Die Mär vom Aufschwung, der mit der Autobahn kommt
Archivmeldung vom 02.08.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Blühende Landschaften" werden längst nicht mehr beschworen, doch noch immer hält sich die Vorstellung hartnäckig, der Ausbau von Verkehrswegen ziehe automatisch den Aufschwung nach sich. Ein vermeintlicher Selbstläufer, den es kritisch zu hinterfragen gilt.
Unternommen hat das die Diplom-Geographin Claudia Heise von der
Friedrich-Schiller-Universität Jena. In ihrer Diplomarbeit untersuchte
Heise die sozio-ökonomischen Auswirkungen der Südharzautobahn A 38 in
Nordthüringen.
"Für die Ansiedlung neuer Industriebetriebe ist die Autobahn ein
hilfreicher Faktor", sagt Heise. Jedoch reiche die neue Trasse
keineswegs aus, Unternehmen in die Region zu locken. Zahlreiche weitere
Faktoren seien notwendig, erfolgreich Firmengründungen anzustoßen. Dazu
zählen ein intensives Werben um potenzielle Investoren, niedrige
bürokratische Hürden, eine wirtschaftsfreundliche Finanz-, Steuer- und
Förderpolitik sowie die Sicherung des Fachkräftebedarfs.
Bislang haben sich die Erwartungen an die segensreichen Auswirkungen
der neuen Autobahn nicht erfüllt. Noch kein auswärtiges Unternehmen
siedelte sich entlang der A 38 neu an. Einheimische Unternehmen jedoch
modernisieren ihre Betriebe, um auf dem nationalen und internationalen
Markt vor neuer Konkurrenz bestehen zu können. Erreicht doch die
Konkurrenz dank der Autobahn die Region rascher. "Die industrielle und
gewerbliche Wirtschaft entwickelt sich gut", sagt Heise. Die gestiegene
Zahl von Unternehmen reiche jedoch nicht aus, die Abwanderung der
erwerbsfähigen Bevölkerung zu stoppen. "Wir beobachten einen klaren
Rückgang der Bevölkerung, der auf negativen Geburtenraten und erhöhten
Abwanderungszahlen beruht", sagt Heise. Ausnahmen seien die Mittel- und
Unterzentren, wozu die Kreisstädte gehören.
Hier wird ein verstärktes Einpendeln beobachtet - die Autobahn
erleichtert den Weg zu Arbeits- und Ausbildungsorten. In diesem
Zusammenhang beobachten die Forscher verstärkt Suburbanisierung, das
heißt in den Gemeinden im Umland der Mittelzentren steigt die
Einwohnerzahl durch Zuzug.
Insgesamt gibt es in Nordthüringen deutlich mehr Aus- als Einpendler.
Dieses verstärkte Auspendeln wurde bereits in den 1970-er Jahren bei
Untersuchungen an neuen Autobahnen in der Schweiz nachgewiesen und es
gilt auch für die A 38. Es kann dazu führen, dass Auspendler sich
entscheiden, die Region ganz zu verlassen. Für andere, insbesondere
Besitzer von Wohneigentum, sinkt durch günstige Verkehrsverbindungen
der Druck, sich andernorts niederzulassen. "Eigentlich gilt, dass
Eigentum stabilisiert", sagt Prof. Dr. Peter Sedlacek. Der
Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftsgeographie und Regionalentwicklung der
Friedrich-Schiller-Universität hat die Diplomarbeit Claudia Heises
betreut. Eigentum stabilisiert, heiße konkret, wer ein Häuschen sein
eigen nennt, bleibt eher der Heimat verbunden als der Bewohner einer
Mietwohnung.
Die sogenannte Südharzautobahn verbindet die Wirtschaftsräume
Halle-Leipzig und Kassel-Göttingen. Erste Planungen für die Trasse
begannen 1991, die Autobahn soll Ende 2009 fertig gestellt werden.
Aktuell behindern juristische Auseinandersetzungen um einige Teilstücke
den Fortgang der Arbeiten.
Für ihre Studie befragte Claudia Heise leitende Mitarbeiter in den
Wirtschaftsförderungsämtern der Landkreise entlang der Autobahn. "Die
Resonanz war hervorragend, etwa 70 Prozent meiner Fragebögen wurden
ausgefüllt zurückgesandt", sagt Heise. Involviert waren die Landkreise
Eichsfeld, Kyffhäuserkreis, Nordhausen und der Unstrut-Hainich-Kreis.
Zeitlich erstreckt sich die Studie auf die Zeit von 1991 bis 2007, also
vom Beginn der Planungen bis zu den ersten Betriebsjahren auf einigen
Streckenabschnitten.
Insgesamt kommt Claudia Heise zu dem Schluss, dass die Studie zunächst eine Momentaufnahme ist. Erst in der Zukunft werde sich erweisen, wie sich die Südharzautobahn in das bestehende Struktursystem Nordthüringens eingliedert und ob sie fördernd oder hemmend auf die soziale und wirtschaftliche Situation des Gebiets einwirkt.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.