Die größten Ängste der Deutschen: hohe Lebenshaltungskosten und Folgen der Migration
Archivmeldung vom 09.10.2024
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Freigeschaltet durch Mary SmithSteigende Lebenshaltungskosten bereiten in diesem Jahr den Menschen die meiste Angst (57 Prozent). Sie belegt Platz eins in der repräsentativen Studie "Die Ängste der Deutschen 2024" des Infocenters der R+V Versicherung. An zweiter Stelle folgt eine gesellschaftspolitische Sorge: 56 Prozent der Befragten befürchten, dass die Zahl der Geflüchteten die Deutschen und ihre Behörden überfordert.
Ist die Inflation wirklich gezähmt? "Die Menschen blicken mit Skepsis auf die aktuelle Entwicklung. Hohe Tarifabschlüsse, Inflationsprämien und spürbar langsamer steigende Preise konnten den Deutschen ihre Sorgen nicht nehmen", sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. Die Furcht vor höheren Lebenshaltungskosten landet mit 57 Prozent auf Platz eins im Ängste-Ranking. "Außerdem zeigt die Studie ,Die Ängste der Deutschen 2024', dass gesellschaftspolitische Themen an Gewicht gewinnen. Dazu zählen vor allem Migration und die Furcht vor politischem Extremismus."
Doch es gibt auch positive Signale: Insgesamt hat sich die Stimmung der Deutschen 2024 etwas aufgehellt. Der Angstindex - der durchschnittliche Wert aller gemessenen Ängste - fällt auf 42 Prozent (2023: 45 Prozent). Bereits zum 33. Mal hat die R+V für die Langzeitstudie 2.400 Menschen nach ihren größten Sorgen rund um Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt und Gesundheit befragt.
Angst vor Inflation - ein Dauerbrenner der Studie
Die Angst vor steigenden Preisen landet 2024 zum dritten Mal in Folge auf Platz eins. "Der Blick in unsere Langzeitstatistik zeigt: Wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, reagieren die Deutschen sensibel", berichtet Brower-Rabinowitsch. "Die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten hat öfter als jede andere Angst die Langzeitstudie dominiert." In den vergangenen drei Jahrzehnten lag sie insgesamt 14-mal auf Platz eins und siebenmal auf Platz zwei.
Eine weitere finanzielle Sorge belegt Platz drei der Studie: Mehr als die Hälfte der Deutschen (52 Prozent) befürchtet, dass Wohnen unbezahlbar wird. "Knapper Wohnraum, hohe Preise und viel Konkurrenz bei der Wohnungssuche - das bleibt eine Mixtur mit sozialem Sprengstoff", erklärt Professorin Dr. Isabelle Borucki. Die Politikwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg begleitet die R+V-Studie als Beraterin. Nach der Furcht vor unbezahlbarem Wohnraum fragt die R+V seit 2022 - sie landete jedes Jahr auf einem der ersten drei Plätze.
Warum bereiten die finanziellen Themen den Deutschen so große Sorgen? "Die Bevölkerung ist mit multiplen Krisen konfrontiert, denen sie ohnmächtig gegenübersteht. Die Wirtschaftslage bleibt angespannt, genauso wie die geopolitische Lage. Auch die Folgen der laufenden Kriege sind nicht absehbar. All das verunsichert die Menschen", erläutert Professorin Borucki. "Dieses Ohnmachtsgefühl führt dazu, dass sich der Fokus auf persönliche Belange verschiebt. Die Menschen sorgen sich um ihre individuelle finanzielle Sicherheit."
Aber die Studie zeigt auch eine Entspannung. "Im Vergleich zum Vorjahr sinken die Ängste vor hohen Lebenshaltungskosten und vor teurem Wohnraum - um jeweils acht Prozentpunkte", sagt Brower-Rabinowitsch. "Die Menschen haben mehr Geld im Portemonnaie. Das bleibt nicht ohne Wirkung." Ein Rückgang des Angstniveaus lässt sich bei zwei weiteren wirtschaftlichen Themen beobachten, die 2023 weit vorn im Ranking lagen: Die Hälfte der Deutschen hat Angst, dass der Staat wegen der Schuldenlast die Steuern erhöht oder Leistungen kürzt, Platz fünf der Studie (2023: 57 Prozent, Platz drei). Vor einer schlechteren Wirtschaftslage fürchten sich 48 Prozent der Befragten (Platz acht). 2023 belegte diese Furcht mit 51 Prozent noch Platz fünf.
