Gegen Menschenhändler Aussagen ist zu gefährlich
Archivmeldung vom 17.04.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie EU-Kommission hat schwere Vorwürfe gegen eine Reihe von EU-Staaten erhoben, darunter auch Deutschland: Auch nach zwei Jahren haben sie die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels noch nicht umgesetzt.
Christina Peters berichtet dazu bei Radio "Stimme Russlands": "Währenddessen stieg der bekannte Umfang des Menschenhandels in der EU um rund ein Fünftel innerhalb von nur zwei Jahren, die Strafverfolgung ging zurück. Unsere Korrespondentin Christina Peters sprach mit Opferhilfe-Organisationen, die kritisieren: So lange den Betroffenen kein sicherer Aufenthalt geboten wird, kann das Problem nicht wirksam bekämpft werden.
Wer im eigenen Land keine sichere Zukunft für sich sieht, sitzt leicht den Versprechungen paradiesischer Arbeit in fremden Ländern auf. Doch oft entpuppt sich dies als grauenhafter Irrtum: Stattdessen wartet Ausbeutung durch schwere Arbeit oder Prostitution durch einen organisierten Verbrecherring. Allein in den Jahren 2008 bis 2010 sind nur in der EU über 23 000 Fälle von Menschenhandel bekannt geworden, teilte die EU-Kommission nun mit. Der Hilfsverein SOLWODI kümmert sich auch um Opfer des Menschenhandels. Seine Beratungsstellen sind eine zentrale Anlaufstelle für verschleppte Frauen. Der Bedarf an Sicherheit, Versorgung und Beratung ist sehr hoch: Die Geschichten der Betroffenen sind oftmals lange, qualvolle Odysseen:
"Ich kann Ihnen ein Beispiel geben: Eine Frau die aus einem afrikanischen Land gehandelt wurde. Sie hat in ihrem Ursprungsland keine Perspektive gesehen als Frau für sich beruflich und hat sich dann auf Menschenhändler eingelassen, die ihr falsche Versprechen gegeben haben, sie in Europa an eine gute Arbeitsstelle zu führen. Dann wurde sie von einem Land zum nächsten gehandelt, verkauft, verschleppt, innerhalb von Afrikas schon in verschiedenen Ländern zur Prostitution gezwungen. Sie wurde dann von den Menschenhändlern mit einem gefälschten Pass nach Russland gehandelt, dort von der Polizei aufgegriffen und aufgrund ihrer illegalen Papiere zurück nach Afrika gesendet. Sie wurde dann weitergehandelt nach Italien. Die Menschenhändler haben sie nach Spanien, Österreich, Italien, Deutschland gehandelt und ausgebeutet. Die Frau ist von den Menschenhändlern geflohen - allerdings ist es immer noch so, dass ihre Aufenthaltssituation immer noch nicht geklärt ist."
Eine Richtlinie der EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz der Opfer existiert seit zwei Jahren. Die Mehrheit der europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, hat diese jedoch noch nicht umgesetzt, obwohl die Frist dazu Anfang dieses Monats verstrich. Doch das Problem schrumpft nicht, im Gegenteil: Über einen Zeitraum von zwei Jahren stieg die Anzahl der Fälle europaweit um gut ein Fünftel, die Anzahl der Strafverfolgungen von Verschleppern ging parallel zurück.
Auch der Hilfsverein SOLWODI erkennt in seiner Arbeit klare Trends zu einer Verschlimmerung des Problems. Bereits jetzt meldet das Bundeskriminalamt knappe 500 Ermittlungsverfahren gegen Menschenhandel jährlich. Für Monika Grötzinger, Sozialarbeiterin der Berliner Beratungsstelle von SOLWODI, ist das nur die Spitze des Eisbergs, denn die Dunkelziffer liegt viel höher:
"Wir sehen bei uns in der Beratung auch eine zunehmende Anzahl von Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, allerdings: Von ganz vielen Frauen sind die wenigsten bereit, eine Aussage zu machen, und das schlägt sich dann eben auf die Zahlen nieder. Beispielsweise, im letzten Jahr haben wir ungefähr sechzig bis siebzig Frauen gehabt, die Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung wurden, und von den sechzig bis siebzig Frauen haben gerade mal vier Frauen eine Aussage gemacht."
