Atomarer Gegenwind für Windenergie
Archivmeldung vom 16.10.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnterhändler von Union und FDP sind sich einig: Die Laufzeit von Atomkraftwerken soll verlängert werden, Kernenergie soll als "Brückentechnologie" dienen. "Eine falsche Weichenstellung in die Vergangenheit", rügt Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie: "Monopole werden zementiert, Jobs und ein Exportschlager gefährdet.
"Sichere Atomkraftwerke" sollen über 2022 hinaus unbefristet am Netz bleiben. Welche Folgen hat dies für die regenerativen Energien?
Hermann Albers: Laufzeitverlängerungen von Kernkraftwerken gefährden den Ausbau der regenerativen Energien. Wir konnten nach dem Atomkonsens davon ausgehen, dass die Kernenergie bis etwa 2023 am Netz sein würde -- allerdings mit abnehmender Leistung. Diese wollen wir mit erneuerbaren Energien ersetzen. Die Erneuerbaren Energien-Branche kann bis 2020 etwa jede zweite Kilowattstunde Strom bereitstellen -- wenn man uns lässt.
Die "Zusatzgewinne" der Energiekonzerne wollen die Koalitionäre abschöpfen, um damit regenerative Energien zu fördern. Ist dies ein adäquater Ersatz für Ihr Vorhaben?
Albers: Ganz sicher nicht. Denn längere Laufzeiten von Kernkraftwerken zementieren die bestehenden Monopole der Energiewirtschaft. Das kann überhaupt nicht im Interesse der FDP sein, die seit Jahren mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt fordert. Laufzeitverlängerungen konterkarieren dieses Ziel. Die vier Energieriesen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall teilen sich aktuell 87 Prozent des Strommarktes auf. Eine Laufzeitverlängerung festigt diesen Status Quo und verhindert eine Liberalisierung des Strommarktes.
Offshore-Windparks erfordern hohe Investitionen. Gibt es für Konzerne, die abgeschriebene Atommeiler melken können, noch einen Anreiz, neue Wege zu gehen?
Albers: Kaum. Die Branche der Erneuerbaren warnt seit Jahren davor, dass eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke den Anreiz für die großen Vier sinken lässt, in Offshore zu investieren. Schließlich ist die Versorgung der Strommärkte durch abgeschriebene Atommeiler deutlich gewinnträchtiger als die Investition in technologisches Neuland wie die Windenergie auf hoher See. Es ist zu befürchten, dass die Stromkonzerne zwar die Claims für die Offshore-Projekte sichern, die Umsetzung der Projekte aber nicht vorantreiben. Schließlich würde der Offshore-Strom den Strom aus eigener Kohle und Atom verdrängen. Der zwingend notwendige Umbau des deutschen Kraftwerksparks hin zu einer dezentralen, erneuerbaren und damit vor allem klimaschützenden Energieerzeugung wird auf diesem Wege aufgehalten.
30000 Jobs sollten in Norddeutschland durch die Windparks vor der Küste entstehen. Ein Ziel, von dem man sich verabschieden muss?
Albers: Warten wir zunächst mal ab, wie die Koalitionsvereinbarungen im Detail aussehen. Richtig ist aber, dass ein Ausbau der Windkraftanlagen sowohl auf See als auch an Land großes Jobpotenzial hat. Bei den erneuerbaren Energien insgesamt könnte -- ihren weiteren Ausbau vorausgesetzt -- die Zahl der Arbeitsplätze von jetzt 280000 auf 500000 im Jahr 2020 steigen. Dieses Ziel wackelt, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien verlangsamt wird. Darüber hinaus gefährdet ein Abbremsen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien den deutschen Exportschlager Windenergie: Über 80 Prozent aller produzierten Anlagen aus deutscher Produktion werden ins Ausland verkauft. Die deutsche Volkswirtschaft profitiert erheblich von diesem Erfolg.
Vattenfall droht trotz des Einstiegs in den Ausstieg der Totalausfall: Sowohl Brunsbüttel als auch Krümmel gelten als Abschalt-Kandidaten. Ein Anreiz, in Windkraft zu investieren?
Albers: Alle Energieversorgungsunternehmen haben die Erneuerbaren auf der Agenda. Es bleibt abzuwarten, ob den Ankündigungen auch wirklich Taten zum Ausbau von Wind, Sonne & Co. in Deutschland folgen. Deshalb kann ich der künftigen Bundesregierung nur raten, sich beim Ausbau der Erneuerbaren Energien weiterhin auf die "Tempomacher" der letzten Jahre zu verlassen. Das ist der deutsche Mittelstand. Auf dessen Engagement für den Ausbau Erneuerbarer Energien ist Verlass, um das deutsche Klimaschutzziel -- Reduktion der deutschen CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2020 --- zu erreichen.
