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Gespensterstädte

Archivmeldung vom 02.04.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.04.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: en.wikipedia.org/Albert Duce/cc-by-sa 3.0
Bild: en.wikipedia.org/Albert Duce/cc-by-sa 3.0

Nach einem Bericht von Sergej Dus bei Radio "Stimme Russlands" steht die amerikanische Stadt Detroit am Rande des Bankrotts und ist unter Treuhand übergegangen. Experten sprechen vom Trend einzelner Städte und selbst Regionen zum Bankrott. Zum Krisenmanager von Detroit ist Kevin Orr ernannt, der mit außerordentlich breiten Vollmachten ausgestattet ist. Unter die Kontrolle des Managers ist der Stadthaushalt übergegangen, über den bisher die Stadtverwaltung verfügte. Außerdem kann der Manager an Arbeitsverträgen, die zwischen der Stadt und den Gewerkschaften geschlossen sind, Änderungen vornehmen, Aktiva der Stadt verkaufen und aus Spargründen die Löhne der örtlichen Beamten senken. Falls seine Mission misslingt, wird die amerikanische Autometropole die größte bankrotte Stadt in der Geschichte der USA sein.

Weiter heißt es: "Heute beträgt das Haushaltsdefizit von Detroit 327 Millionen Dollar, und die Gesamtschuld übersteigt 14 Milliarden. Die Autometropole ist zur kriminellen Metropole Amerikas herabgesunken: Das Kriminalitätsniveau ist mehr als fünffach so hoch wie der Durchschnitt in Amerika. Doch freuen sich die Einwohner von Detroit über den Krisenmanager keineswegs. Anfang der Woche fand vor der Stadtverwaltung eine Protestaktion statt, deren Teilnehmer besonders über die Beschränkung ihrer Wahlrechte empört sind. Die amerikanischen Rechtsschützler nennen die Ernennung des Krisenmanagers in Detroit einen gefährlichen Präzedenzfall.

Experten meinen hierbei, dass der finanzielle Aspekt der Frage bei weitem nicht am wichtigsten ist. Wassili Koltaschow, Leiter des Zentrums für Wirtschaftsforschungen am Institut für Globalisierung und soziale Bewegungen, sagt:

"Das Aussterben von Städten und ganzen Regionen in den USA und in Europa hängt damit zusammen, dass die Industrie in den letzten 15 Jahren auf das Territorium Chinas und der Länder der Dritten Welt, an die sogenannte Peripherie des globalen Wirtschaftssystems, verschoben worden ist. Diese Tendenz zeigt sich vor allem in den höchstentwickelten Ländern des kapitalistischen Weltsystems. USA, Europa, Japan – hier kommt es zu einer finanziellen Zentralisierung. Doch ist sie kein Wohl. Behörden können einfach keine Lösung der Wirtschaftsprobleme finden (genauer: Sie suchen auch nicht besonders eifrig danach). Faktisch also haben sie in den letzten Jahren die Krise konserviert. Und ihre einzigen Erfolge sind, dass sie die Entwicklung besagter Krise begrenzen konnten. Deshalb erscheint die Niederlage des staatlichen Finanz- und des staatlichen Verwaltungssystems ganz logisch. In dieser Situation aber wird eine harte Sparsamkeit zur einzigen Antwort der neoliberalen Kabinette von Europa und Nordamerika. In dieser Situation sind Städte wie Detroit 'gestorben'. Ein trauriges Bild, obwohl die USA für eine so oder so geartete Reindustrialisierung kämpfen. In Europa ist von solchen Bemühungen eigentlich nicht viel zu merken. Doch zweifellos werden sich die zentralen Behörden Mühe geben, die Möglichkeiten der örtlichen Behörden in Bezug auf die Finanzierung von sozialen Projekten und von Ausgaben insgesamt zu verengen."

