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Bei Nebel überschätzen Autofahrer die eigene Geschwindigkeit

Archivmeldung vom 31.10.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 31.10.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Die Leinwand am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik umfasst horizontal 230° und vertikal 125°. Somit füllt die Projektion das gesamte menschliche Sichtfeld aus und erzeugt eine realistische Fahrsituation.
Quelle: Bild: Jan Soumann / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik Tübingen (idw)
Die Leinwand am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik umfasst horizontal 230° und vertikal 125°. Somit füllt die Projektion das gesamte menschliche Sichtfeld aus und erzeugt eine realistische Fahrsituation. Quelle: Bild: Jan Soumann / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik Tübingen (idw)

Wie Menschen auf eine beeinträchtigte Sicht reagieren, ist ein zentrales Thema der Sehforschung. Frühere Studien zeigen, dass eine gleichmäßige Verringerung des Kontrasts im gesamten Blickfeld, wie beispielsweise bei einer beschlagenen Windschutzscheibe, eine Unterschätzung der Geschwindigkeit und damit eine schnellere Fahrweise zur Folge hat.

Die Leinwand am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik umfasst horizontal 230° und vertikal 125°. Somit füllt die Projektion das gesamte menschliche Sichtfeld aus und erzeugt eine realistische Fahrsituation (Blickwinkel des Fahrers).
Quelle: Bild: Jan Soumann / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik Tübingen (idw)
Die Leinwand am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik umfasst horizontal 230° und vertikal 125°. Somit füllt die Projektion das gesamte menschliche Sichtfeld aus und erzeugt eine realistische Fahrsituation (Blickwinkel des Fahrers). Quelle: Bild: Jan Soumann / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik Tübingen (idw)

Wie eine Veröffentlichung in eLife nun zeigt, belegen Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen die These erneut. Jedoch gingen sie noch einen Schritt weiter: Was passiert, wenn der Kontrast nur im Zentrum des Blickfeldes reduziert wird, wodurch Dinge in der Ferne schwerer erkennbar sind, wie es beispielsweise bei Nebel der Fall ist? Die Ergebnisse sind verblüffend und helfen, Einblicke in das menschliche Sehsystem zu gewinnen.

Für die Experimente konzipierte Paolo Pretto aus der Abteilung von Direktor Heinrich Bülthoff am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik Projektionen für eine drei Meter hohe und sieben Meter breite, gekrümmte Leinwand, die das gesamte Sichtfeld ausfüllt. Ein davor positioniertes Fahrzeug vermittelt erfahrenen Autofahrern das Gefühl einer realistischen Fahrsituation. Anhand verschiedener Versuche konnten Pretto und seine Kollegen nun erstmalig zeigen, dass ein vermeintlich kleiner Unterschied in der Kontrastveränderung bei Autofahren zu einer gegenteiligen Geschwindigkeitswahrnehmung und folglich zu einer gegenteiligen Handlung führt: Eine auf Distanz graduell – im Vergleich zu einer gleichmäßigen – Kontrastreduzierung der Umgebung hat eine Überschätzung der Geschwindigkeit zur Folge und nicht, wie bisher angenommen, eine Unterschätzung.

Zunächst konfrontierten die Forscher Testpersonen mit zwei verschiedenen Fahrszenen. Sie sollten einschätzen, in welcher der beiden Szenen sie sich schneller fortbewegten. In der Kontrollszene fuhren sie bei klarer Sicht und gleichbleibender Geschwindigkeit auf einer Asphaltstraße durch eine Graslandschaft. In der Testszene fuhren sie ebenfalls bei gleichbleibender Geschwindigkeit durch dieselbe Landschaft. Jedoch wurde dieses Mal der Kontrast der Landschaft verändert und damit die Sichtverhältnisse verschlechtert. Schon diese Experimente zeigten, dass die Fahrer ihre Geschwindigkeit bei nebelähnlichen Bedingungen überschätzten, wohingegen sie bei einer gleichmäßigen Sichtbeeinträchtigung, ähnlich einer beschlagenen Windschutzscheibe, ihre Geschwindigkeit unterschätzten.

Weitere Versuchsreihen bestätigten, dass diese unterschiedlichen Einschätzungen auch Auswirkungen auf das Fahrverhalten haben. Bei guter Sicht betrug die Durchschnittsgeschwindigkeit der Probanden ungefähr 85 Kilometer pro Stunde, bei starkem Nebel dagegen nur etwa 70 Kilometer pro Stunde. Bei einer gleichmäßigen Kontrastreduktion unterschätzten die Fahrer ihre Geschwindigkeit jedoch und fuhren schneller – das Tempo betrug hier durchschnittlich 100 Kilometer pro Stunde.

Basierend auf dieser und weiteren Studien entwickelten die Wissenschaftler eine neue Theorie der Geschwindigkeitswahrnehmung: Bei Nebel beispielsweise, ist die Sicht im zentralen Blickfeld – also dort wo entfernte Objekte wahrgenommen werden – deutlich vermindert. Hier wird das eigene Tempo als relativ langsam wahrgenommen. Im peripheren Sichtfeld hingegen – und damit in der unmittelbaren Umgebung – als verhältnismäßig schnell. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass dieser Unterschied verantwortlich für die eigene Geschwindigkeitsüberschätzung sein musste.

Um diese Theorie zu belegen, wurde eine weitere Versuchsreihe durchgeführt. Zu den schon vorab verwendeten Parametern „gute Sicht“ und „Nebel“ wurde nun ein weiterer, im wahren Leben nicht vorkommender, kreiert: der „Anti-Nebel“. Beim „Anti-Nebel“ ist die Sicht im unmittelbaren Umfeld schlecht, verbessert sich jedoch proportional zur Entfernung. Wie erwartet, überschätzten die Testfahrer bei dieser künstlichen Situation ihre Geschwindigkeit und fuhren zu schnell: etwa 100 Kilometern pro Stunde, verglichen mit ungefähr 70 Kilometern pro Stunde bei guter Sicht und gerade mal 50 Kilometern pro Stunde bei Nebel.

Paolo Pretto und seinen Kollegen gelang es damit, die vorherrschende Theorie in ihrer pauschalen Schlussfolgerung zu widerlegen und zu beweisen, dass sich die Geschwindigkeitswahrnehmung ändert, wenn die Sichtverhältnisse innerhalb unseres Blickfeldes unterschiedlich sind. Um Unfälle zu verhindern, tun wir also gut daran, unserem Sehsystem zu vertrauen, wenn es uns dazu veranlasst, bei Nebel langsamer zu fahren.

Quelle: Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik (idw)

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