Bildungsforscher für verpflichtendes Kindergartenjahr
Führende Bildungsforscher fordern ein verpflichtendes Kindergartenjahr vor der Einschulung in Deutschland.
Andreas Schleicher, der PISA-Koordinator und Bildungschef der OECD,
sagte der FAZ (Samstagausgabe): "In einem solchen Pflichtjahr können
soziale und kognitive Grundlagen gelegt werden, die Jugendliche später
sonst nur schwer aufholen können." Ifo-Bildungsforscher Ludger Wößmann
bezeichnete ein Pflichtjahr als "absolut sinnvoll" und den Widerstand
dagegen als "oft am Kern vorbei".
Hintergrund der Forderung ist
die Entwicklung, dass immer mehr junge Menschen in Deutschland wegen
schlechter Schul- oder fehlender Berufsabschlüsse den Anschluss an den
Arbeitsmarkt verlieren. 12,8 Prozent der Jugendlichen hatten im Jahr
2023 höchstens einen Abschluss der Sekundarstufe eins, zeigt ein kurz
vor Weihnachten veröffentlichter Bericht der EU-Kommission. Fast jeder
Fünfte 20- bis 34-Jährige hat keinen Berufsabschluss. Diese Gruppe hat
sehr schlechte Perspektiven am Arbeitsmarkt. Jeder Fünfte ohne
Berufsabschluss ist aktuell arbeitslos gemeldet. Unter Menschen mit
abgeschlossener Lehre oder Hochschulabschluss liegt die
Arbeitslosenquote nur bei 3,2 beziehungsweise 2,5 Prozent.
Pisa-Koordinator
Schleicher, hält den in Deutschland "ungewöhnlich großen Zusammenhang
zwischen dem sozialen Hintergrund der Schüler und ihrem Bildungserfolg"
für eine zentrale Ursache. Vor allem wenn Eltern selbst bildungsfern
sind oder wenig verdienen, schafften Kinder seltener als anderswo einen
höheren Bildungsabschluss. Als dritter Faktor komme die Migration hinzu.
Ein Pflichtjahr im Kindergarten sei eine mögliche Maßnahme, die Lage zu
bessern. Schleicher und Wößmann verweisen zudem auf die Erfolge des
Hamburger Modells: Dort werden alle Viereinhalbjährigen zu einem
Sprachtest geladen. Wer durchfällt, wird vorschulpflichtig und erhält
verbindliche Sprachförderung.
Seitdem Hamburg dieses Modell
2005/2006 eingeführt hat, "haben sich die Bildungsergebnisse dort
deutlich gegen den deutschen Trend verbessert", sagt Wößmann. Schleicher
hält das dreigliedrige Schulsystem und insbesondere die Hauptschule in
Deutschland für problematisch. "Vor allem weil nicht nach Talent,
sondern vor allem nach sozialem Hintergrund sortiert wird", sagt er der
FAZ. Das deutsche Schulsystem schicke Kinder zu schnell auf einen
Bildungsweg, auf dem sie zu wenig gefordert und gefördert werden. Als
Gegenbeispiel nannte er den europäischen PISA-Spitzenreiter Estland.
Dort werden Kinder in der Schule so lange wie möglich zusammengehalten,
auch die leistungsschwächeren Kinder müssten sich höheren Anforderungen
stellen. "Irgendwie schaffen die das meistens dann auch", sagte
Schleicher.
Quelle: dts Nachrichtenagentur