Übrigens vertreten einige Experten die Meinung, der Grund für die Entstehung von Gespensterstädten im postindustriellen Westen sei nicht die Überführung der Produktionen in die Länder der Asiatisch-Pazifischen Region, sondern der technische Fortschritt. Es ist so, dass die moderne Produktion eine solche Anzahl von Arbeitskräften einfach nicht nötig hat. Alles in allem liegt das Problem viel tiefer, als das auf den ersten Blick scheint.

Zu bemerken ist, dass der Fall Detroit zwar die stärkste Resonanz ausgelöst hat, aber nicht die einzige Illustration der praktischen Einwirkung auf die Zivilisation der fundamentalen Gesetze der Marktwirtschaft darstellt. Im vorvorigen Jahr begann in Alabama das Bankrottverfahren in dem am dichtesten bevölkerten Kreis Jefferson. Die Experten nennen das den größten Bankrott der administrativen territorialen Einheit in den USA in der ganzen Geschichte des Landes. Noch zwei Beispiele: Harrisburg, die Hauptstadt von Pennsylvania, und die große Stadt Stockton in Kalifornien.

Analoge Probleme sind auch in Europa zu beobachten. In Spanien z. B. hat die Schuldenkrise beinahe zehn Regionen umfasst, die Madrid um finanzielle Hilfe baten. Katalonien, das den Anspruch auf Unabhängigkeit erhebt, bat um mehr als fünf Milliarden Euro, obwohl es ohnehin eine Schuld von 40 Milliarden hat, was seinen Haushalt vielfach übersteigt. Außerdem stehen neun Städte Italiens am Rande des Bankrotts, darunter Neapel und Reggio di Calabria. Die Situation ist dort bisher in einem unbestimmten Zustand. Hier eine weitere Äußerung von Wassili Koltaschow:

"Das Sinken des Lebensniveaus dauert nicht nur in Südeuropa, sondern auch ganz im Norden des Kontinents an. In den USA hat dieser Prozess ebenfalls nicht halt gemach (obwohl es Obama gelang, die Lage halb und halb zu konservieren). Gewiss besteht die soziale Gefahr. Und in der einen oder anderen Form realisiert sie sich für die gegenwärtigen politischen Spitzen. Vorläufig lässt sich nur sagen, dass die Krise die Migration aus den am meisten betroffenen Teilen der Eurozone in die peripheren Wirtschaften, die Entwicklungswirtschaften und die entwickelten Wirtschaften (Australien und Neuseeland) verstärkt hat. Eine Abwanderung von Migranten nach Brasilien ist festzustellen. Übrigens auch nach Russland. Aber vorläufig kann nicht behauptet werden, dass diese Ströme so mächtig seien, wie sie im 19. Jahrhundert waren (als es buchstäblich zur Übersiedlung von Millionen Menschen auf neue Territorien kam). Es geschieht die Migration der höchstqualifizierten und adaptiven Fachkräfte. Für die zurückgebliebenen (oder zumindest als solche geltenden) Wirtschaften ist das günstig. Doch die Länder an der Peripherie stoßen ebenfalls auf Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten werden Beschränkungen für die Übersiedlung schaffen. Es wird einfach keine Regionen mehr geben, von denen sich mit Sicherheit sagen ließe, dass dort alles gut sein werde."

Anders ausgedrückt, lohnt es sich nicht, die Situation zu dramatisieren. Aber zumindest für einen Teil der heute prosperierenden Städte besteht das Risiko, zu einem Gespenst zu werden, wie das mit einigen davon geschieht bzw. schon geschehen ist. Interessant ist, dass beinahe immer hinter den unmittelbaren Wirtschaftsgründen dafür Fehler der strategischen Planung hervorgucken.

Nehmen wir wieder Detroit als Beispiel. Schon ab Mitte der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts nahm dort die Zahl der PKW's beträchtlich zu. Die ständigen Staus und der Mangel an Parkingmöglichkeiten wuchsen sich zu einem immer akuteren Problem aus. Die öffentliche Meinung stand negativ zum öffentlichen Verkehr – er brachte einen um das Prestige. Behörden unterstützten den Kurs auf die allgemeine "Automobilisierung". Es versteht sich, dass sich das System des öffentlichen Verkehrs in Detroit nicht entwickelte, die Straßenbahn- und Trolleybuslinien wurden abgeschafft. Eine Folge davon war die weitere Erhöhung der PKW-Zahl. Die alte städtebauliche Struktur befriedigte die Ansprüche der Bevölkerung nicht mehr. Die Behörden versuchten, das Problem des Mangels an Parkplätzen durch das Abreißen historischer Gebäude im Stadtzentrum zu lösen. Die Mittelklasse zog aus dem Zentrum in die Vororte um.

