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Interview mit Gérard A. Goodrow, einem der versiertesten Experten für Gegenwartskunst über sein Verständnis von Kunst und ihre gesellschaftliche Bedeutung

Archivmeldung vom 07.07.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.07.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Gérard A. Goodrow Bild: Gérard A. Goodrow
Gérard A. Goodrow Bild: Gérard A. Goodrow

„Was ist eigentlich Kunst?“ – So beginnen klassische Reden anlässlich von Vernissagen oder anderen Ereignissen, bei denen Kunstwerke im Mittelpunkt stehen. Die Antworten, die sich anschließen, bewegen sich meist zwischen schlecht kaschierter Ratlosigkeit und unverhohlener Produktwerbung, sind aber selten wirklich erhellend und für das damit konfrontierte Publikum zumeist enervierend und unergiebig. Und dabei kann die Antwort nicht nur intelligent, sondern auch spannend und aufschlussreich sein – vorausgesetzt, man fragt die richtigen Personen. Wir unterhielten uns darüber mit Gérard A. Goodrow, einem der versiertesten Experten für Gegenwartskunst - über sein Verständnis von Kunst und ihre gesellschaftliche Bedeutung, über Käufer und Sammler.

Goodrow wurde im Dezember 1964 in New Jersey, USA, geboren. Hier begann er auch 1983 an der Rutgers University, New Brunswick, seine Studien in Kunstgeschichte und Völkerkunde, die er 1987 als Bachelor of Arts mit Auszeichnung abschloss.
Im gleichen Jahr kam er nach Deutschland, wo er sein Studium der Kunstgeschichte fortsetzte, kombiniert mit Anglistik und Germanistik. Nachdem er sein Studium abbrach, folgte eine Reihe ebenso imposanter wie erfolgreicher Tätigkeiten an bedeutenden Museen und Auktionshäusern, für namhafte Stiftungen und Verlagshäuser.
So war Goodrow für das bekannte Auktionshaus „Christie’s“ tätig, zuletzt in der Position eines „Director and Senior Specialist“ für Nachkriegs- und Gegenwartskunst, bevor er das Management der renommierten Kunstmesse „Art Cologne“ übernahm. Heute stellt er Sammlern und Kunstinteressierten seine Erfahrung und sein Wissen auf dem Gebiet moderner Kunst als Berater und freier Kurator zur Verfügung.

Also ist er der geeignete Ansprechpartner, um etwas über die Bedeutung moderner Kunst und zeitgenössischen Sammlerverständnisses zu erfahren. Doch davor steht die Frage nach seinem eigenen Kunstverständnis als Antrieb für seine Tätigkeit...

Ein Interview mit dem Experten für Gegenwartskunst, dem freien Kurator, Autor und früheren Direktor der „Art Cologne“, Gérard A. Goodrow (GG), von Herbert Jost-Hof (HJH)

HJH: Woher rührt eigentlich Ihr persönliches Interesse an Kunst? Gab es eine Art Schlüsselerlebnis, das Sie dazu veranlasst hat, den Umgang mit Kunst zu Ihrem Beruf zu machen?

GG: Das ist ein bisschen legendenartig. Ich hatte in Amerika Anthropologie studiert und mich dabei ein wenig spezialisiert auf Schamanismus. Mein Professor merkte, ich war begeistert bei der Sache. Und am Ende eines Seminars sagte er: „Für die, die wirklich interessiert sind“, und dabei sah er mich an, „es gibt einen Künstler in Deutschland, von dem manche meinen, er hätte etwas mit Schamanismus zu tun. Schauen Sie mal nach“. Das war Beuys.
Ich bin dann zur Bibliothek gegangen, holte mir den Katalog über seine Ausstellung im Guggenheim Museum, etwa 1979/80, und ich fand darin tatsächlich, was ich gesucht hatte.
Das war 1985. Ein Jahr später kam ich dann für den Sommer nach Deutschland, da ich ihn gern kennen lernen wollte. Leider aber zu spät, denn er war schon Anfang des Jahres gestorben. Ich habe dann Kunstgeschichte studiert, sehr geprägt von seiner Vorstellung, dass Kunst nicht ein Luxusgut ist, sondern etwas existentiell Wichtiges und habe auch versucht, dies mit meinen jeweiligen Aufgaben zu vereinbaren. Meine erste Stelle hier in Köln war in der Kunst-Station Sankt Peter, wo es darum ging, einen funktionierenden Kirchenraum auch als Ausstellungsraum zu nutzen, das war fast ideal.
Beim Museum Ludwig hatte ich diesbezüglich auch kein Problem. Später wechselte ich zu Christie’s. Es fiel mir sehr schwer, Kunst wirklich vorrangig als Ware zu behandeln, deshalb blieb ich auch nicht dort.
Dann, als Manager der Messe, stellt sich mir eine ähnliche Herausforderung, die ich durch meinen Anspruch an die Veranstaltung beantwortete: Ich wollte die Messe als Ort der Begegnung und des Austauschs verstanden wissen. Ich wollte in ihr mehr ein Forum sehen als nur eine Verkaufsmesse.