War der Ausbau der norddeutschen Küstenhäfen in der Erwartung des Offshore-Booms vergebens? Albers:
Das ist zu befürchten, wenn das Ausbautempo bei der Windkraft gedrosselt wird. Wir hinken ohnehin den Wettbewerbern in Großbritannien, Schweden oder Dänemark um acht Jahre hinterher. Die Politik hat aber erkannt, dass die Windkraft die größten Chancen bietet, kostengünstig CO2-freien Strom zu produzieren. Seit Anfang des Jahres hat der Gesetzgeber mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes einen verlässlichen wirtschaftlichen Rahmen für die Offshore-Windenergie gesetzt. Wer das wenige Monate später in Frage stellt, bricht das Vertrauen in die Kontinuität deutscher Politik. Das wäre sicher kein Ruhmesblatt im globalen Wettbewerb um die besten Klimaschutztechnologien.
Alte Atommeiler, neue Kohlekraftwerke und Offshore-Windparks würden für Überkapazitäten sorgen und den Strompreis drücken. Stirbt die Windkraft auf dem Altar des Profits?
Albers: Die wirtschaftliche Rendite bestimmt natürlich das Tagesgeschäft der großen Energieversorger. Wer alle Energiearten anbietet, stellt sich dann die Frage, welche die profitabelste ist. So fallen zukunftsträchtige, aber momentan bei der Stromerzeugung teurere Energieträger durchs Raster. Der Betrieb von Kohlekraftwerken scheint profitabler, wenn die CO2-Emissionen nicht berücksichtigt werden. Und der Betrieb von Atommeilern scheint profitabler, wenn Entsorgung und Versicherung in der Rechnung außen vor bleiben. Das ist zu kurz gedacht. Deutschland braucht eine wirkliche Energiewende hin zu einem dezentralen und erneuerbaren Kraftwerkspark. Dabei spielt die immer wieder genannte Grundlast in der Zukunft eine immer unwichtigere Rolle. Wir brauchen im Jahre 2020 nur noch etwa halb so viel Grundlastkraftwerke wie heute. Stattdessen brauchen wir neben einer intelligenten Vernetzung aller Erneuerbaren neue Speichertechnologien und flexible Kraftwerke, die auf das variierende Stromangebot der Erneuerbaren reagieren können. Kern- und Kohlekraftwerke können diese Anforderungen nicht erfüllen. Sie sind Dinosaurier im erneuerbaren Kraftwerkspark der Zukunft. Sie verstopfen die Netze und sorgen dafür, dass bestehende Monopole gestärkt, erneuerbare Energien und Klimaschutz hingegen geschwächt werden.
Welche Chancen hat unter diesen Bedingungen der Ausbau der Netze, an dem es hapert?
Albers: Ganz sicher müssen die Netze massiv aus- und umgebaut werden. Notwendig ist eine leistungsfähige Infrastruktur für eine dezentrale, erneuerbare und damit klimaschützende Energieerzeugung.
Gibt es strategische Konflikte innerhalb der Konzerne?
Albers: Ganz bestimmt sogar. Die für die deutsche Energiepolitik entscheidende Frage ist. Wer setzt sich in der künftigen Ausrichtung der Energieversorger durch? Die etablierte Mehrheit der fossilen und nuklearen Dinosaurier oder aber die wachsende Anhängerschaft der Erneuerbaren? Davon unbeeindruckt investiert der deutsche Mittelstand weiter in die Erneuerbaren Energien, um das Ausbautempo hochzuhalten. Es wird uns auch ohne die heutigen Monopolisten gelingen, bis 2020 jede zweite Kilowattstunde aus Wind, Sonne, Wasser oder Biomasse bereit zu stellen, wenn Politik und Energiewirtschaft uns lassen.
Die Subventionen für Solaranlagen auf Äckern sollen sofort fallen. Verabschiedet sich Deutschland von seinen Klimaschutzzielen?
Albers: Auch hier bleibt der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag im Detail abzuwarten. Fakt ist: Die deutsche Solarenergiewirtschaft hat bisher eine beachtliche Leistung hingelegt. Deren Startschuss fiel erst 2000, dennoch haben wir schon erhebliche Preisrückgänge in diesem Bereich zu verzeichnen. Die Branche selbst kündigt an, dass Solarstrom bereits in fünf Jahren zu dem Preis angeboten werden kann, zu dem die Energieriesen jetzt liefern. Das würde den Durchbruch für diese Industrie bedeuten. Notwendig für diesen jungen Industriezweig sind Investitionssicherheit und ein deutscher Heimatmarkt. Überstürzte Kürzungen der EEG-Förderung bremsen die bisher positive Entwicklung ab. Wir brauchen alle Erneuerbaren Energien im Konzert, um die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen.
Bild: Landeszeitung Lüneburg