Die Behörden beschlossen, das frei gewordene Zentrum von Detroit mit der städtischen Armut zu bevölkern, hauptsächlich mit Afroamerikanern. Die Immobilien stürzten krass herab, da in der Stadt als solcher keine zahlungsfähigen Einwohner mehr geblieben waren. Wer blieb, waren Arbeitslose, die von ihrer Beihilfe lebten, oder niedrigbezahlte Arbeiter. In dieser Kategorie der Bevölkerung florierte Kriminalität, so dass Detroit rasch in den schlimmen Ruf einer der gefährlichsten Städte der USA kam. 1973 brach die Erdölkrise aus. Betriebe wurden einer nach dem anderen geschlossen. Im Ergebnis verwandelten sich ganze Teile von Detroit in Dekorationen für einen Katastrophenfilm.

In den USA aktivierte sich die Erhöhung der Zahl der Gespensterstädte mit Beginn der derzeitigen Wirtschaftswirren. Der Grund ist in der wohlbekannten Krise des Wohnungsmarktes zu suchen. Dank dem Bauboom vor der Krise waren ganze herrliche Siedlungen gewachsen: hübsche weiße Zäune, akkurate Parkplätze, Straßen und sonstige Infrastruktur. Immobilienmakler nennen diese Siedlungen "Traumviertel". Schade, dass sie sich nicht mehr verkaufen lassen. Die "Traumviertel" warten auf Vandalen und Diebe.

Um auch nur etwas zu erwirtschaften, spielten einige Bauunternehmer sogar das Recht aus, in ihren Häusern ein ganzes Jahr unentgeltlich zu wohnen. Doch das Vergnügen der Sieger artete bald in Panik aus. Schließlich ist es recht ungemütlich, der einzige lebendige Mensch in einem ganzen Stück der Siedlung zu sein. Ungefähr das geschah in der Stadt Auburn Hills (Michigan). Der Bauunternehmer ließ hier vor einigen Jahren alles stehen und liegen. Heute besteht das "Traumviertel" aus 30 von Unkraut überwucherten Grundstücken für Privathäuser, einigen nicht funktionierenden Brunnen und einem nach und nach verfallenden Fitness-Zentrum mit einem leeren Swimmingpool.

Heute zählen Experten über 250 unbewohnte amerikanische Städte in den Staaten Colorado, Nevada, Kalifornien, New Mexico, Arizona, Montana, Utah und Idaho. Ihr erschreckendes Bild zieht höchstens die Aufmerksamkeit von Filmleuten an. Jede dieser Städte hat ihre Geschichte. Doch die Grundlage war stets Zweckmäßigkeit.

Straßenkreuzungen von Handelsleuten, Umschlagpunkte auf den Wasserwegen, Brückenköpfe als Bstandteil von Verteidigungsanlagen – die Städte entstanden immer aus einer praktischen Notwendigkeit heraus. Und verschwanden immer, sobald sie nicht mehr gebraucht wurden. Heute, da in der Welt gewaltige politische und ökonomische Umgestaltungen vor sich gehen, ist die Erhöhung der Zahl der Gespensterstädte zu erwarten. Ihre Wiederherstellung lohnt sich nicht. Sie völlig abzutragen hat keinen besonderen Sinn. Deshalb lassen sich Behörden Zeit. Sie haben auf ihrer Seite den wichtigsten Verbündeten: die Zeit, die auch ohne Hilfe des Menschen die Gespensterstädte dem Erdboden gleichmachen wird."

Quelle: Text Sergej Dus - „Stimme Russlands"

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