"Free Pussy Riot" - Wie der Prozess Russlands Kunstszene in Aufruhr versetzt
Archivmeldung vom 23.11.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVier junge Frauen in Wollmaske und Konstruktivistinnenkostüm kreischten ihren Zorn über die Allianz von Kirche und Staat im Putin-Russland raus: 41 Sekunden dauerte das Punkgebet von "Pussy Riot" in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. Selten wurde eine politische Kunstaktion so knallhart und effektiv durchgezogen, hat die Aufmerksamkeit der Welt und des Landes gebündelt - und ganz nebenbei noch die Wut und den Witz der erschlafften Punk-Bewegung revitalisiert und das aufständische, utopische Potenzial der russischen Kunst dazu. Selten wurde eine Kunstaktion so bitter bezahlt. Nach einem unwürdigen Prozess sitzen zwei der Künstlerinnen, Nadeschda Tolokonnikowa und Marija Aljochina, für zwei Jahre in Lagerhaft.
art erzählt in der Titelgeschichte der Dezemberausgabe "Die Wollmasken-Revolution", wie sich die russische Kunstszene in der bleiernen Putin-Zeit neu formiert, mutig, wild und schlau alle Chancen nutzend.
Dazu gehört auch die Illustratorin Viktoria Lomasko, die mit ihren Zeichnungen den "Pussy-Riot"-Prozess dokumentiert und zur Solidarität auffordert. Von ihr stammt das Bild auf der Titelseite der aktuellen art-Ausgabe. Oder Aidan Salachowa, die ihre Moskauer Galerie aufgab, um stattdessen mit Kunstprojekten zur weiblichen Selbstbestimmung und mit Kritik am islamischen Frauenbild Aufsehen zu erregen. Auch Piotr Wersilow verbringt derzeit seine Tage und Nächte damit, Solidaritätsaktionen für die inhaftierten Musikerinnen zu organisieren. Er ist der vielbeschäftigte Ehemann der "Pussy-Riot"-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa. Darauf lässt er sich allerdings nicht reduzieren: Er selbst initiiert provokative Aktionen und ist Mitglied des Künstlerkollektivs "Wojna", übersetzt "Krieg". "Wenn du dich wirklich um deine Familie sorgst, dann musst du Putin nach Kräften bekämpfen. Tust du das nicht, so müssen deine Kinder in der Kloake namens Russland aufwachsen."
In Sachen "Pussy Riot" ist er sich sicher: "Heute werden die formalen Aspekte des 'Punkgebets' noch von der überwältigenden Resonanz überschattet, aber mit der Zeit wird man auch die künstlerische Qualität jenseits von Provokation begreifen."
Quelle: Gruner+Jahr, art (ots)