsoldat im ägyptischen Dahab - das liegt auf der Sinai-Halbinsel am Roten Meer - einen neuen deutschen Rekord im Tieftauchen mit Flossen aufgestellt. 71 Meter ist er im 25 Grad warmen Wasser an einer Leine in die Tiefe getaucht - ins Dunkel des Meeres, an dem Touristen normalerweise Urlaub machen. Damit hat der Franke den bisherigen Rekord des Hamburgers Tom Sietas um einen Meter gebrochen. Vier Jahre lang saß Sietas auf dem Thron des Deutschen Rekordhalters im Constant Weight with Fins, wie die Disziplin von den Apnoetauchern (Freitauchern) genannt wird. "Jetzt bin ich der tiefste Deutsche", scherzt Güldner, Obermaat der Verwendungsreihe 37 - Minentaucher.
Maximal 14 Herzschläge pro Minute
Seit seinem 13. Lebensjahr ist Güldner Freizeittaucher. In seiner fränkischen Heimat begann er im Freibad von Gräfenberg - das liegt 25 Kilometer von Nürnberg entfernt - mit seinem Hobby. Ein Bademeister des Schwimmbades erkannte Güldners Talent, nahm ihn beiseite, erzählte ihm vom Freitauchen. Der Jugendliche sah sich den Film The Big Blue an und wollte den seltenen Sport erlernen. Um Erfolgreich sein zu können, hörte Güldner als Jugendlicher extra mit dem Rauchen auf und fing an, seine Lunge im "positiven" Sinne zu belasten. "Beim Freitauchen gibt es keine Atemgeräte. Die Lunge ist zusammengepresst und mit Blutplasma gefüllt. Das schafft ein Raucher nicht", sagt der Deutsche Meister, der jetzt zu den 30 Menschen auf der Welt gehört, die wenigstens zu Trainingszwecken im 80-Meter-Bereich freitauchen können. Außerdem seien Konzentration und Entspannung Grundvoraussetzungen für diesen körperlich anstrengenden Sport, bei dem die Taucher in eine Art Trance verfallen. "Bevor ich abtauche, muss ich meinen Herzschlag mit speziellen yogaähnlichen Übungen auf 12 bis 14 Schläge pro Minute bringen". Normal sind beim erwachsenen Menschen zwischen 60 bis 80 Herzschläge in der Minute. Wegen all dieser außergewöhnlichen Belastungen, ist beim Freitauchen immer ein Arzt anwesend. "Während des Trainings bin ich beim Auftauchen auch schon mal bewusstlos geworden. Da hatte ich meine Leistungskraft falsch eingeschätzt", sagt Güldner selbstkritisch. Heute gehe er vorsichtig an die Planung und das Training für seine Tauchgänge heran. "Ich riskiere nichts. Deshalb werde ich auch nie einen Schlitten zum Tieftauchen benutzen, mit dem schon Weltrekorde von über 200 Meter getaucht wurden. Doch dabei sind auch schon Sportler ums Leben gekommen."
Gelassenheit, Mut und Weisheit
Güldner ist ein rationell denkender, bedächtiger junger Mann. Deshalb passt er auch zu den Minentauchern der Deutschen Marine. Im "Tauchkeller" ist auf einem dunkelbraunen Holzbalken mit schwarzer Schrift folgender Leitspruch verewigt: "Neptun, gib uns Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die wir nicht ändern können. Gib uns den Mut, Dinge zu ändern, die wir ändern können. Und gib uns die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."Gelassenheit, Mut und Weisheit - drei Dinge, die auch ein Freitaucher mitbringen muss, will er erfolgreich sein.
