Münchener Kunstfund: Werke wurden Goebbels-Ministerium abgekauft
Archivmeldung vom 11.11.2013
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEin erheblicher Teil der rund 1.400 Kunstwerke, die in der Münchner Wohnung eines Mannes sichergestellt worden sind, hat dessen Vater 1940 und 1941 dem Haus des damaligen Propagandaministers Joseph Goebbels abgekauft. So erwarb der Kunsthändler nach Unterlagen, die "Bild am Sonntag" vorliegen, per Kaufvertrag vom 22. Mai 1940 insgesamt 200 Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken für 4.000 Schweizer Franken vom Goebbels-Ministerium.
Das waren exakt 20 Schweizer Franken für jedes Werk, von denen heute viele Hunderttausende oder Millionen wert sind - darunter von Chagall "Spaziergang", von Picasso "Bauernfamilie" oder von Nolde "Hamburger Hafen". "Bild am Sonntag" veröffentlichte die komplette Exklusiv-Liste der Werke auf ihrer Internetseite. Zu ähnlich "guten" Konditionen dürfte der aus Dresden stammende und 1956 verstorbene Kunsthändler weitere 115 Werke der "entarteten Kunst" 1941 vom Goebbels-Ministerium erworben haben. Sie wurden ebenfalls 2012 in der Münchner Wohnung sichergestellt.
Aus einem internen Bericht, der im Bundesfinanzministerium vorliegt, geht hervor, dass für die an den Mann verkauften Werke Kauf- und Tauschverträge im ehemaligen Propagandaministerium existieren. Bei diesen Werken gehen die Ermittler davon aus, dass sie sich zum Zeitpunkt der Beschlagnahme durch NS-Organisationen im Besitz des jeweiligen städtischen oder staatlichen Museums befanden, "sodass Rückgabe-/Restitutionsansprüche nicht durchsetzbar sein dürften".
Spannend sind auch andere Erkenntnis der Zollfahnder: Der Kunsthändler vermittelte wohl nur einen Teil der vom Goebbels-Ministerium erworbenen Werke ins Ausland. Andere Bilder verkaufte er vorschriftswidrig an deutsche Sammler in Hamburg, Dresden und Berlin. Nach dem Krieg blockte er Nachforschungen nach dem Kunstschatz mit der Behauptung ab, seine Sammlung sei verbrannt.
Laut dem Bericht des Zolls, der im Auftrag der Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt, wurde in der Münchener Wohnung auch eine Mappe mit 181 nicht gerahmten Kunstwerken gefunden, die mit "großer Wahrscheinlichkeit" zur Sammlung eines seinerzeit in Dresden ansässigen jüdischen Bürgers gehörten. Unter dem Druck des Nazi-Terrors musste er nach 1933 die Sammlung Stück für Stück verkaufen und selbst schließlich ins Ausland flüchten.
Die Erben des Sammlers haben nach Einschätzung des Zolls Anspruch auf Rückgabe der Werke. Dies gilt auch für mindestens 13 Kunstwerke aus der Wohnung, die in der Magdeburger Datenbank "lost art" aufgeführt sind. Sie erfasst Kunst, die den einstigen Eigentümern von NS-Organisationen abgepresst worden ist oder die diese unter dem Druck der Verfolgung verkaufen mussten.
Weitgehend unaufgeklärt ist bislang, was genau mit den rund 1.400 Kunstwerken aus der Wohnung in den vergangenen Jahrzehnten geschehen ist. Einige der jetzt beschlagnahmten Bilder tragen auf der Rückseite Schweizer Zollsiegel, die bei der Einreise dort angebracht wurden. Laut des Berichtes der "Bild" spricht einiges dafür, dass der Mann die Kunstwerke dort verkaufen wollte. Ermittelt wird derzeit wegen des Verdachts der mehrfachen Steuerhinterziehung, der Geldwäsche, der Unterschlagung und der Hehlerei.
Präsident des Jüdischen Weltkongresses: Behörden nach Kunstfund fahrlässig
Nach dem spektakulären Münchner Kunstfund hat der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, den deutschen Behörden Fahrlässigkeit vorgeworfen. "Es ist wertvolle Zeit vergeudet worden", schrieb Lauder in einem Gastbeitrag für die "Welt". Er mahnte: "Weder die möglichen Anspruchsberechtigten noch etwaige Zeugen im Rückgabeverfahren werden jünger." Es möge keine böse Absicht der Staatsanwaltschaft vorliegen, aber in der Konsequenz heiße das: "Unrecht wird nicht beseitigt, sondern fortgeführt, solange keine Klarheit über die Eigentümer geschaffen wird." Erst vergangene Woche war bekannt geworden, dass bereits 2012 in der Wohnung des Sohnes eines in den 1950er-Jahren verstorbenen Kunsthändlers rund 1.400 Bilder beschlagnahmt worden waren. Lauder, der seit 2007 die internationale Vereinigung von jüdischen Gemeinschaften und Organisationen leitet, forderte die Bundesregierung auf, zu handeln. "Die deutsche Regierung muss diese Bilder sichtbar machen", sagte er der "Welt". Die Polizei und die Politik müssten sofort eine Inventur machen und den gesamten Fundus ins Internet stellen. Jeder habe dann die Möglichkeit zu sehen, was vorhanden ist. Er kündigte an, vorerst abzuwarten, was die Politik vorhabe. "Wenn nichts geschieht, werden wir den Druck erhöhen." Es gebe keine moralische Frage, es gehe um Recht und Unrecht. "Eigentum wurde gestohlen. Und das muss an die rechtmäßigen Eigentümer zurück."
Umfrage: 85 Prozent wollen Münchner Kunstschatz sehen
Eine große Mehrheit der Deutschen möchte die Kunstwerke sehen, die im vergangenen Jahr in einer Privatwohnung in München beschlagnahmt wurden. In einer Umfrage für das Nachrichtenmagazin "Focus" plädierten 85 Prozent der Befragten dafür, dass die Kunstwerke im Rahmen einer Ausstellung zugänglich gemacht werden sollten. 13 Prozent waren dagegen, 2 Prozent machten keine Angaben.
Durch einen "Focus"-Bericht war vor einer Woche bekannt geworden, dass der Sohn eines Kunsthändlers über 1.400 seit Jahrzehnten verschollene Kunstwerke berühmter Künstler in seiner Wohnung gelagert hatte. Ein großer Teil der Werke war offenbar während der Zeit des Nationalsozialismus als "entartete Kunst" beschlagnahmt oder jüdischen Sammlern geraubt worden. TNS Emnid befragte für "Focus" 1.007 repräsentativ ausgewählte Bürger.
Quelle: dts Nachrichtenagentur