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Ökonom: „China hat ein völlig anderes Verständnis von Menschenrechten als der Westen“

Archivmeldung vom 20.11.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.11.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Anja Schmitt
Chinas Flagge (Symbolbild)
Chinas Flagge (Symbolbild)

Bild: © CC0 / SW1994/pixabay

Der Westen sieht Menschenrechte völlig anders als China. Diese These vertritt Werner Rügemer, Ökonom und Philosoph aus Köln, im SNA-Interview. Während hierzulande vor allem Meinungs- und Religionsfreiheit im Fokus stünden, „setzt China auf seine Wirtschaft und versucht, alle seine Bürger mit Arbeit, sicheren Löhnen sowie Wohnraum zu versorgen.“

Diese ökonomische Dimension der Menschenrechte fehle im Westen völlig. Das kritisierte der Kölner Ökonom und Vorreiter für die Sozialen Menschenrechte, Werner Rügemer, im Gespräch mit SNA News. Der Philosoph und Wirtschafts-Experte sagte sinngemäß:

Erst wenn Menschen wirtschaftlich abgesichert sind, können sie ihr wahres Potenzial entfalten.

Genau dies würde China umsetzen. Dabei hatte er auch die Geschichte des Landes im Blick. In einem aktuellen Aufsatz, der der Redaktion vorliegt, erinnert Rügemer an die blutige Kolonialgeschichte im chinesischen Reich. Verursacht hauptsächlich durch die Europäer.

Unter der Überschrift „Die Kommunistische Partei Chinas, die Menschenrechte und das Völkerrecht“ schreibt er:

„Kein Land der Erde war von den Kolonialmächten bis ins 20. Jahrhundert so unterdrückt und ausgebeutet worden wie China: Nur dort waren fast alle Kolonialmächte präsent, die frühesten wie Portugal, Niederlande, Schweden, Belgien, Frankreich und Dänemark, dann vor allem England, dann auch Russland und Frankreich, später auch die Neokolonialisten USA, Deutschland und Japan. Zudem kooperierten sie mit einheimischen Feudalherren und Verbrechens-Clans. Auch die Diktatur Chiang Kai-sheks, von den USA und vom deutschen Hitler-Regime unterstützt, instrumentalisierte feudale und kriminelle Kräfte gegen Volksaufstände und gegen die Kommunistische Partei Chinas. So übernahm die Kommunistische Partei nach dem militärischen Sieg über diese Kräfte und mit der Gründung der Volksrepublik China 1949 eine enorm schwierige Aufgabe. Extreme Massenarmut, extreme Unterentwicklung – und den neuen Hauptgegner USA bekämpfte die Volksrepublik mit alten und auch neuen Methoden.“

Kritik an Klima-Politik und neue Präsidenten-Resolution in China

Bis heute würden westliche Regierungen wie die der USA, die deutsche Bundesregierung oder die EU-Zentrale in Brüssel häufig China kritisieren, moniert Rügemer. Und das aus vielfältigsten Gründen. Häufig werden die in China angeblich fehlenden Menschenrechte angemahnt, oft gibt es auch wirtschaftliche Streitfragen. Ebenso wird Peking vorgeworfen, es würde sich internationaler Kooperation verweigern. Zuletzt war dieser Vorwurf im Rahmen der jüngsten Klima-Konferenz COP26 in Glasgow zu hören.

Aktuell wird eine neue Resolution Chinas im Westen stark kritisiert. Diese würde eine Amtszeit des chinesischen Präsidenten Xi Jinping „auf Lebenszeit zementieren“, so der Vorwurf gegenüber Peking. Über diese für den chinesischen Staat, dessen Partei und Verfassung „wegweisende Resolution“ berichtete am 8. November die englischsprachige chinesische Zeitung „South China Morning Post“. Beschlossen von 400 führenden Funktionären auf einer großen Plenarsitzung des Zentralkomitees der KP, sieht der Beitrag diese Resolution in der Tradition früherer Erlasse durch vormalige Staatsführer wie Mao Zedong und Deng Xiaoping. „Sie beinhaltet (…) wichtige Errungenschaften, gewonnene Erkenntnisse und Richtungen für zukünftige Politiken.“ Prompt folgte Kritik an dieser Entscheidung durch westliche Medien. „Xi Jinping schreibt die Geschichte um, um seine politische Zukunft zu sichern“, titelte das französische Medium „France24“ daraufhin. „Xi führt eine neue Doktrin ein, die ihn ein Leben lang regieren lassen könnte“, so die US-Nachrichtenagentur „Bloomberg“. Ähnlich negativ äußerte sich auch das einflussreiche US-Politikmagazin „The Hill“.

