Der Westen hat längst seine eigene „Seidenstraße“
Archivmeldung vom 04.09.2019
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtChina macht mit seiner „Neuen Seidenstraße“ Werbung in eigener Sache. Seit 2013 propagiert Peking mit großem politischem Aufwand seine „Belt & Road-Initiative“ als neues Entwicklungsmodell für Schwellenländer. Westliche Staaten sorgen sich vor Chinas wirtschaftlichen und geopolitischen Ambitionen und fordern eine Antwort auf die chinesische Strategie.
Die Studie "Was der Westen entlang Chinas neuer Seidenstraße investiert" der Bertelsmann Stiftung zeigt nun, dass der Westen der chinesischen Initiative selbstbewusst entgegentreten kann. Denn ein Vergleich von Finanzströmen offenbart: Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung sind westliche Staaten ein mindestens genauso wichtiger Investor. Aus westlichen Ländern sind zwischen 2013 und 2017 insgesamt etwa 290 Milliarden US-Dollar in die untersuchten "Belt & Road"-Länder, gegenüber etwa 285 Milliarden US-Dollar aus China geflossen. Eine Analyse einzelner Länder zeigt sogar: Für die große Mehrheit der untersuchten Staaten (16 von 25) sind Finanzströme aus westlichen Ländern wichtiger als aus China, zum Beispiel für Indien, Vietnam, Afghanistan, Ägypten und Nigeria. Nur für fünf Länder war China der wichtigere Partner, insbesondere für Pakistan, Kasachstan und Laos.
Ein wichtiger Grund dafür: Chinas "Belt & Road"-Ausgaben bleiben bisher stark hinter den Ankündigungen zurück. Im Vergleich dazu fließen aus westlichen Ländern konstante Investitionen in die betrachteten Länder. Die aufsummierten Zahlen würden noch deutlicher zugunsten des Westens ausfallen, wenn man die Finanzströme von vor 2013 mit in Betracht ziehen würde.
"Der Westen verkauft sein Engagement unter Wert. Wir können von China lernen, wie man sich als guter Partner für die Entwicklung darstellt", sagt Bernhard Bartsch, Asien-Experte der Bertelsmann Stiftung.
Der Westen könnte mehr Nutzen aus dem Projekt ziehen
China bemüht sich, auch EU-Staaten für seine "Belt & Road-Initiative" zu gewinnen. EU-kritischen politischen Kräften kommt das gelegen: Sie präsentieren China gerne als den besseren Partner. Doch das Beispiel Ungarn zeigt, dass die Zahlen dieser Rhetorik grundlegend widersprechen: Chinesische Investitionen spielen im Vergleich mit Transferleistungen und Investitionen aus westlichen Ländern, insbesondere der EU, so gut wie keine Rolle.
Angesichts der erheblichen Finanzierungsleistungen der westlichen Akteure, insbesondere der Europäischen Union und Deutschlands, kann die EU selbstbewusster als Partner in Schwellenländern auftreten. Die Diskussion über Infrastrukturförderung und Investitionen sollte nicht nur reaktiv als Antwort auf Chinas "Belt & Road-Initiative" geführt werden.
Die Europäische Union und Deutschland können eigene Institutionen, Technologien, Geschäftsmodelle und Wertvorstellungen in deutlich stärkerem Maße als bislang als Alternativen zu chinesischen Angeboten in der "Belt & Road"-Region vorstellen und aus Positivbeispielen mehr öffentlichen und diplomatischen Nutzen ziehen. Die 2018 vorgestellte "Konnektivitätsstrategie" der Europäischen Union, mit der die Verbindungen zwischen Europa und Asien ausgebaut werden sollen, bietet hierfür eine erste Plattform.
Europa braucht dabei keine prinzipielle Gegenposition zu China zu beziehen. Im Rahmen der "Belt & Road-Initiative" existieren zahlreiche Bereiche, in denen China und Europa gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen. Europa sollte vielmehr darauf hinarbeiten, in Drittländern Standards zu setzen, die dann auch für chinesische Finanzierungen gelten. Wo das gelingt, lassen sich Kräfte bündeln und gemeinsame Projekte betreiben.
Chinas "Belt & Road-Initiative" und die Aufmerksamkeit, die sie bekommt, sollte für den Westen allerdings Anlass sein, sich noch deutlich stärker in Schwellenländern zu engagieren. Gemessen an der relativen Wirtschaftskraft ist das chinesische Engagement immerhin 3,7mal größer als das westliche.
Zusatzinformationen
Die Studie "Was der Westen entlang Chinas neuer Seidenstraße investiert" wurde von Ökonomen der Universität Duisburg-Essen durchgeführt. Sie verglichen dafür die Geldströme, die 25 Schwellenländer in Zentralasien und Afrika aus China und westlichen Staaten erhalten. Als "westliche Staaten" wurden dabei die 28 Länder gezählt, die von der OECD als Geberländer geführt werden (sogenannte Development Assistance Committee-Mitglieder, kurz DAC-Länder). Zu den Empfängerländern gehören: Afghanistan, Myanmar, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Armenien, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Indien, Pakistan, Sri Lanka, Bhutan, Indonesien, Demokratische Volksrepublik Laos, Vietnam, Albanien, Weißrussland, Republik Moldau, Serbien, Ägypten, Marokko, Kenia, Nigeria und Tansania.
Analysiert wurden sowohl Unternehmensinvestitionen als auch Gelder der Entwicklungszusammenarbeit. Die Studie beruht auf den aktuellsten öffentlich zugänglichen Daten, für den Zeitraum von 2013 (offizieller Beginn der Seidenstraßen-Initiative) bis 2017. Wegen der schwierigen Vergleichbarkeit der Zahlen aus China und westlichen Ländern, wurden für China grundsätzlich die höchsten Schätzwerte zugrunde gelegt.
Quelle: Bertelsmann Stiftung (idw)