Experte Saurugg: „Wir alle sind auf einen Blackout zu wenig vorbereitet!“
Archivmeldung vom 08.11.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.11.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićBereits Anfang Oktober hatte „Wochenblick“ ein äußerst interessantes Gespräch mit dem renommierten Blackout-Experten Herbert Saurugg. Der Bundesheermajor hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen in allen Bereichen über das bevorstehende Szenario Blackout bestmöglich aufzuklären und zu sensibilisieren. „Kann man das Kommende schon nicht verhindern, ist es dennoch weniger schlimm, wenn man sich damit auseinandergesetzt hat!“, so sein Credo. „Wochenblick“ hat Herbert Saurugg nochmals getroffen. Lesen Sie diese Woche den ersten Teil unseres exklusiven Interviews.
Das Interview mit Herbert Saurugg führte Birgit Pühringer vom Magazin "Wochenblick:
Herr Saurugg, in unserem letzten Gespräch sagten Sie, dass
Sie von einem europaweiten Blackout in den nächsten Monaten bis wenigen
Jahren ausgehen. Können Sie eine Einschätzung abgeben, wie die
Blaulichtorganisationen und auch das Bundesheer in Österreich auf ein
derartiges Krisen-Szenario vorbereitet sind?
Das Bundesheer und das Innenministerium haben in den letzten Wochen
sehr aktiv kommuniziert und klar gemacht, dass sie dabei sind, ihre
Blackout-Vorsorgemaßnahmen zu treffen und zumindest bis 2024 die
wichtigsten Dienststellen autark haben zu wollen. Daher ist davon
auszugehen, dass bis dahin vieles nicht, wie oft erwartet wird,
funktionieren wird.
Leider sind viele Organisationen nur auf den Stromausfall, also der
Phase 1 eines Blackouts vorbereitet. Daher empfehle ich immer, zumindest
einen 14-tägigen Notbetrieb vorzubereiten. Das werden wir leider
benötigen und das braucht ganz andere Vorbereitungen als ein Tag
Stromausfall.
Notbetrieb bedeutet: Stark reduzierte Leistungen = überleben! Dieses
Thema wurde leider viel zu lange vor sich hergeschoben. Aber noch haben
wir die Möglichkeit, etwas zu ändern.
Das Bundesheer veröffentlichte vor wenigen Wochen einen
Kurzfilm zum Thema „Blackout“, was sagen Sie dazu? Der Seher bekommt den
Eindruck, dass das Bundesheer zur Unterstützung der Polizei eingesetzt
wird und Notstromaggregate durch das Bundesheer zur Verfügung gestellt
werden können. Ist das so? Gibt es genug Aggregate und was wird damit
versorgt?
Das Bundesheer-Video ist leider ein Werbefilm. Mein Zugang wäre ein
anderer gewesen. In der Phase 1 (kein Strom) und 2 (noch kein
Telefonieren oder Internet) eines Blackouts wird das Bundesheer kaum
eingesetzt werden können, wenn das nicht entsprechend vorbereitet ist,
was auch schwer möglich ist: Wo werden die Hotspots sein? Wo kann
geholfen werden, wenn überall Hilfe benötigt wird und kaum Ressourcen
zur Verfügung stehen?
Das Bundesheer wird wahrscheinlich erst in Phase 3 eingesetzt werden können. Das ist bereits die Phase des Wiederaufbaus.
Das Bundesheer kommt immer dann, wenn andere nicht mehr können. Das
kennen wir. Aber bei einem solchen Ereignis wird das nicht
funktionieren, weil das Bundesheer und das Personal und deren Familien
ja selbst betroffen sind. Und es kann niemand Millionen Menschen helfen,
wenn nichts mehr funktioniert. Wir haben da viel zu oft unrealistische
Erwartungen, die dann zum Problem werden. Das Video adressiert die
Notwendigkeit der persönlichen Vorsorge. Das ist wichtig. Das andere
wird vielleicht punktuell funktionieren, aber für die meisten Menschen
nicht relevant sein.