Der Kölner Ökonom und Philosoph Rügemer schilderte im Interview eine etwas andere Sicht auf diese Vorgänge und die asiatische Weltmacht. Nach dem rasanten Wirtschaftsaufschwung, den China ab etwa 1980 bis heute hinlegte, sei es stets Ziel der KP-Führung in Peking gewesen, auch die eigene Bevölkerung an Wohlstand, Lohnentwicklung und Arbeit teilhaben zu lassen. Dieser historisch einmalige Aufholprozess habe die chinesische Volkswirtschaft zu eine der mächtigsten der Welt gemacht. „Das hat China sozusagen erfolgreich erzwungen“, schätzte er ein.

Dies geschah über eine strategische und „schrittweise Umkehr der westlichen Arbeitsweise und Arbeitsprozesse. Ein wichtiger Teil dieser Umkehrung besteht eben nach wie vor darin, dass anfänglich sehr schlecht bezahlte Arbeitskräfte schrittweise das Arbeitseinkommen erhöht bekamen, sodass wir im Laufe der letzten zehn bis 15 Jahre eine durchschnittliche Erhöhung der Arbeitseinkommen in China zwischen fünf und acht Prozent erlebt haben. Also eine Entwicklung, die weder in einem anderen Entwicklungsland noch in irgendeinem der hochindustrialisierten, sogenannten reichen kapitalistischen westlichen Staaten errungen worden ist. Das hat auch dazu geführt, dass in China inzwischen die größte Mittelklasse entstanden ist. Während in allen westlichen Staaten – in den USA voran – aber auch in den führenden Staaten der Europäischen Union wie Deutschland oder Frankreich, die Mittelschicht schrittweise verarmt wird.“

Was sind Menschenrechte dem Westen wert?

„Die universelle Erklärung der Menschenrechte durch die Uno nach dem Zweiten Weltkrieg hat zu einem neuen Verständnis der Menschenrechte geführt“, sagte er. „Nämlich: Dass zu den alten aufklärerischen bürgerlichen Menschenrechten – also etwa der Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der freien Bewegung innerhalb eines Staates – wesentlich die Arbeits- und Sozialrechte hinzugekommen sind.“ Darunter auch Sozialversicherung, Krankenversicherung und Rentenversicherung. „Oder das Recht auf kostenlose Bildung oder das Recht auf eine sichere Wohnung“.

Laut Rügemer ist China der einzige Staat der Erde, der dies aktuell in seiner Politik für seine Bürger umsetzt.

„Aber diese arbeitsmäßigen und sozialen Menschenrechte sind von den westlichen Staaten unter Führung der USA zwar anfänglich sozusagen mit verabschiedet worden, aber dann sehr schnell verdrängt und vergessen worden“, bemängelte Rügemer. „Sie gelten beispielsweise auch in der Europäischen Union nicht.“

In China sehe dies anders aus, argumentierte er. Im chinesischen Verständnis werde als elementares Menschenrecht – „sozusagen die Grundlage für die Wahrnehmung weiterer Menschenrechte“ – eine auskömmliche Arbeit gesehen. „Die auch nicht nur das arbeitende Individuum ernährt, sondern auch die dazugehörige Familie. Dieses zentrale Menschenrecht ist in China bisher als einzigem Staat realisiert. Nachdem die anderen sozialistischen Staaten untergegangen sind, ist es heute China als der einzige Staat, der dieses zentrale neue Menschenrecht, nämlich das Recht auf Arbeit, als eine prinzipielle staatliche Aufgabe verfolgt.“

Das Ergebnis könne sich sehen lassen: Laut Angaben der Uno sind dank dieser Strategie in der Volksrepublik etwa 700 bis 800 Millionen Menschen aus extremer Armut befreit worden. Ebenso interessant: „Etwa 90 Prozent der Chinesen haben eine eigene Wohnung. Und erst, wenn man diese lebenssichernde Grundlage und Grundrecht sozusagen realisiert hat, ist man in der Lage, andere Menschenrechte wahrzunehmen.“

„Zu einseitige Sicht der Menschenrechte im Westen“

Der Westen würde die Menschenrechte „nur einseitig anmahnen“, so Rügemers Vorwurf. Die wirtschaftliche Perspektive als Lebensgrundlage fehle darin völlig. Ganz anders im Reich der Mitte: Ihm zufolge hat der chinesische Volkskongress um das Jahr 2000 herum ein neues Arbeitsgesetzbuch eingeführt. „Auch mit Kündigungsschutz, Arbeitsschutz und Regelungen zur Befristung für Leiharbeit und so weiter“, sagte er. „Als es damals darum ging, haben alle westlichen Lobby-Verbände – also die Zusammenschlüsse der westlichen Unternehmen, die Industrie- und Handelskammern der Europäischen Union und der USA – dann in China protestiert. Diese haben folgende Drohung formuliert: ‚Nein, bitte verabschiedet dieses neue Arbeitsgesetzbuch nicht, sonst gehen wir weg aus China‘.“