HJH: Bleiben wir noch einen Moment bei Ihrem Kunstbegriff...

GG: „Kunst“ ist ja hier nicht zu verstehen als „Schablonen-Kunst“. Für Beuys war z.B. die Gründung der Grünen Partei Kunst, denn damit konnte er Einfluss auf den Alltag ausüben. Sein Spruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“ ist sicherlich sehr oft missverstanden worden. Es geht darum, dass jeder Kunst erfahren und aktiv mitgestalten kann. Man muss sich dieses Potential nur bewusst machen und bewusst damit umgehen. Das ist auch der Hintergrund der Concept Art: eine Idee selbst kann Kunst sein.
Oder nehmen Sie Yves Klein: bei ihm zum Beispiel sah man vordergründig schöne blaue Bilder, dahinter aber steht die Geisteswelt des Zen-Buddhismus, das Streben nach Bewusstwerdung....

Beuys ging es ja – und das ist der Gedanke des Schamanischen – um Heilung, um Selbstheilung. Seine Vorstellung war, dass Kunst dazu beitragen kann, die historische Wunde der Nazi-Zeit in Deutschland zu heilen. Aber natürlich auch andere Wunden: Umweltverschmutzung, der Nahost-Konflikt... Er war überzeugt, Kunst könne dazu beitragen, solche Verletzungen zu heilen, indem sie Bewusstsein schafft oder verändert.

HJH: Was ist der Mensch im Spiegel des Kunstmarktes? Gibt es heute noch solch ideale Verbindungen zwischen Kunstschaffenden, Galeristen, Mäzenen, wie sie zu Beginn der Moderne für die Entwicklung der Kunst von Bedeutung waren?

GG: Wenn wir von Kunstmarkt sprechen, werden zwei Begriffe immer in einen Topf geschmissen: Sammler und Käufer. Käufer sind Menschen, die schon Interesse an Kunst haben, aber sie betrachten Kunst eher als Investition, als Geldanlage oder als Mittel sich selbst zu positionieren in der Gesellschaft. Denn der Besitz von Kunst bringt ja einen gewissen Status mit sich.
Sammler zu sein, das ist ein Idealzustand. Der Sammler wird motiviert von Leidenschaft. Er kauft auch, wenn er wenig Geld hat. Eine Messe muss nun beide Gruppen befriedigen. Die Käufer sind wichtig für den Markt, sie sind dessen Basis. Die Sammler sind die Seele des Marktes.
Sobald man ein Werk kauft, ist man – im Idealfall – schon infiziert. Man ist Käufer, aber „der Sammlervirus“ ist gewissermaßen schon eingedrungen. Ob die „Krankheit“ des Sammelns ausbricht, muss sich zeigen. Man kann Käufer zu Sammlern machen.

HJH: Sie wünschen also, dass Menschen, die die Kunst zunächst als Geldanlage wahrnehmen oder als Ausdruck einer bestimmten Lebensart, langfristig zu Sammlern, also zu Bewahrern, werden.

