Zeitung: Kölner Beamte widersprechen Polizeispitze
Archivmeldung vom 07.01.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWesentliche Aussagen der Kölner Polizeispitze zu den Ereignissen der Silvesternacht sind nach Darstellung von Polizisten unwahr. Das berichtet die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf Beamte, die am Einsatz beteiligt waren. Demnach hätten sie durchaus zahlreiche Personen kontrolliert und teils festgenommen, berichteten die Polizisten der Zeitung. Daher sei auch bekannt, um welche Personengruppen es sich handele: "Es wurden, anders als öffentlich dargestellt, sehr wohl von zahlreichen Personen die Personalien aufgenommen", die zum Mob vor dem Bahnhof gehört hatten.
Rund 100 dieser Personen seien kontrolliert worden. Etliche sind den "Welt am Sonntag"-Informationen zufolge der Wache zugeführt und in Gewahrsam genommen worden. Über das Ergebnis der Personenkontrollen sagte der "Welt am Sonntag" ein Beamter: "Nur bei einer kleinen Minderheit handelte es sich um Nordafrikaner, beim Großteil der Kontrollierten um Syrer." Das habe sich aus vorgelegten Dokumenten ergeben.
Bislang zielten Vermutungen aber darauf, dass es sich bei den Tätern um nordafrikanische junge Männer handelt, weil diese in Köln schon seit über einem Jahr als kleinkriminelle Problemgruppe bekannt sind. Auch hier wird widersprochen: Viele der Kontrollierten hielten sich aber erst seit wenigen Monaten in Deutschland auf. "Die meisten waren frisch eingereiste Asylbewerber. Sie haben Dokumente vorgelegt, die beim Stellen eines Asylantrags ausgehändigt werden", zitiert die Zeitung einen Beamten.
In einem weiteren Punkt wird widersprochen. Bislang hieß es, den Tätern sei es primär darum gegangen, Passanten zu bestehlen. Die sexuellen Belästigungen seien nur nebenbei passiert. "In Wirklichkeit verhielt es sich genau umgekehrt", sagte ein Kölner Polizist der "Welt am Sonntag" und fügte hinzu. "Vorrangig ging es den meist arabischen Tätern um die Sexualstraftaten oder, um es aus ihrem Blickwinkel zu sagen, um ihr sexuelles Amüsement. Ein Gruppe von Männern umkreist ein weibliches Opfer, schließt es ein und vergreift sich an der Frau."
Arnold Plickert, der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), verteidigt die Kölner Polizisten. Der GdP-Chef sagte der "Welt am Sonntag": "Durch die Vorwürfe von Innenminister de Maizière fühlen sich viele Kölner Kollegen völlig zu Unrecht angegriffen und an den Pranger gestellt. Es ist schlicht falsch, dass die Polizei in der Nacht niemanden festgenommen oder in Gewahrsam genommen hätte. Und es stimmt auch nicht, dass keine Personalien aufgenommen worden wären. Nach meiner Kenntnis wurden mindestens in 80 Fällen Personalien kontrolliert, Menschen festgenommen oder in Gewahrsam genommen."
Plickert zeigt Verständnis dafür, dass "die Kollegen nun anonym Informationen an die Öffentlichkeit durchstechen". Sie wollten "mit den verbreiteten Falschmeldungen aufräumen und sich wehren. Manche Beamte haben mir schon mitgeteilt, sie fühlten sich, als seien sie die Täter."
Plickert weiter: "Auch dass angeblich nichts auf Flüchtlinge als Täter hindeutet, halte ich für eine Falschmeldung. Den Kollegen zufolge wurden von mehreren der kontrollierten Männer Meldebescheinigungen des Bundesamts für Migration vorgelegt. Da waren ganz sicher Flüchtlinge unter den Tätern."
Interner Einsatzbericht belastet Kölns Polizeipräsidenten
Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers gerät durch ein internes Papier an die Führungsstelle seiner Behörde weiter in Bedrängnis: "Wir waren nicht überfordert", hatte Albers nach den Vorfällen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof erklärt. Doch dem widerspricht die sechsseitige "Einsatznachbereitung" vom 2. Januar, die der "Welt am Sonntag" vorliegt. Darin heißt es, dass die Beamten von Albers bei dem Einsatz stark auf die Hilfe der Bundespolizei angewiesen waren: "Ohne eine Unterstützung der Kräfte der Bundespolizei wäre eine sachgerechte Durchführung nicht möglich gewesen." Dem Papier zufolge gab es "im Laufe des Einsatzes erhebliche Verzögerungen bei der Bearbeitung von Festnahmen bzw. der Durchführung von strafprozessualen Maßnahmen". Dabei sei es um die Abnahme von Fingerabdrücken mittels des sogenannten Fast-ID-Verfahrens, Blutproben alkoholisierter Männer und die Entscheidung über Festnahmen gegangen.
"In einem Fall dauerte die komplette Abarbeitung eines komplexen Sachverhaltes über sieben Stunden", steht in dem Einsatzbericht. Dadurch, dass die Polizei parallel mehrere komplexe Delikte bearbeiten musste, sei die "Einsatzstärke für die Dauer dieser Maßnahmen insgesamt gesehen nicht unerheblich reduziert" worden.
Laut des Papiers hätte die Polizei von den lange zuvor verübten Sexualdelikten deutlich früher wissen müssen. Über diese Panne heißt es, "dass es bereits vor der Räumung des Bahnhofsvorplatzes zu zahlreichen Diebstahls- und Sexualdelikten (durch Begrapschen) gekommen war". Mit der Räumung des Bahnhofvorplatzes hatte die Polizei um 23:35 Uhr begonnen. Bisher hatte die Polizeiführung erklärt, erst gegen 01:00 Uhr von sexuellen Übergriffen erfahren zu haben. Den Unterlagen zufolge wurde zuvor sogar eine Polizeibeamtin gleich mehrmals sexuell belästigt, die ebenfalls wie andere Frauen Strafanzeige stellte. Das wird so beschrieben, dass eine "Beamtin mehrfach im Gedränge von Personen des beschriebenen Klientels unsittlich angefasst wurde. Darüber hinaus wurde mehrfach versucht, ihr die mitgeführte Handtasche wegzunehmen."
Aufgrund der unzureichenden "Kräftelage" der Polizei sowie der Unübersichtlichkeit der Gesamtsituation sei das sofortige Heranführen von uniformierten Kräften nicht möglich gewesen.
Laut Einsatzbericht wurden in der Nacht zwischen 22:00 Uhr und 05:00 Uhr morgens von der Kölner Polizei 71 Personalien festgestellt, elf Menschen in Gewahrsam genommen und 32 Strafanzeigen gestellt. Außerdem gab es vier Festnahmen. Die Daten wurden im "Cebius"-System der Einsatzleitstelle der Polizei dokumentiert.
Quelle: dts Nachrichtenagentur