Wenn die Bass-Töne in den Ohren dröhnen
Archivmeldung vom 15.10.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWonne oder Wut? Beide Gefühle liegen nah beieinander, wenn es um den Klang tiefer Töne in Wohnräumen geht. Wer keinen großen Konzertsaal, sondern ein ganz normales Wohnzimmer besitzt, kann schnell in Verzweiflung geraten, wenn er seinen neuen Bass-Lautsprecher, der eben im Laden noch so toll geklungen hat, im eigenen Heim aufstellen will: Mal klingt er zu laut, mal zu leise, mal dröhnt es unangenehm – kein Platz im Raum scheint perfekt zu sein.
Das Problem liegt darin, dass bei tiefen Tönen (mit langen Wellenlängen) in Räumen mit eher kleinen Abmessungen sogenannte Raummoden angeregt werden, stehende Wellen mit unschönen Begleiterscheinungen. Bisher gab es dafür praktisch gar keine Lösung. Jetzt haben Raumakustiker aus der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) sich des Problems systematisch angenommen und eine – bereits zum Patent angemeldete – Methode entwickelt, die helfen kann. Dabei muss ein Helmholtz-Resonator für jeden Fall speziell optimiert werden. Jetzt wird eine Firma gesucht, die das anbietet – für Tonstudios, Musikhochschulen, Theater oder eben den privaten Musik-Enthusiasten.
Tiefen Tönen ist man ziemlich hilflos ausgeliefert. Weder dicke Wände noch spezielle schallschluckende Materialien können einem helfen, wenn etwa der Techno-Sound aus der Nachbarwohnung als regelmäßiges Wumm-Wumm-Wumm herüberdröhnt. „Gehen Sie hinüber – und Sie hören Musik“, sagt PTB-Raumakustiker Ingolf Bork. „Aber zurück in Ihrer Wohnung wirkt es, als wäre da immer nur die eine Bassfrequenz.“ Und Sie geraten auf Dauer ganz schön in Stress, weil wirklich nichts hilft. „In Internet-Foren ereifern sich die Teilnehmer regelmäßig darüber, ob man die Raum-Wände verkleiden oder den Bass-Lautsprecher auf spezielle Platten setzen sollte“, erläutert Bork. „Aber helfen wird keine dieser Maßnahmen.“ Während höhere Töne sich mit speziellen Dämmmaterialien recht gut eliminieren lassen, sind die Bass-Frequenzen sehr viel widerspenstiger. Sie kriechen quasi unaufhaltbar um jedes Hindernis herum und durch jede Wand hindurch.
Dieses Problem ist besonders groß, wenn in Mietshäusern alle Wohnungen gleich gestaltet sind. Dann hat auch jede Wohnung dieselben Raummoden – jene Resonanzphänomene, die auftreten, wenn ganzzahlige Vielfache der halben Wellenlänge genau zwischen zwei gegenüberliegende Wände bzw. zwischen Fußboden und Decke passen. Die entstehenden Raummoden sind stehende Wellen mit Minima und Maxima: Dort, wo sich „Wellenberge“ überlagern, wird der Ton deutlich verstärkt, bei den Wellentälern stark gedämmt, bis hin zur Nichthörbarkeit. „Machen Sie mal einen Test und schieben Sie Ihren Bass-Lautsprecher im Wohnzimmer herum“, rät Bork. Dazu sollte der Lautsprecher am besten nur einen sehr tiefen (Sinus-)Ton von sich geben. „Sie werden erstaunt feststellen, dass die tiefen Töne manchmal geradezu weg sind. An anderen Stellen im Raum können sie sehr laut werden; womöglich klirren auch die Jalousien oder andere Möbelstücke, weil sie in Resonanz geraten.“
Indem man seine Subwoofer derart durch den Raum „wandern“ lässt, kann man natürlich einen einigermaßen geeigneten Ort finden. Aber besser wäre es, wenn man erreichen könnte, dass es überall im Raum gleich gut klingt. Die von Bork und seinen PTB-Kollegen entwickelte Methode kann das. Auf dem Weg dorthin haben sie systematisch mehrere typische Fälle von „Tiefton-Problemen“ untersucht: Da wäre zunächst mal das Problem der Basstöne von nebenan, wenn die Raummoden beider Räume übereinstimmen. Der zweite Fall ist der des Subwoofers, der an jedem Ort im Raum anders klingt. Und der dritte tritt auf, wenn eine Tür mit einem Knall zufällt und dessen tiefe Anteile über Raummoden so verstärkt werden, dass sie unangenehm lange nachhallen. Für alle diese Fälle haben die PTB-Ingenieure zuerst die Raummoden genau berechnet. Dann kamen spezielle Resonatoren ins Spiel: Helmholtz-Resonatoren (benannt nach jenem Universalgelehrten, der vor mehr als 125 Jahren die PTB gegründet hat: Hermann von Helmholtz). Ein Helmholtz-Resonator ist ein luftgefüllter Hohlraum mit einer Öffnung. Passt das Luftvolumen in seinem Inneren genau zur Frequenz des Tones, dann erzeugt der Resonator genau denselben Ton. Der überlagert den Störton und löscht ihn quasi aus.
Die PTB-Methode ist so simpel, dass man sich wundert, warum sie bisher noch nie angewendet wurde: Die längst bekannten Helmholtz-Resonatoren müssen nur ganz genau auf den jeweiligen Störton abgestimmt werden. Das Resultat: Der störende Ton ist wesentlich leiser, manchmal um bis zu 30 Dezibel. „Das ist eine ungeheuer große Dämpfung“, erläutert Bork. Dann experimentiert man noch mit verschiedenen Dämpfungsmaterialien, etwa verschieden dicken Stoffen, um den Ton im Raum sozusagen zu „glätten“ – also ihm eine möglichst gleichmäßige Lautstärkeverteilung (Pegel) zu geben.
Was so simpel klingt, ist jedoch das Ergebnis ausgefeilter Ingenieur-Kunst. Beteiligt sind verschiedene Messgeräte und die Berechnungsmethode der Modalanalyse, die bisher eher zur Optimierung von Autos und Musikinstrumenten angewendet wurde. Inzwischen ist die neue Methode zum Patent angemeldet. Jetzt wird eine Firma gesucht, die die Lizenz erwirbt und dann passgenaue Resonatoren für alle diejenigen produziert, die sie benötigen: Das sind in erster Linie Toningenieure und die Betreiber von professionellen Aufnahmestudios, aber auch die Betreiber oder Nutzer von kleinen Übungsräumen, etwa in Musikhochschulen oder Theatern. Nicht zuletzt sind da die vielen begeisterten Musikhörer, die das Erlebnis eines guten Konzertsaales nach Hause holen wollen, viel Geld in gute Lautsprecher investieren – und zurzeit noch allzu oft enttäuscht werden.
Die Entwicklung aus der PTB bietet also eine gute Gelegenheit für Ausrüster von Tonstudios und High-end-Home-Entertainment, ein neues Produkt zu entwickeln. Bei Interesse bietet die PTB übrigens auch an, in gemeinsamen Projekten solche Erfindungen zu Funktionsmustern weiterzuentwickeln.
Quelle: Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) (idw)