Aber trotz dieser Kritik aus dem Westen ging die chinesische Regierungspartei KP im Volkskongress ihren Weg: „Man hat das trotzdem durchgezogen und damit unter anderem auch eben die gesetzliche und staatliche Grundlage gelegt, dass sich die Arbeitseinkommen in China eben seither so gut entwickeln konnten.“

Danach blickte er auf die „zu einseitigen, vom Westen forcierten Menschenrechte. Also Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit etc. Und dann kommen wir zu den Uiguren.“ Die Uiguren sind eine turkspachige Volksgruppe, die in China vor allem im sogenannten Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang im Westen des Landes lebt. Darüber hinaus aber auch in kleineren Teilen in Zentralasien ansässig sind, etwa in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan.

Terror-Bekämpfung in Ost und West: Wenn Zwei das Gleiche tun, ist es nicht Dasselbe…

„Es ist Tatsache, dass die Uiguren zu den 55 staatlich anerkannten ethnischen Minderheiten in China gehören“, erklärte der Kölner Experte. „Ihre kulturellen Rechte wie die Religionsausübung, also etwa das Betreiben von Moscheen für die islamischen Uiguren, sind also gewährleistet. Auch die eigene Sprache und so weiter wird staatlich geschützt. Aber es gibt eben in Teilen der Uiguren die Nostalgie hin zum historisch lange bestehenden Islamischen Königreich der Uiguren (existierte bis etwa 1759, Anm. d. Red.). Das möchten manche wiederhaben.“ Dass das sozialistisch bis kapitalistisch geprägte China „ein solches monarchisch, religiös orientiertes Regime“ auf seinem Staatsgebiet nicht haben wolle, erkläre sich von selbst.

Hinzu komme, so Rügemer, dass Terror-Organisationen innerhalb mancher Gruppen der Uiguren vom Westen unterstützt würden. „Inzwischen gibt es zwei uigurische Welt-Assoziationen: Die eine mit Sitz in Washington, sie wird von dort finanziert. Die zweite mit Sitz in München, sie wird von Deutschland aus finanziert.“ Er erinnerte an Terroranschläge in Xinjiang. „Mit vielen Todesfolgen. Jene so organisierte Uiguren sind im Zuge der Globalisierung immer mehr tätig geworden und haben sich eben mit dem islamistischen Terrorismus vernetzt.“

Nach den Terror-Anschlägen von „9/11“ im September 2001 habe „der damalige US-amerikanische Präsident George W. Bush die Uiguren auch zu den zu verfolgenden terroristischen Gruppierungen gezählt.“ Bekannt sei ebenso, dass vor einigen Jahren „mehrere tausende uigurische Terroristen (als Söldner) auf Seiten des Westens in Syrien gekämpft haben.“ Klar sei vor diesem Hintergrund, dass die chinesische Regierung diesen Terrorismus innerhalb Chinas bekämpfen und zurückdrängen wolle. „Das ist ja wohl selbstverständlich“, so Rügemer. „Das schreiben sich die westlichen Staaten nun auch existenziell selber zu. Wie etwa Frankreich. Dass man eben den Terrorismus, der von außen kommt oder von innen genährt wird, eben heftig bekämpfen muss.“

Diese Terror-Bekämpfung habe sich nun auch Peking auf die Fahnen geschrieben. „Aber genau das wird vom Westen sozusagen als Unterdrückung der Meinungsfreiheit gebrandmarkt“, kritisierte SNA-Gesprächspartner Rügemer.

Dies sei Doppelmoral. Zumal der „Krieg gegen den Terror“ noch bis vor wenigen Jahren zur absoluten Staatsräson führender westlicher Staaten gehörte. Darunter an vorderster Front die USA, Großbritannien, Frankreich, Italien oder Deutschland. Aber wenn es gegen eigene Interessen gehe, sei Kritik an Chinas Regierung angeblich „zulässig“, ordnete der Ökonom und Philosoph ein.

Das Radio-Interview mit Dr. Werner Rügemer zum Nachhören:

SNA Radio · „China hat ein völlig anderes Verständnis von Menschenrechten als der Westen“ - Dr. RÜGEMER

Quelle: SNA News (Deutschland)

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