Zankapfel Bürgergeld: Sind die paar Euro mehr wirklich ein Grund, nicht mehr zu arbeiten?
Archivmeldung vom 10.12.2022
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Freigeschaltet durch Mary SmithSeit es das neue Bürgergeld gibt, streiten sich die Lager darum, ob damit nicht ein Anreiz geschaffen werde, sich in die vielzitierte „soziale Hängematte zu legen“. Es kann aber nicht um die etwas über 50 Euro mehr im Monat gehen. Es ist vielmehr das Gesamtpaket an Leistungen worum es hier geht. Grundsätzlich wissen Menschen mit Hartz IV schon, wie knapp man da gehalten wird und dass das kein Zuckerschlecken ist. Letztendlich wissen wir aber auch aus unserem Bekannten- und Verwandtenkreis, dass es auf denjenigen selbst ankommt, was er draus macht. Dies schreibt Niki Vogt.
Mehr dazu schreibt sie bei "Die Unbestechlichen" folgendes: " Schon immer gab es die, die einfach auf niedrigem Niveau „hartzen“, und deren einzige Form von Ehrgeiz es ist, alle Möglichkeiten auszureizen, noch irgendwie an zusätzliche Programme mit Unterstützungszahlungen zu kommen, Fortbildungen möglichst arbeits-un-intensiv zu gestalten, unter der Hand doch noch was irgendwo an Geld zu ergattern, möglichst schwarz. Das haben solche Leute schon immer so gemacht und werden es nun auch mit dem neuen Bürgergeld fortsetzen. Und es gibt die, die sich wirklich reinhängen, machen und tun, um wieder einen Job zu bekommen, der sie ernährt und in dem sie weiterkommen — und dazwischen so ziemlich alle Schattierungen.
Das neue Bürgergeld bringt auch ein höheres Schonvermögen. Man muss also nicht erst einmal das Gesparte fast aufbrauchen, bevor man Leistungen bezieht. Jetzt darf man bis zu 40.000 € an Rücklagen haben, und bekommt dennoch Bürgergeld. Ein Jahr lang hat man Karenzzeit, kann in der Wohnung bleiben und darf sein Sicherheitspolster behalten. Wer sich das zusammengespart hat, der hat in der Regel auch fleißig gearbeitet und wird sowieso zusehen, dass er eine Arbeit bekommt. Zumal jede weitere Person in der „Bedarfsgemeinschaft“ (früher mal „Familie“) auch noch 15.000 € Vermögen besitzen kann. Die Unterkunftskosten werden jetzt in tatsächlicher Höhe anerkannt. Die Heizkosten werden in angemessener Höhe übernommen.
Eigentlich gönnt man das jedem von Herzen. Das eigentliche Problem ist das, dass Bürger, die brav in Vollzeit arbeiten, zum Teil unter schlechteren Bedingungen leben.
So schreibt die Bild:
„Alltagsirrsinn im Jobcenter. Jeden Tag bewilligen Mitarbeiter Heizkosten-Zuschüsse für Hartz-IV-Empfänger. Doch selbst wissen sie nicht, wie sie trotz 40-Stunden-Woche ihre Gasrechnung bezahlen sollen. (…)“
Ein Jobcenter-Mitarbeiter wird zitiert:
„Wir hatten hier neulich den Fall, dass eine Nachzahlung für Heizkosten von 2400 Euro allein für dieses Jahr akzeptiert wurde, plus die erhöhten Abschläge für das kommende Jahr. Ich habe eine Kollegin, bei der sich der monatliche Abschlag von 160 auf 480 Euro verdreifacht hat und die völlig verzweifelt ist, weil sie das Geld nicht hat. Bei mir selber sieht es nicht viel besser aus. (…) Ich bin meilenweit davon entfernt, jemals meine Wählerstimme an die AfD zu verschwenden. Aber zur Wahrheit gehört: Diejenigen, die so gar keine Motivation zeigen, wegen der Krisen-Lage weniger zu heizen, kommen aus meist wärmeren Gefilden, z. B. aus dem Mittleren Osten. Die wundern sich, dass wir hier bei Temperaturen zwischen 18,5 und 19,5 Grad arbeiten, weil es in ihren Sozialwohnungen ja viel wärmer ist. Und dann kriegen wir von der Zentrale aus Nürnberg so ein Rundschreiben, dass bei Gasheizungen das 2,8‑fache an Kosten zu übernehmen ist und bei Öl unter bestimmten Bedingungen einfach alles. “
DAS ist der eigentliche, neuralgische Punkt. Natürlich hat jedes Land so seine „Lebenskünstler-Bürger“, die abgreifen, was geht und möglichst wenig arbeiten – und auch nichts für die Gemeinschaft tun. Es gibt ja einige Leute, die sind zwar praktisch dauerhaft in Hartz IV, engagieren sich aber in allen möglichen Bereichen freiwillig und unentgeltlich und tragen so wieder viel zum Allgemeinwohl bei. Auch das ist eine absolut akzeptable Sache. Der Kamm schwillt aber dem Gutwilligsten, wenn hier Massen an Menschen unkontrolliert hereinkommen, die von Anfang an kein anderes Ziel haben, als auf Kosten des „reichen Deutschlands“ zu leben. Gerade die neuen Pläne, hier nach kürzester Zeit die Staatsbürgerschaft nachgeworfen zu bekommen, ist der Zündsatz am Bürgergeld.
