Ghostwriting – Mythos und Realität
Archivmeldung vom 13.04.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas englische Wort „Ghostwriting“ bezeichnet eine Dienstleistung, bei der ein Autor („Ghostwriter“) im Auftrag einer anderen Person einen Text schreibt, den diese dann unter ihrem Namen öffentlich macht – in gesprochener oder gedruckter Form. Der eigentliche Verfasser bleibt hingegen anonym, das ist Bestandteil der Abmachung. Ghostwriting gibt es in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, u.a. im akademischen Bereich. Hier ist es durch die aktuellen Diskussionen darüber, unter welchen Bedingungen Menschen akademische Titel erwerben, in den Blickpunkt des Interesses gerückt.
In der Reihe „Bildung, Wissen und Beruf“ begrüßte Dr. Herbert Jost-Hof im ExtremNews-Studio Dr. Thomas Nemet, den Gründer und Geschäftsführer des Schweizer Unternehmens ACAD-WRITE - the Ghostwriter, das bereits seit Jahren auf Angebote rund um das Ghostwriting spezialisiert ist.
Der Umstand, dass Menschen Texte schreiben, die von anderen als die ihren ausgegeben werden, ist nicht neu und ist eindeutig nicht begrenzt auf das Feld der Wissenschaft. Im Gegenteil: In öffentlichen Verwaltungen, in der Politik und Wirtschaft ist es üblich und sehr viel verbreiteter, auf die Zuarbeit von anderen zurückzugreifen. Reden und Grußworte, Präsentationen und Berichte entstehen tagtäglich auf diese Weise. Nur werden ihre in die Anonymität zurücktretenden Urheber/innen in institutionellen Zusammenhängen nicht als „Ghostwriter“ bezeichnet, sondern z.B. als Referentinnen/Referenten, Assistentinnen/Assistenten oder Ressortsleiter/innen.
Gerade für Verantwortliche in Wirtschaft und Politik ist es unmöglich, über alle Themen gleichermaßen gut informiert zu sein und alle Wünsche nach schriftlichen oder mündlichen Äußerungen und Stellungnahmen allein vorzubereiten.
Und auch im Bereich der Literatur ist die Verpflichtung von Ghostwritern üblich. Nicht jede Person, die etwas Interessantes zu berichten hat, ist auch in der Lage, dies in der richtigen Form auszudrücken, die passenden Worte, den adäquaten Stil zu finden, um das angestrebte Publikum zu erreichen und nach Möglichkeit auch zu fesseln.
Dass über Ghostwriting trotz allem wenig gesprochen wird, liegt in der Natur der Sache: Diskretion gehört zum Geschäft wie Sachverstand und sprachliche Kompetenz. Daraus abzuleiten, dass es hier etwas zu verheimlichen gäbe oder dass gar etwas Unrechtes geschehe, ist allerdings unsinnig. Das gilt auch für das Ghostwriting im Bereich der Wissenschaft.
Bevor er sein Unternehmen gründete, hat Dr. Thomas Nemet selbst seine Erfahrung als Autor anderen zur Verfügung gestellt. Er kennt die kaufmännische wie die technische Seite der Arbeit aus eigener Erfahrung. Und er kennt aus seinen zahlreichen Kundenkontakten auch die Motivation jener, die im akademischen Bereich nach Unterstützung bei der Abfassung wissenschaftlicher Arbeiten suchen. Dabei, so führt er aus, ist es in den seltensten Fällen der Wunsch, sich die Dinge einfach zu machen, was hinter den ihn erreichenden Anfragen steht.
Viel öfter sind es Zeitprobleme, Lebenskrisen, Krankheiten, Überforderung, die seine Kunden bewegen, sich an sein Unternehmen zu wenden. Und die Aufträge bestehen auch nicht immer darin, komplette Arbeiten zu verfassen. Oft geht es darum, Teile beizusteuern, die nötigen Vorarbeiten wie die Literaturrecherche und die Entwicklung einer Gliederung zu übernehmen oder bereits zu Papier gebrachte Texte zu lektorieren oder zu korrigieren, die Interpretation empirisch erhobener Daten zu übernehmen. Mitunter allerdings fehlt es auch den nötigen sprachlichen Voraussetzungen, um die Herausforderung einer akademischen Arbeit zu bewältigen.
In all diesen Fällen werden Spezialisten eingesetzt, mehr als 350 freie Mitarbeiter/innen stehen seinem Unternehmen hierfür zur Verfügung.
Wer in diesem Bereich als Ghostwriter tätig werden will, muss nicht allein nur über die nötige Fachkompetenz verfügen, sondern auch die formale Seite wissenschaftlichen Arbeitens bestens beherrschen. Denn „Wissenschaft“ ist ein System, in dem bestimmte Regeln gelten, die man kennen und beachten muss.
Der 1999 durch die Erklärung von Bologna angestoßene und nach ihr benannte Prozess zur Vereinheitlichung Ausbildungswege an Universitäten und Hochschulen in Europa, der eine größere Mobilität in der akademischen Welt bringen sollte, hat vor allem zu einem steigenden Druck auf die Studierenden geführt, der nicht zuletzt – so Nemet – auch zur steigenden Nachfrage nach Ghostwriting im akademischen Raum beiträgt. Das zu leistende Pensum ist für viele in der vorgeschriebenen Zeit nicht mehr allein zu bewältigen. Die Systeme „Wissenschaft“ und „Bildung“ bedürften dringend einer Überprüfung.
Sollten die erforderlichen Veränderungen irgendwann tatsächlich durchgeführt werden, würden die Ghostwriter von ACAD-WRITE - the Ghostwriter und anderen Unternehmen allerdings trotzdem nicht arbeitslos, bliebe ihnen doch noch das weite Feld nicht-akademischen Ghostwrtitings für Banken und Wirtschaftsunternehmen aller Art, für Politik und Literatur.
Text von Herbert Jost-Hof