Mein Nachbar, der Cyborg
Archivmeldung vom 20.01.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin Implantat im Kopf oder im Finger das ist keine Science Fiction, sondern unsere wahre Zukunft. Das behaupten zumindest die Mitglieder des ersten deutschen Cyborg-Vereins. Bereits seit einem Monat wollen sie die deutsche Öffentlichkeit überzeugen, dass ein Cyborg nicht nur eine “willenlose Kampfmaschine” ist. Alexandra Gurkowa, von Radio "Stimme Russlands", hat sich die Argumente angehört.
In ihrem Beitrag heißt es dazu: "Stefan Greiner ist ein typischer melancholischer Student. Mit Brille auf der Nase und einer halbfertigen Masterarbeit zur Interaktion zwischen Menschen und Technik. Dazu 29 Jahre Lebenserfahrung, darunter ein paar Monate als Cyborg. Vor kurzem hat sich der Berliner einen Magneten in den Zeigefinger implantieren lassen. Wenn die Frequenzschwankungen im Raum um die 50 Hz sind, vibriert der Magnet 50 Mal pro Sekunde. Das spürt Stefan tatsächlich in seinem Finger.
"Die Idee ist tatsächlich, dass ich mit diesem Magneten eben Frequenzbereiche, sagen wir bis maximal 70 Herz, wahrnehmen kann, da jeder Leiter automatisch dieses Magnetfeld aufbaut, das sich über ganz leichtes Kribbeln im Finger einfach bemerkbar macht."
Im Dezember 2013 hat Stefan Greiner den ersten Cyborg-Verein Deutschlands mitgegründet. Nun haben Menschen, die sich als Cyborgs empfinden, oder einfach Interessierte an dem Thema eine Anlaufstelle in Berlin. Für den Masterstudenten der TU Berlin stellt ein Cyborg eine tiefe Verschmelzung aus Mensch und Maschine dar. Dabei erweitern sich physische oder kognitive Fähigkeiten.
"Von der Definitionen ausgehend, würde mich nicht nur dieser Magnet, der mich bestimme Frequenzbereiche erspüren lässt, die ich vorher nicht gespürt habe, zum Cyborg machen. Sondern tatsächlich würde ich es weiterspinnen und sagen, jeglicher auch kognitiver Prozess, der letzendlich vom Menschen ausgelagert wird, macht mich zum Cyborg. Da ich über diese Devices auch Fähigkeiten erlange und Aspekte der Welt insgesamt erfahren kann, die ich mit meinem natürlichen Körper einfach nicht machen konnte."
Jeder, der ein Smartphone hat, ist nach seiner Definition auch ein Cyborg. Das sehen allerdings nicht nur gewöhnliche Menschen, sondern auch manche Cyborgs skeptisch. Gemeinsam mit 15 weiteren Mitgliedern diskutiert Cyborg Stefan bei den wöchentlichen Versammlungen des Vereins über neue Formen der Kommunikation, die man nur fühlen kann. Oder über neue Fähigkeiten, wie einen erweiterten Orientierungssinn.
"Man kann tatsächlich über menschliche Sinneswahrnehmung, über bestimme Modalitäten den Effekt erzielen, dass es tatsächlich im Gehirn entsprechend die Strukturen neu bilden. Es werden – sagen wir mal – über Plastizität Bereiche neu reserviert."
Zurzeit darf und kann sich jeder alles implantieren, vorausgesetzt man schadet dabei nicht den anderen. Stefan Greiner vergleicht die aktuelle Lage mit den 50er Jahren, wo die ersten Geschlechtsumwandlungen aufkamen. Damals hat man Kontakte von entsprechenden Doktoren unter der Hand zugeschoben. Auch heute bekommt man den Kontakt zu einer Body-Modification-Person nur über Bekannte. Stefan könnte jedoch seinen Magneten jederzeit auch wieder entfernen lassen und hat also alle Wege offen, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.
"Da ist vielleicht tatsächlich ein kleiner Unterschied, ob man Sachen in sich implantiert oder ob man es als externes Device mit sich trägt. Und dieses Gefühl: ich habe da was in meinem Körper, ich sehe es gar nicht, ich spüre es nur. Da denke ich mir, verbindet sich irgendwo diese Biologie mit dieser Technologie auf eine andere Art und Weise mental… Insofern sehe ich auch keinen Grund, warum ich es rausmachen sollte. Aber ob es mir fehlen wird oder nicht, kann ich eher nicht sagen."
Stefan und seine Mitstreiter sind überzeugt: Cyborgs und ihre Lebensweise werden in der nahen Zukunft ein sehr relevantes Thema sein, das auch gesellschaftliche Auswirkungen haben wird. Kann Technik tatsächlich ein Teil des Körpers und der Persönlichkeit sein? Stefan hat diese Frage für sich bereits beantwortet. Nun steuert er mit seinem Magneten sein Smartphone und beantwortet so die Anrufe von anderen Cyborgs."
Quelle: Text Alexandra Gurkowa - „Stimme Russlands"