(Bevor es hier irgendwelche Missverständnisse gibt: Ich habe einen angeheirateten Onkel aus Syrien, ein studierter Musiker, der hier Industriekaufmann gelernt hat und um die Ausbildung und um sein Leben zu finanzieren als Busfahrer Schicht gearbeitet hat. Er war sein Lebtag bis zur Rente in Lohn und Brot. Er spielte sehr lange in seiner Freizeit in einem Orchester Geige, bis die Knochen eben nicht mehr mitspielten. Ein sehr feiner, kultivierter, warmherziger Mensch, in seiner gesamten Umgebung und in der großen Familie hoch geschätzt. Ich bin weit davon entfernt, etwas gegen Zuwanderer zu haben, wenn sie sich hier integrieren. Davon habe ich einige im Bekanntenkreis, die übrigens unter uns „rechten Covidioten“ absolut respektiert sind.)
Es kommt natürlich beim Bürgergeld immer auf die Kombination der bestimmenden Faktoren an. Die CDU/CSU rechnet als Gegenargument zum Bürgergeld ein Beispielszenario vor, nach dem ein Ehepaar mit zwei Kindern durch das Bürgergeld einige Hundert Euro mehr zum Leben hat, als wenn ein Elternteil zum Mindestlohn arbeiten ginge. Das wird nun in der Presse zerpflückt, allein schon, weil die AfD und die rechtskonservative Zeitung „Junge Freiheit“ ebensolche Rechnungen anstellt. Da alles, was sich „rechts“ von der SPD/Grüne/Linke positioniert mittlerweile als „Nazi“ eingestuft wird, sind echte Rechenbeispiele auch Nazi und werden in Bausch und Bogen weggeputzt.
So meint die Armutsforscherin (das gibt es) Susanne Gerull, Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, dass diese Rechenbeispiele meistens unvollständig sind und dabei bestimmte staatliche Leistungen verschweigen, die Menschen mit geringem Einkommen zustehen:
„Jemand, der arbeitet, kann nicht weniger haben, als jemand, der nicht arbeitet. Das geht rein rechnerisch nicht. Das ging bei Sozialhilfe nicht. Das geht bei Hartz IV nicht und kann beim Bürgergeld nicht so gehen.“
Susanne Gerull, Armutsforscherin
Oh doch, Frau Gerull, das geht. Die meisten von uns kennen solche Künstler, die zwar nicht angestellt arbeiten, aber dennoch sehr fleißig und fachkundig darin sind, alle Sonderprogramme und Beihilfen auszuschöpfen und eine Runde nach der anderen, eine Weiterbildung nach der anderen zu drehen. Und wenn nix mehr geht, dann die Mindestzeit eines Jobs abreißen, um dann wieder von vorne ins Arbeitslosengeld Eins einzusteigen und eine neue Runde einzuläuten. Daneben noch ein bisschen Schwarzarbeit für 15 €/Stunde, darunter tun sie’s nicht. Davon lebt man ganz gut.
Auf der ZDF-Seite kann man sehr schön den Krieg der Rechenbeispiele verfolgen. Das allein zeigt, dass hier mit allen möglichen Anstrengungen ein Vorteil für Geringverdiener herausgearbeitet wird. Was überhaupt nicht mit einfließt, dass jemand nebenbei noch an mehreren Stellen schwarz arbeitet und damit eben deutlich besser steht."
Quelle: Niki Vogt (Die Unbestechlichen)