Dass nur so wenige Frauen dazu bereit sind, eine Aussage zu machen, ist nicht verwunderlich, sagt Anna Hellmann von der Nichtregierungsorganisation Terre des Femmes:
"Derzeit ist es für Frauen, insbesondere dann, wenn sie aus Drittstaaten stammen, sprich aus Nicht-EU-Staaten, besonders schwer, denn nach deutschem Recht werden sie als illegal eingereiste Ausländerinnen betrachtet und werden demnach abgeschoben, also müssen Deutschland verlassen. Nur dann, wenn sie sich dazu bereiterklären, in einem Strafverfahren gegen die Täter auszusagen, dürfen sie unter Umständen für einen befristeten Zeitraum in Deutschland bleiben - bis zur Schließung oder Einstellung des Verfahrens, anschließend müssen sie Deutschland verlassen."
Die geringe Bereitschaft der Frauen, gegen ihre Verschlepper auszusagen, ist also hausgemacht, meint Anna Hellmann. Das entscheidende Problem sei der fehlende Schutz der Frauen nach Ihrer Aussage.
"Also es ist natürlich klar, dass es einer Aussage bedarf, um jemanden zu verurteilen. Aber so lange die Frauen, oder die Betroffenen, so große Angst davor haben, nochmal in die Fänge der Menschenhändler zu geraten, weil sie sich eben als Zeugin nochmal einem zusätzlichen Risiko aussetzen, so lange wird sich daran auch nichts ändern."
Doch genau diese Aussage ist notwendig, damit im deutschen Strafrecht gegen Menschenhandel vorgegangen werden kann. Der Bund deutscher Kriminalbeamter kritisiert die schwache Gesetzeslage, nach der die Hilflosigkeit des Opfers erst nachgewiesen werden muss, bevor eine Strafverfolgung wegen Menschenhandels erfolgen kann. Aber da schließt sich der Kreis – die Betroffenen haben gute Gründe, Angst vor einer Aussage zu haben. Sozialarbeiterin Monika Grötzinger ist das Problem aus der Praxis wohlbekannt:
"Sehr, sehr wenige Frauen sind bereit eine Aussage zu machen. Die ist allerdings notwendig, um die Täter zu verfolgen. Allerdings ist es ja verständlich, dass Frauen keine Aussage machen wollen: Das hängt auch damit zusammen, dass sie selber von den Menschenhändlern bedroht werden, aber auch ihre Familien im Herkunftsland. Durch diese Angst sagen die wenigsten Frauen aus, und dadurch ist es sehr schwierig, die Täter tatsächlich zu verurteilen."
Terre des Femmes sieht den Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Strafverfolgung und dem mangelnden Opferschutz ganz klar. So Anna Hellmann:
"Dass die Zahl der Verurteilten abnimmt, liegt daran, dass die Betroffenen Angst haben auszusagen. Und das liegt vor allem daran - zumindest bei den Betroffenen aus Drittstaaten - dass davon auszugehen ist, dass die Frauen abgeschoben werden. Und die deutschen Strafverfolgungsbehörden können halt weder ihre Sicherheit noch die ihrer Familien in irgendeiner Form garantieren. Deswegen sind sie nicht dazu bereit, eine Folgeaussage vor Gericht zu machen."
Die umgekehrte Schlussfolgerung lautet: Ein verbesserter Schutz der Opfer würde auch zu einer wesentlich effektiveren Strafverfolgung beitragen und die Chance schaffen, das Problem einzudämmen. Im europäischen Ausland gibt es dazu durchaus Beispiele, erzählt Anna Hellmann.
"Es gibt das italienische Modell, da ist es so, dass das Aufenthaltsrecht von der Aussagebereitschaft vor Gericht entkoppelt ist, und da sieht man, dass die Betroffenen viel stärker oder viel eher dazu bereit sind, vor Gericht auszusagen, wenn ihnen ein Aufenthaltstitel garantiert wird."
Eine Rüge der EU-Kommission hat sich Deutschland bereits eingefangen, nun stehen die Gesetzgeber auch angesichts der öffentlichen Wirkung der hässlichen Zahlen unter Druck. Die Erfahrungen derer, die sich dem Menschenhandel entgegenstellen, belegen eines: Ohne eine baldige Änderung werden die Betroffenen weiter schweigen und die Opferzahlen weiter steigen."
Quelle: Text Christina Peters - „Stimme Russlands"