Selbstmordattentat erlebt
Ein Schlüsselereignis erlebte und veränderte Andreas Güldner, der von Freunden Andy genannt wird, am 24. April 2006. In dem Jahr hatte er sich bei der Marine als Zeitsoldat beworben und gerade seine Annahmeprüfung erfolgreich hinter sich gebracht. Bevor er seinen Dienst als Funker antreten sollte, verbrachte er noch einen Tauchurlaub in Dahab. "Ich war mit zwei Freunden, einem Engländer und einer Schweizerin in der Stadt verabredet. Doch ich kam 15 Minuten zu spät zum Treffpunkt. Für mich ein Glück. Für meine Freunde ein Unglück", sagt Güldner mit ernstem Blick, "Selbstmordattentäter sprengten Touristen und Einheimische an drei belebten Plätzen in die Luft. Es gab 25 Tote, darunter ein deutscher Junge. Über 50 Menschen wurden verletzt. Die Freundin aus der Schweiz verlor ein Bein, der Engländer hat Splitter im Körper. Die schrecklichen Bilder werde ich nie vergessen." Da reifte in Güldner ein Entschluss: "Ich hatte erlebt, was Sprengstoffe anrichten können. Als Minentaucher wollte ich dazu beitragen, dass Sprengfallen und Minen beseitigt werden können. Ich bewarb mich bei den Minentauchern."
Bisher keine weiblichen Minentaucher
Die Minentaucher gehören zu den spezialisierten Einsatzkräften der Deutschen Marine. Zusammen mit den Kampfschwimmern gelten sie innerhalb der kleinsten Teilstreitkraft der Bundeswehr zur sogenannten Elite. Sie sind weltweit anerkannte Spezialisten. Die Soldaten lokalisieren, identifizieren und beseitigen Minen, Bomben und Sprengsätze im Meer, in Gewässern oder an Land. Zurzeit gibt es nur 50 Minentaucher, die der einzigen Minentaucherkompanie in Eckernförde angehören. Der Tagesdienst besteht aus Schwimmen, Tauchen, Sport, Qualifizierung und Einsätzen auf der ganzen Welt. Wenn es sein muss, sind sie binnen einer Stunde einsatzbereit. Der Bedarf an Minentauchern ist jedoch weitaus größer, als diese 50 Mann - Frauen haben die Lehrgänge bisher nicht bestanden..
Nur vier von zehn bestanden Lehrgang
"Jeder Marinesoldat kann sich für eine Ausbildung zum Minentaucher bewerben", sagt Güldners Kompaniefeldwebel, Hauptbootsmann Joachim Peters, "doch es bewerben sich nur gut ein Dutzend Soldaten. Und schon beim Vorbereitungstest fallen über 70 Prozent der Bewerber durch." Und von denen, die weiterkommen, fallen letztlich viele durch oder geben vorher selber auf. Zurzeit gibt es nur drei Soldaten, die es in den viermonatigen Minentaucherlehrgang geschafft haben. In Güldners Lehrgang waren anfangs zehn Soldaten. Nur vier bestanden und erhielten das überall Achtung schenkende Minentaucherabzeichen - eine Seemine mit einem Sägefisch davor. Peters glaubt für die niedrigen Bewerberzahlen und die hohen Durchfallquoten den Grund zu wissen: "Die Leute sind nicht mehr bereit, sich zu quälen." Kein Thema für Güldner. Er sagt: "Ich habe während des Minentaucherlehrgangs nie ans Aufgeben gedacht, auch wenn es sehr hart war. Ich will tauchen. Ich will viel Wasser um mich haben. Und das finde ich nur bei den Minentauchern der Marine." All die Anstrengungen und Mühen versucht die Marine zu belohnen: Die Soldaten erhalten eine Minentaucherzulage in Höhe von 184,07 Euro monatlich. Bei Auslandseinsätzen oder Bordverwendungen kommen weitere variable Geldleistungen dazu. Hinzu kommt eine verbesserte Chance auf eine Übernahme als Berufssoldat, gegenüber anderen Zeitsoldaten und eben der weltweite Einsatz.
Anforderungsniveau schützt Soldaten
Hauptbootsmann Peters kann sich trotz des Mangels an Nachwuchses nicht vorstellen, dass die Einstellungsvoraussetzungen nach unten geschraubt werden. Er sagt: "Am verlangten Niveau können wir keine Abstriche machen. Das würde nur das Leben der Soldaten selbst gefährden. Und weil wir eine so harte Auswahl treffen, gab es bisher erst sehr wenige Unfälle bei den Minentauchern." Und parallel dazu schätzt auch Andreas Güldner das Risiko seines privaten Sports ganz rational ein: "Solange ein Freitaucher nicht alleine trainiert und nichts riskiert, ist das Abtauchen ungefährlich."
Quelle: Deutsche Marine