Studie: Jeder vierte Lehrer hat Probleme mit der Stimme
Archivmeldung vom 01.11.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtJede vierte Lehrkraft musste bereits wegen Problemen mit der Stimme Unterricht ausfallen lassen; jede zehnte hat aus diesem Grund schon mehrfach gefehlt. Das sind zwei Ergebnisse einer aktuellen Studie der Leuphana Universität Lüneburg. Wissenschaftlerinnen der Hochschule hatten dafür rund 600 Lehrer und Referendare an Lüneburger Schulen befragt. Für andere Bundesländer liegen ähnliche Zahlen vor, schreiben die Autorinnen. Sie befürworten einen verpflichtenden Stimmtest zu Beginn des Studiums, damit im Bedarfsfalle rechtzeitig eine begleitende Schulung eingeleitet werden könne.
Zahlreiche Studien belegen, dass Lehrkräfte stimmlich stark gefordert sind, wegen einer mangelnden Ausbildung ihre Stimme aber oft überlasten. Das führt zu Problemen und kann im Extremfall Erkrankungen zur Folge haben. Experten fordern deshalb seit Jahren, entsprechende Trainingsprogramme in die Ausbildung zu integrieren.
Die aktuelle Umfrage – die erste ihrer Art in Norddeutschland – zeigt nun, wie aktuell diese Forderung weiterhin ist: Mehr als zwei Drittel aller Befragten hatten noch niemals eine sprecherzieherische Ausbildung erhalten. Studienleiterin Dagmar Puchalla vermutet, dass es andernorts noch schlechter aussieht: „An der Leuphana Universität Lüneburg wird die Sprecherziehung seit Jahren gefördert, an den meisten anderen Universitäten in Deutschland ist das nicht so.“
Gut 60 Prozent der Befragten empfinden es zumindest zeitweise als anstrengend, vor einer Klasse zu sprechen; viele von ihnen klagen über sporadische Heiserkeit oder gar Schmerzen. Jede vierte Lehrkraft hat bereits wegen Stimmproblemen gefehlt, oft sogar mehrmals. Lehrkräfte mit Sprecherziehungs-Erfahrung gaben dagegen deutlich seltener stimmliche Beschwerden zu Protokoll. „Das zeigt, wie wichtig dieser Aspekt der Ausbildung ist“, betont Puchalla. „Schließlich sind Lehrkräfte stimmlich stark beansprucht. Sie sollten darauf vorbereitet werden und lernen, ihre Stimme richtig einzusetzen sowie klar und deutlich zu sprechen.“
Die Theaterwissenschaftlerin, ehemalige Schauspielerin und Sprecherzieherin koordiniert heute an der Leuphana Universität Lüneburg den Bereich „Sprecherziehung“ in der Lehrerbildung. In der Hansestadt können Lehramtsstudierende ein zweisemestriges Seminar zu diesem Thema belegen. Neben der Theorie erlernen die Teilnehmer in kleinen Gruppen die Grundlagen der korrekten Atmung, Körperhaltung und Körpersprache sowie die Fähigkeit, sich in einer lauten Umgebung ohne große Anstrengung Gehör zu verschaffen.
Lehrer befürworten die Sprecherziehung als festen Ausbildungs-Bestandteil
„Damit sind wir eine von wenigen Universitäten in Deutschland, die der Sprecherziehung das Gewicht einräumen, das sie verdient“, sagt Puchalla. An den meisten Unis hierzulande wird dieser Teil der Ausbildung dagegen bislang eher stiefmütterlich behandelt – wenn überhaupt. Und das, obwohl die befragten Lehrkräfte entsprechenden Angeboten sehr aufgeschlossen gegenüber stehen: Fast 90 Prozent wünschen sich das Fach „Sprecherziehung“ als einen festen Bestandteil des Lehramtsstudiums.
Die Studierenden sehen das ähnlich. Seit fünf Semestern befragen Dagmar Puchalla und ihre Mitarbeiterinnen angehende Lehrer, die das Seminar Sprecherziehung absolviert haben, welche Bedeutung die Veranstaltung für sie hatte. Das Ergebnis ist eindeutig: Fast alle Befragten schätzten das Angebot als „sehr wichtig“ oder „wichtig“ ein.
„Die Stimme wird gerade im Lehrerberuf stark beansprucht“, sagt die Studentin Gesche Marie Hollweg, die später einmal Deutsch und Kunst unterrichten wird. „Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig zu wissen, wie ich sie schonen kann – beispielsweise wie ich laut werden kann, ohne die Stimme dabei zu belasten.“ Auch habe sie im Seminar gelernt, wie sie ihre Stimme einsetzen müsse, um etwas zu erreichen, betont die 22-Jährige.
Wenn der Lehrer gut sprechen kann, lernt die Klasse leichter
Die Sprechausbildung hat nicht nur gesundheitliche Aspekte: Schon seit Mitte der 1960er Jahre ist bekannt, dass der Lernerfolg von Schülern maßgeblich von der Stimme und der Sprechweise des Lehrers abhängt. „Niemand lauscht gerne einer gepressten, angestrengten, unangenehmen oder heiseren Stimme“, sagt Dagmar Puchalla. „Da geht es Kindern nicht anders als uns Erwachsenen. Verschiedenen Studien zu Folge lassen in solchen Fällen oft Konzentration und Motivation der Schülerinnen und Schüler nach.“ Die Grundschullehrerin Solveig Busse bestätigt das. „Trotz aller im Unterricht eingesetzten Medien wird immer noch ein großer Teil des Wissens über die Stimme vermittelt“, betont sie. „Gut gesprochene Lehrervorträge machen das Zuhören deutlich leichter.“
Im Sprecherziehungs-Seminar der Leuphana Universität Lüneburg stehen daher auch die Grundlagen einer guten Artikulation und des Textvortrags auf dem Stundenplan. „Je lebendiger und mitreißender eine Lehrkraft liest, desto begeisterter sind die Zuhörer“, erklärt Puchalla.
Quelle: Leuphana Universität Lüneburg (idw)