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Bis das Kind zerrieben ist: Sorgerechts- und Umgangsverfahren dauern bis zu 3x länger als vor 15 Jahren

Archivmeldung vom 04.02.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.02.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Bild: Screenshot Internetseite: "https://vaeteraufbruch.de" / Eigenes Werk
Bild: Screenshot Internetseite: "https://vaeteraufbruch.de" / Eigenes Werk

Wenn Eltern nach einer Trennung um die Kinder streiten, soll es vor Gericht zügig gehen. Der Verein Väteraufbruch für Kinder e.V. hat jetzt erstmals in Deutschland detaillierte Daten zur Verfahrensdauer erhoben und ausgewertet. Das Ergebnis offenbart schwere Mängel bei den Familiengerichten und ein völliges Versagen der Politik. Denn die Verfahren dauern mittlerweile 3x so lange wie vor der Gesetzesreform vor 15 Jahren.

"Was nützen gesetzliche Vorgaben, wenn die Gerichte diese nicht einhalten?", fragt Markus Witt, Mitglied im Bundesvorstand des gemeinnützigen Vereins Väteraufbruch für Kinder e.V. Der Verein hat eine umfassende Auswertung zur Dauer von gerichtlichen Sorgerechts- und Umgangsverfahren veröffentlicht. Diese Verfahren sollen zügig verhandelt werden, um die Familien und vor allem die Kinder nicht unnötig lange zu belasten. Wegen zu langer Verfahrensdauern in Kindschaftssachen ist Deutschland schon mehrfach vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. 2008 hatte der deutsche Gesetzgeber daraufhin das Familienrecht angepasst, um die Gerichte zur beschleunigten Verfahrensführung anzuhalten.

"Im Ergebnis dauern die Verfahren mittlerweile rund 3x so lange wie vor der Reform. In dieser Deutlichkeit haben selbst uns die Ergebnisse überrascht, auch wenn uns die Tendenz klar war" erklärt Witt. Die Politik habe hier versagt und Kinder nicht ausreichend geschützt. Auch die Anzahl der gerichtlichen Umgangsverfahren nimmt mit jeder Familienrechtsreform massiv zu. Die Eltern können der Eskalation und Verzögerung der Verfahren häufig nur hilflos und machtlos zusehen.

Dabei ist es nicht so, dass jedes Verfahren zu lange dauert. Es gebe auch positive Beispiele und nicht immer sei Beschleunigung ein Selbstzweck, wie der Verein betont. Dies hänge aber stark von der Einstellung des entscheidenden Familienrichters und dessen Vorgehensweise ab, wobei Familienrichter bis heute keine Ausbildung in Familienrecht oder zur Beurteilung des Kindeswohls erhalten. "Das Problem ist, dass durch Zeitablauf Fakten geschaffen werden, etwa, wenn ein Elternteil mit dem Kind einfach wegzieht oder der Kontakt verweigert wird. Dann zählt jeder Tag zur Aufrechterhaltung des Kontaktes. Viele Gerichte billigen solch kindeswohlschädliches Verhalten dann durch aussitzen nach dem Motto Kind weg - Fall erledigt", wie Witt und seine Kolleginnen und Kollegen es häufig erleben.

Durchschnittlich würden die Verfahren schon am Amtsgericht über ein Jahr dauern, auch mehrere Jahre seien keine Seltenheit. Geht es dann noch in die zweite Instanz zum Oberlandesgericht könnten bei komplexen Verfahren auch mal fünf oder mehr Jahren bis zur Entscheidung vergehen. Die Kindheit ist dann häufig schon vergangen, die Situation verfestigt, die Gerichte haben nichts mehr zu entscheiden. Die Eltern aber bleiben auf Kosten von mehreren 10.000 EUR sitzen - für nichts. Geld, was auch für die Versorgung der Kinder fehlt. Profitiert haben nur Anwälte und Gutachter, deren Kosten die Eltern trotzdem zahlen müssen.

Die betroffenen Mütter und Väter kommen in der Auswertung häufig zu Wort, ihre Kommentare geben einen tiefen Einblick, was es für einen Elternteil bedeuten kann, mit dem deutschen Familienrecht in Kontakt zu kommen. Wut, Trauer, Enttäuschung und Traurigkeit, verbunden mit der Sorge darum, wie es den eigenen Kindern später einmal gehen wird oder auch ergangen ist.