Zuwanderungsthemen gewinnen an Bedeutung
Die aufgeheizte Debatte über Migration spiegelt sich auch in den Ängsten der Deutschen wider. Auf Platz zwei der R+V-Studie rangiert mit 56 Prozent die Sorge, dass die Zahl der Geflüchteten den Staat überfordert (2023: 56 Prozent, Platz vier). 51 Prozent der Befragten fürchten, dass es durch den weiteren Zuzug aus dem Ausland zu Spannungen innerhalb der Gesellschaft kommt - Platz vier der aktuellen Untersuchung (2023: 47 Prozent, Platz zwölf). Im Vergleich zu 2023 sind die Migrationssorgen also nicht oder nur leicht gestiegen.
Interessant auch der Langzeitvergleich: Beide Sorgen liegen deutlich unter dem Höchststand vom Jahr 2016. Damals - auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle - fürchteten zwei von drei Befragten, dass der Staat überfordert ist oder es durch weiteren Zuzug aus dem Ausland zu Spannungen kommt. "Das bedeutet aber nicht, dass man die aktuellen Ängste auf die leichte Schulter nehmen darf. Im Gegenteil. Grundlegende Probleme bei der Zuwanderung und Integration wurden lange nicht angegangen - das wurde schlicht verschlafen", mahnt Professorin Borucki. "Hier ist die Politik dringend gefordert. Und zwar ohne die aufgeladene Stimmung in Teilen der Gesellschaft noch weiter anzuheizen."
Bei den Zuwanderungsthemen lohnt ein tieferer Blick in die Ergebnisse. "In Ostdeutschland bereitet die Migration den Menschen mehr Sorgen als in Westdeutschland", stellt Studienleiter Brower-Rabinowitsch fest. 60 Prozent der Befragten in den östlichen Bundesländern fürchten, dass die Zuwanderung den Staat überfordert, im Westen sind es 55 Prozent. Vor Spannungen durch weiteren Zuzug haben im Osten 56 Prozent Angst, im Westen 50 Prozent. "Gerade im Osten herrscht in Teilen der Gesellschaft das Gefühl, ungleich und unfair behandelt zu werden. Das Fremde, die Geflüchteten und deren Zuzug werden als Bedrohung empfunden", erklärt Politikwissenschaftlerin Borucki.
Ein gesamtdeutsches Thema ist mit 48 Prozent die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft. "Das bereitet den Menschen im Westen genauso viel Sorgen wie im Osten", sagt Brower-Rabinowitsch.
Stärkster Anstieg: Angst vor politischem Extremismus
Mit acht Prozentpunkten hat die Angst vor politischem Extremismus in diesem Jahr am stärksten zugenommen. Sie bereitet 46 Prozent der Menschen große Sorgen. Brower-Rabinowitsch erinnert: "Kurz vor der ersten Befragungswelle der Studie war der tödliche Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim." Doch welche Art von Extremismus meinen die Befragten? 48 Prozent fürchten sich vor islamistischem Terror, 38 Prozent vor Rechtsextremismus und sieben Prozent vor Linksextremismus. Ebenfalls spürbar gestiegen - um fünf Prozentpunkte - ist die Angst vor Terrorismus. Sie liegt jetzt bei 43 Prozent.
Katastrophales Urteil für die Politik
Noch ein knappes Jahr bis zur Bundestagswahl und fast jeder zweite Deutsche (49 Prozent) befürchtet, dass die Politiker und Politikerinnen von ihren Aufgaben überfordert sind - Platz sechs im Ranking. "Diese Unzufriedenheit muss die Politik ernst nehmen", fordert Professorin Borucki. Entsprechend miserabel fallen die Schulnoten für die Politiker und Politikerinnen in Regierung und Opposition aus. "66 Prozent der Befragten vergeben die Note vier oder schlechter. Ein katastrophales Urteil."
In einem Punkt sind die Deutschen dieses Jahr auffällig entspannt: beim Blick auf den Arbeitsmarkt. Knapp ein Drittel der Befragten (30 Prozent) fürchtet, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland steigen. Noch geringer ist die Angst der Beschäftigten um ihren eigenen Arbeitsplatz. Sie liegt bei 22 Prozent - der letzte Platz im Ranking. "Das ist eine gute Nachricht. Noch weniger Angst um den eigenen Job hatten die Menschen noch nie in der Geschichte der Studie", sagt Brower-Rabinowitsch.
Über die Studie
"Die Ängste der Deutschen" ist die bundesweit einzige Umfrage, die sich seit 32 Jahren mit den Sorgen der Bevölkerung befasst. Seit 1992 befragt das R+V-Infocenter jährlich in persönlichen Interviews rund 2.400 Männer und Frauen der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter ab 14 Jahren nach ihren größten politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Ängsten. Die repräsentative Umfrage findet immer im Sommer statt - dieses Mal lief sie vom 10. Juni bis zum 18. August 2024. Die wichtigsten Ergebnisse der R+V-Ängste-Studie sind unter www.die-aengste-der-deutschen.de aufbereitet.
Quelle: R+V Infocenter (ots)