9/11 und die Folterdiskussion
Archivmeldung vom 28.10.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtIst der Einsatz von Folter gerechtfertigt, um eine große Bedrohung abzuwenden? Seit dem Einsatz des „Water-Boarding“ durch die USA und der Veröffentlichung von Bildern misshandelter irakischer Gefangener im Abu-Ghraib-Gefängnis wird darüber diskutiert. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 würden vorgeschoben, um extreme Formen staatlicher Gewalt zu rechtfertigen, sagt Katrin Dauenhauer, Doktorandin an der Universität Bonn. In ihrer Dissertation hat sie in der amerikanischen Geschichte nach vergleichbaren Ereignissen geforscht und festgestellt, dass das keineswegs ein Einzelfall ist: Wiederholt haben die USA den Einsatz von Folter mit außerordentlichen Lagen gerechtfertigt.
Die Folterbilder aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak gelangten vor zehn Jahren an die Medien, wonach US-amerikanische Angehörige von Militär- und Geheimdiensten sowie private Sicherheitsunternehmen Gefangene misshandelt und gefoltert haben. Zu einem internationalen Aufschrei führten auch Berichte zu der als „Waterboarding“ bezeichneten Foltermethode des simulierten Ertränkens, die während der Präsidentschaft von George W. Bush unter anderem vom US-Geheimdienst CIA beim Verhör von Terrorverdächtigen eingesetzt wurde. Die Geschehnisse hallen bis heute nach: So beschäftigt die Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts des Geheimdienstausschusses des US-Senats die Politik in Washington.
Kontroversen um Foltervorwürfe vom 19. Jahrhundert bis heute
Katrin Dauenhauer hat in ihrer auf Englisch verfassten Dissertation „Der Schatten der Folter“ Debatten um gezielte Misshandlungen während Militärinterventionen der USA vom Einsatz in den Philippinen am Ende des 19. Jahrhunderts über den Vietnamkrieg bis heute analysiert. „Im Kern dreht sich meine Arbeit um die Frage, wie der Begriff ‚Folter’ in den jeweiligen Debatten verwendet wird, insbesondere im Vergleich zwischen Handlungen der USA auf der einen und denen des jeweiligen Gegners der USA auf der anderen Seite“, sagt die Absolventin des Nordamerikastudienprogramms der Universität Bonn. „Die Problematik, wie durch die USA verübte Folter gerechtfertigt wird, während zur gleichen Zeit andere Menschenrechtsverletzungen, Folter eingeschlossen, lautstarke Empörung hervorrufen und moralisch verurteilt werden, gibt dabei auch Aufschluss über eine der Fundamentalfragen demokratischer Gesellschaften – der Legitimierung von Gewalt.“ Die Wissenschaftlerin wertete Regierungsdokumente, Medienbeiträge, juristische Texte, Fotografien, Filme und klinische Befunde aus.
9/11 als scheinbare „Stunde Null“
Im Verlauf der gegenwärtigen Folterdebatte werde der Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York häufig als Argument für die Rechtfertigung von Folter herangezogen. 9/11 werde als scheinbare „Stunde Null“ aufgebaut, als eine Bedrohungslage, die mit keiner anderen Krise vergleichbar sei. „Eine solche Erklärung ignoriert jedoch völlig die historischen Kontinuitäten. In der Tat wird die Rhetorik einer außerordentlichen Bedrohungslage auch während des philippinisch-amerikanischen Kriegs (1899-1902) und des Vietnam-Kriegs (1964-1973) als Legitimation für die Anwendung von Folter gebraucht“, sagt Dauenhauer.
Waterboarding als „verstärkte Verhörmethode“ beschönigt
Das Rekurrieren auf 9/11 als Ausnahmezustand trage maßgeblich dazu bei, dass die Folter als letztes Mittel in einer noch nie dagewesenen Gefahrenlage legitim erscheint, erläutert die Wissenschaftlerin. Die Debatte würde somit von vorneherein verengt und historische Präzedenzen bewusst ausgeklammert. Gleichzeitig führten Begriffe wie „verstärkte Verhörmethoden“ im Zusammenhang mit „Waterboarding“ zu einer Verharmlosung von Folter. Dauenhauer: „Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass die Anwendung von Folter als grundsätzlich ‚unamerikanisch’ abgelehnt wird und somit immer auch negiert werden muss. Im gleichen Zug führt es jedoch zu einer Aushöhlung der UN-Antifolterkonvention sowie des internationalen Menschenrechtsschutzes, der maßgeblich von den USA vorangetrieben wurde.“
Erstaunlicher Grad an Kontinuität
In ihrer Dissertation zeigt die Kulturwissenschaftlerin, wie aktuelle Diskussionen über Folter in den USA durch frühere Debatten und deren historische Kontexte überlagert werden. „Katrin Dauenhauer gewährt durch ihre Kenntnis der US-amerikanischen Geschichte und ihre ausgeprägte Methodenkompetenz tiefe Einblicke in die Prozesse eines kodifizierten Diskurses über Folter. Sie hat dabei auch eine (Medien)Geschichte des ‚Schattens der Folter’ in US-amerikanischen Militärinterventionen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 21. Jahrhunderts vorgelegt“, unterstreicht Prof. Dr. Sabine Sielke, die das Promotionsprojekt wissenschaftlich betreut hat.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (idw)