61% der befragten gaben an, dass die Gerichtsverfahren negative Auswirkungen hatten, 18% konnten gar keine Auswirkungen feststellen. Lediglich 21% der Befragten waren der Ansicht, dass die Gerichtsverfahren zu einer positiven Entwicklung beigetragen hätten. Ähnliche Ergebnisse gab es in früheren Befragungen auch zur Arbeit der Jugendämter, was die Frage offenlässt, wie man Eltern besser einbinden und unterstützen kann.

"Die Ergebnisse sollten allen Beteiligten, vor allem der Politik, Anlass zum Handeln geben - und zwar schnell. Jeden Tag, den man untätig verstreichen lässt, werden Kinder in unserem streitfördernden Familienrecht zerrieben. Wer Kinderrechte ernst nimmt, kann hier nicht untätig weiter abwarten, bis Deutschland erneut vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wird". Politische Bestrebungen, an der Situation etwas zu verändern, seien laut Witt bisher aber nicht erkennbar. Er appelliert daher an die Familienrichter vor Ort, zügig und mit Augenmaß im Sinne der Kinder zu handeln. "Sie haben es maßgeblich in der Hand, dass ein Rahmen geschaffen wird, in dem Kinder möglichst wenig belastet werden. Bitte nehmen Sie diese Verantwortung ernst, wenn die Eltern dazu aktuell alleine nicht in der Lage sind und schaffen Sie gemeinsam mit Jugendämtern und Beratungsstellen Wege, wie die Eltern auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens unterstützt werden können". Die Kinder dürften nach Schließung der Gerichtsakte nicht aus dem Blick verloren werden.

Alle Ergebnisse der Umfrage hat der Verein auf seiner Homepage und in einer ausführlichen Dokumentation veröffentlicht, die kostenfrei zum Download zur Verfügung steht. Der Verein bittet Eltern, Anwälte und Familienrichter darum, auch weiterhin Daten zu abgeschlossenen Sorge- und Umgangsverfahren zu erfassen, um für zukünftige Folgeauswertungen eine noch breitere Basis zu erhalten. (Link zur Umfrage)

Kernaussagen der Auswertung im Überblick:

  • Der erste Termin, der nach dem Gesetz innerhalb eines Monats stattfinden soll, findet durchschnittlich erst nach rund einem halben Jahr (178 Tage) statt
  • An Oberlandesgerichten wird die gesetzliche Monatsfrist überhaupt nicht beachtet - Rund 40% der Verfahren können im ersten Termin zum Abschluss gebracht werden
  • Verfahrensdauern von einem Jahr und mehr sind sowohl an Amts- als auch an Oberlandesgerichten die Regel, zwei und mehr Jahre (je Instanz) nicht ungewöhnlich (max. 14 Jahre)
  • Der Verfahrensbeistand ("Anwalt des Kindes") ist mittlerweile fester Bestandteil in Kindschaftsverfahren
  • Ein Gutachten in Sorge- und Umgangsverfahren dauert im Schnitt 8 bis10 Monate, bis es fertiggestellt ist. Es können aber auch über drei Jahre sein
  • Mit Verfahrensbeistand verlängert sich ein Verfahren um 50%, mit einem Gutachter dauert es mindestens dreimal so lange
  • In rund 80% der Fälle wird der erste Antrag bei Gericht durch den Vater eingereicht
  • Kaum einer der Beteiligten sieht die Interessen des Kindes im Mittelpunkt des Verfahrens stehen
  • In 37% der Fälle kam es zu einem Kontaktabbruch
  • Das Bundesverfassungsgericht wird seiner Wächteraufgabe nicht gerecht, da über Verfassungsbeschwerden nicht (zu selten) entschieden wird
  • Familienrechtliche Reformen der letzten Jahrzehnte haben immer zu einer deutlichen Verschärfung des Streits und in der Folge der gerichtlichen Verfahren geführt

Väteraufbruch für Kinder e.V.: www.vaeteraufbruch.de

Quelle: Väteraufbruch für Kinder e.V. (ots)

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