„Jedes Konto im Ausland gilt als verdächtig“
Archivmeldung vom 15.11.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.11.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Oliver RandakSeit Monaten machen die deutschen Finanzämter Jagd auf Steuerhinterzieher. Seit dem Fall Zumwinkel wurde das Personal deutlich aufgestockt und die Häufigkeit von Kontrollen erhöht. Kein Wunder: Immerhin gehen dem deutschen Fiskus durch Steuerhinterziehung jedes Jahr Summen in Millionenhöhe verloren. Experten schätzen den Schaden auf bis zu 30 Milliarden Euro im Jahr – die Dunkelziffer ist hoch
Viele Deutsche betrachten Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt. Bis vor kurzem hielten die meisten außerdem das Aufdeckungsrisiko für äußerst gering. Das hat sich in den letzten Monaten geändert: Inzwischen haben viele Angst davor, dass das Finanzamt auf ihr Konto im Ausland aufmerksam werden könnte. In der Tat sind die Finanzbeamten so eifrig darum bemüht, Steuervergehen aufzudecken, dass ihnen manchmal auch Unschuldige zum Opfer fallen. „Jeder Steuerpflichtige, der Geld im Ausland angelegt hat, gilt bei den Finanzämtern als potenziell Verdächtiger“, sagt der Münchner Rechtsanwalt Dr. Klaus Höchstetter im Manager-Magazin 09/2008, der sich auf Wirtschafts- und Steuerrecht spezialisiert hat. Dabei gibt es durchaus andere Gründe als den Versuch der Steuerhinterziehung, warum Anleger Geld nach Österreich, in die Schweiz oder nach Liechtenstein transferieren. Viele wollen einfach kein „gläserner Bankkunde“ sein, dessen Daten und Konten jedes Finanzamt per Knopfdruck einsehen kann, so wie es der deutsche Gesetzgeber seit 2005 erlaubt. Andere wollen ihr Geld schützen, weil sie den staatlichen Behörden misstrauen und ihr Vermögen vor unberechtigten Zugriffen schützen wollen. „Das deutsche Steuerrecht wird von den meisten als unüberschaubar, kompliziert und ungerecht empfunden“, so Höchstetter. Verständlich also, dass andere Finanzplätze bevorzugt werden.
Deutschland, die EU und die USA wollen allerdings das Bankgeheimnis in der Schweiz und anderen Steueroasen aufweichen. Die Schweiz und die EU haben bereits eine Kooperation im Kampf gegen den Steuerbetrug beschlossen, und unter Bankern gilt als klar, dass das Schweizer Bankgeheimnis in seiner jetzigen Form bald Geschichte sein wird. Ob es sich für wohlhabende Deutsche dann überhaupt noch lohnen wird, ihr Vermögen in Genf oder Zürich anzulegen, ist fraglich. Bisher dürfen die Schweizer Banken nur in eindeutigen Betrugsfällen Auskunft über Kundendaten geben. Künftig könnten auch Informationen über Kunden weitergereicht werden, die Einkünfte nur verschwiegen haben, ohne sich dabei des Betrugs schuldig zu machen. „Diese Aufweichung des Datenschutzes ist unter Juristen sehr umstritten“, sagt Steuerexperte Höchstetter. Für die Schweiz bedeutet die Entwicklung, dass sie bald vielleicht nur noch ein internationaler Finanzplatz unter vielen sein wird, ohne großen Vorteil gegenüber anderen Standorten. Die Schweizer Banken versuchen schon jetzt, sich darauf vorzubereiten und ins Ausland zu expandieren, etwa nach Singapur, wo das Bankgeheimnis vorerst noch sicher scheint. Allerdings betont Rechtsanwalt Höchstetter, zuletzt in der Abendschau des MDR vom 2. August 2008, dass das Bankgeheimnis, egal in welchem Land, keineswegs als Schutzgesetz für Steuerflüchtlinge zu verstehen ist. „Historisch betrachtet, stellt es in liberaler Tradition ein Abwehrrecht des einzelnen gegen den omni-interessierten Staat dar. Als solches ist es zu respektieren, auch wenn Missbräuche des Bankgeheimnisses natürlich nicht zu verhindern sind“, sagt der Experte. Vor diesem Hintergrund sind die in letzter Zeit gehäuften politischen Angriffe gegen die Schweiz oder Liechtenstein sicherlich nicht gerechtfertigt.
Auch wenn das Bankgeheimnis in Singapur noch als sicher gilt, ist dies für viele deutsche Anleger wohl allein aufgrund der Entfernung keine wirkliche Alternative. Daher rät Rechtsanwalt Höchstetter, im Zweifelsfall reinen Tisch zu machen. Steuersünder, die sich – nach gründlicher Beratung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt – selbst anzeigen, gehen in der Regel straffrei aus und müssen nur die hinterzogenen Steuern und einen Säumniszins nachzahlen. Dafür können sie dann wieder ruhig schlafen und müssen eine mögliche Entdeckung durch die Finanzämter nicht mehr fürchten. Ihr Geld können sie dann ebenso wie vorher, aber deutlich beruhigter, in der Schweiz lassen. Vielleicht dürfen sie sich demnächst sogar über verbesserte Konditionen freuen, denn wenn sich die Schweizer Banken künftig intensiver um „sauberes“ Geld bemühen müssen, werden sie steuerehrlichen Anlegern bald wohl besonders entgegenkommen.