GG: Genau. Was viele Käufer nicht gleich begreifen, ist die Verantwortlichkeit für einen Teil unserer Kultur, die mit dem Kauf verbunden ist. Genauso wie viele nicht verstehen, dass es sinnvoller ist, antizyklisch zu kaufen. Ich kann heute einen Richter erwerben, aber zu einem sehr hohen Preis. Sinnvoller ist es, dann zu kaufen, wenn die Nachfrage nicht so groß ist.
Und das Bild kann ich mir zu Hause aufhängen oder in einen Banktresor legen oder es einem Museum als Leihgabe zur Verfügung stellen. Die Verbindung zum Museum ist natürlich besser. Es ist dort mehr wert, weil es entsprechend geschützt und doch für Menschen zugänglich ist und es ist zu Hause an meiner Wand natürlich sinnvoller untergebracht als im Tresor einer Bank.

HJH: Heißt das, dass wir bei einem Fortschreiten der augenblicklichen Entwicklung sehr viel mehr auf private Initiative angewiesen sein werden, um Kunstwerke noch für die Öffentlichkeit sichern zu können?

GG: Natürlich. Städtische Museen haben kaum noch Mittel, um Kunst anzukaufen, sie sind auf Leihgaben angewiesen und damit auf Käufer und Sammler. Vor allem auf die Sammler, die sich eben ihrer Verantwortung auch bewusst sind. Im Moment ist es so, dass der Markt von Käufern beherrscht wird. Viele Sammler sind durch die Käufer, die die Preise hochtreiben, vom Markt ausgeschlossen. Ich rechne damit, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Umkehr erfolgen wird. Es kann nicht so weitergehen, dass die Preise ständig steigen.

HJH: Ich habe den Eindruck, dass Kunstschaffende immer mehr speziell für Käufer produzieren.

GG: Es ist ein Teufelskreis. Natürlich wirken sich Natur und Verhalten der Käufer auch auf die Künstler aus, die ja in einem Konkurrenzkampf stehen. Ich weiß nicht, wie ernst man das betrachten sollte. Es ist so: wenn man nur für den Markt produziert, wird letzten Endes der Wert der Werke nicht steigen, weil man in eine Masche verfällt und die eigene Kunst in ihrer Entstehung nicht mehr zu datieren ist, da sich alles zu sehr gleicht. Es gibt keine wirkliche Entwicklung. – Ein Künstler wie Richter produziert sicherlich auch für den Markt, aber er bleibt sich selbst treu, indem er immer wieder Neues probiert.

Wenn ich Künstler, junge Künstler, in ihren Ateliers besuche, stelle ich immer wieder gern die Frage: warum machst Du das? Und es ist erschreckend, wie oft ich zu hören bekomme: Weil ich berühmt und reich werden will.
Wenn das das Ziel ist, dann sollten sie lieber Lotto spielen, da haben sie bessere Chancen.

HJH: Hat denn Kunst heute, wenn man den Markt betrachtet, überhaupt noch etwas mit Talent zu tun?

GG: Natürlich. Auch den Zeitgeist zu treffen, ist ein Talent. Und langfristig gesehen, entscheidet die Geschichte, was als anerkannte Kunst überdauert. Die Kunstgeschichte ist doch letzten Endes das Maß, an dem alles gemessen wird. Und hier einen Platz zu finden, ist nie ohne Talent denkbar.

HJH: Aber bleiben wir erst einmal beim Markt. Der Markt ist doch das aktuelle Messinstrument.

GG: Nicht nur. Deswegen sagte ich ja: was will man? Das ist die Frage. Es ist eben entscheidend, was ich selbst als Erfolg definiere: viel Geld zu haben, oder bei vielen Ausstellungen vertreten zu sein.
Jeder muss das für sich entscheiden. Der eine hat den historischen, der andere den markttechnischen Erfolg. So wie es Käufer und Sammler gibt, gibt es „Kunst-Künstler“ und „Markt-Künstler“. Das sind einfach zwei Welten.

HJH: Was würden Sie nun einem kunstinteressierten Menschen raten? – Dass er eher Sammler als Käufer sein soll, darüber haben wir schon gesprochen. Aber wie verhält sich ein Sammler? Nehmen wir mal ein anderes Beispiel, etwa die Briefmarkensammler. Es gibt Philatelisten, die sammeln nach Motiven, andere nach Ländern oder Regionen.