Eigenversorgung als Grundlage
Was ist das größte Problem?
Wie in jeder Organisation: die Personalverfügbarkeit. Wenn das
Personal nicht zu Hause vorgesorgt hat und die Familie mit gutem
Gewissen verlassen kann, wird es weder kommen noch bleiben. Daher wird
es hier rasch in allen Organisationen zu Problemen kommen. Das
Bundesheer hat eine interne Kampagne gestartet, um die Eigenvorsorge zu
mobilisieren. Das war ein sehr wichtiger Schritt! Und die erste
Organisation, die das wirklich breitgemacht hat. Dieser Schritt sollte
in jeder Organisation getätigt werden. Auch bei den Feuerwehren.
Einige Einsatzkräfte werden auch dazu geneigt sein, sich in den
ersten Stunden eines Krisenszenarios auszupowern. Danach fehlt
möglicherweise die Ablöse. Da braucht es bereits vor Eintritt eines
derartigen Katastrophenfalles eine klare Struktur und Einteilungen, auch
von Ruhepausen, um 14 Tage durchhalten zu können. Die fehlen derzeit
leider häufig, soweit ich den Einblick habe.
Warum sind die Einsatzorganisationen so wenig vorbereitet?
Weil wir das alle nicht sind. Die Einsatzorganisationen sind ein
Teil der Gesellschaft. Und das Thema Eigenvorsorge wird gerne als
Eigenverantwortung abgetan. Stimmt schon. Aber wenn ich will, dass meine
Leute kommen und helfen, dann muss ich das auch aktiv kommunizieren und
mit den Leuten reden, wer überhaupt kommen kann. Manche haben
Kleinkinder oder pflegebedürftige Angehörige. Andere sind in der
Gemeinde oder bei anderen Einsatzorganisationen auch engagiert.
Daher entstehen hier rasch Interessenskonflikte, über die man im
Vorhinein reden sollte. Als Vorgesetzter könnte man da aber auch Dinge
erfahren, die einem nicht passen, mit denen man sich nicht
auseinandersetzen möchte. Daher wird das lieber weggeschoben. Übungen
wären ebenfalls notwendig, um einzelne Abläufe zu überprüfen. Und es
kann auch etwas anderes eintreten. „Wenn ich das Große kann, kann ich
das Kleine im Vorbeigehen!“
Interessenkonflikte bei Einsatzpersonal
Wie könnte die Einsatzfähigkeit der Kräfte gewährleistet werden? Was müsste bedacht werden?
Wichtig ist bereits im Vorfeld Pläne zu erstellen. Beim Personal zu
fragen, wer kommt im Krisenfall in den Dienst und wer kommt nicht, wenn
die eigene Familie geschützt werden muss? Die Bediensteten einteilen in
Schichtbetrieb, damit eine durchgängige Einsatzfähigkeit gewährleistet
werden kann.
Vor alledem ist es wichtig, das gesamte Personal zu sensibilisieren
und vorzubereiten. Die Aufklärung über die notwendige Eigenvorsorge ist
das Wichtigste. Die Bediensteten werden nur freiwillig zum Dienst
erscheinen, wenn sie die Gewissheit haben, dass ihre Familien in
Sicherheit und versorgt sind. Das geht aber nur mit dementsprechender
Vorbereitung. Da darf man die Mitarbeiter nicht alleine lassen. Bereits
da fehlt es oft an der Kommunikation. Zum anderen ist es wichtig, dass
ein gemeinsames Ziel vorgegeben wird, was in der Krisenbewältigung
erreicht werden soll und was wichtig bleibt und was nicht.
Zum anderen muss möglichst viel Handlungskompetenz im Sinne dieses
Ziels dezentralisiert werden, weil die Koordinierung nur mehr
eingeschränkt funktioniert: selbstständiges Handeln im Sinne des Ganzen.
Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie kommende Woche in der nächsten Ausgabe."
Quelle: Wochenblick