GG: Das Beispiel ist gar nicht so schlecht. Wenn man als Sammler seine Sache gut macht, dann sammelt man auch eine bestimmte Epoche, oder einen bestimmten Künstler. Das alles ist sehr persönlich. Nicht alle Stücke in dieser Sammlung müssen bedeutend sein. Aber die Sammlung als Ganzes ist es. Was also ist eine erfolgreiche Sammlung? Ich würde sagen: eine, die mit der Persönlichkeit des Sammlers etwas zu tun hat.

Als ich bei Christie’s gearbeitet habe, war ich Berater für Gegenwartskunst. Aber die Sammler, die ich betreut habe, wussten von der Epoche, auf die sie sich spezialisiert hatten oder von den Künstlern, viel mehr als ich, weil sie sich eingelesen hatten, aus echtem Interesse. Das ist der Fehler, den Käufer oft machen: sie haben nicht genug Informationen und bezahlen dann viel zu viel für die Werke. Sie brauchen Beratung. Das ist keine Schande. Als Experte für Gegenwartskunst, muss auch ich ständig Zeitschriften lesen, in Galerien, Ausstellungen und Ateliers gehen, um fit zu bleiben, um im Thema zu sein. Man muss sich ständig weiterbilden. Und genau das tut jeder Sammler. – Wenn ich Kunstkauf nur als Investition sehe, ist mir das natürlich eine Last.

HJH: Hier schließt sich, glaube ich, der Kreis. Kann man sagen, dass ein Sammler so etwas wie „sekundäre Kreativität“ entwickelt, indem er aus der eigenen Person, der eigenen Kreativität heraus etwas schafft, mit den Erzeugnissen der Kreativität anderer, nämlich seine ganz eigene Sammlung?

GG: Ich habe immer gesagt: man erkennt eine gute Sammlung sofort, denn sie erweckt den Eindruck, als würde sie von einem Kurator gepflegt. Es passt einfach zusammen. Auch wenn die einzelnen Werke, wie gesagt, nicht immer von großem Wert sind, die Sammlung hat einfach eine Bedeutung. Wenn man eine solche Sammlung in einem Museum sieht, oder wenn man das Glück hat, einen Sammler zu Hause besuchen zu dürfen – das bringt einen schon weiter, es vermittelt einem etwas Neues. Das ist eine Kunst für sich.

HJH: Letzte Frage: was würden Sie sich für die Zukunft beruflich wünschen?

GG: Was ich hier als Gefahr sehe, ist, dass die Preise zu hoch sind, dass sich Sammler zurückziehen und der Markt immer mehr von Käufern dominiert wird. Wir brauchen aber eben beide: Käufer und Sammler. Und ich wünsche mir, dass die Regierenden Kunst als einen notwendigen Bestandteil des Lebens verstehen lernen, nicht als Luxusgut, das reserviert ist für Menschen mit Geld. Es ist etwas, das wir im Alltag brauchen. – Es ist seltsam, wenn man sich das 20. Jahrhundert ansieht: es gibt ganz wenige Politiker, die die Bedeutung von Kunst und Kultur verstanden haben. Und das waren meist Diktatoren. Hitler hat es gewusst und genutzt, Mussolini und Stalin. Allein dass Kunst verfemt wird, zeigt doch, wie wichtig Kunst ist. – Welche demokratischen Führer haben die Bedeutung der Kunst für die Demokratie entdeckt?
Gerade heutzutage, wo das Leben sehr schwierig ist, kann Kunst helfen, Wege, neue Wahrnehmungen zu finden. Und das ist enorm wichtig. Deutschland macht eine Krise durch. Nicht nur wirtschaftlich. Kunst kann helfen. Nur sie wird im Moment nicht sehr wichtig genommen. Für welche großen Städte ist heute Kultur besonders bedeutsam? Das sind vielleicht drei oder vier, höchstens - im ganzen Land. Das ist schade. – Eigentlich geht es ja um ganz Deutschland, um Europa... aber wir müssen ja irgendwo klein anfangen.
Kunst ist wichtig im Leben. Wir können Impulse geben, auch den, dass Kunst ein Wirtschaftsfaktor ist. Wenn das verstanden wird, bekommt Kunst mehr Aufmerksamkeit. Das eröffnet die Chance auf positive Veränderung, auf mehr und anderes Bewusstsein.

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