Weit entfernt von echter Aufklärung - Der NSU-Prozess steuert auf sein Ende zu - Nebenkläger-Anwalt Yavuz Narin zieht eine erste Bilanz
Archivmeldung vom 18.11.2016
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Freigeschaltet durch André OttEine unglaubliche Mordserie, Sprengstoffattacken, Banküberfälle und V-Leute - darum geht es seit dem 6. Mai 2013 im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Was unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und weltweitem Medieninteresse begann, zieht sich bis heute hin. Opferanwalt Yavuz Narin berichtet von einer "Art Allianz zwischen Verteidigung und Bundesanwaltschaft", insbesondere dann, wenn es um die Verstrickung von V-Leuten oder Beamten ging. Ein Thema, mit dem sich auch Untersuchungsausschüsse befassen.
Dreieinhalb Jahre läuft der NSU-Prozess, 2017 soll er enden. Hat sich das Durchhalten für Sie als Vertreter der Nebenklage gelohnt?
Yavuz Narin: Ich denke ja, wir sind zwar dem Ziel einer umfassenden und schonungslosen Aufklärung noch nicht so nah gekommen, dass man zufrieden sein könnte, dennoch sind auch im Rahmen des Strafverfahrens sehr wichtige Erkenntnisse ans Tageslicht gekommen. Wir hatten lange Zeit schwer zu kämpfen mit einer gut aufgestellten Verteidigung, die versucht hat, jede Erkenntnis im Keim zu ersticken - zum Teil leider Hand in Hand mit der Bundesanwaltschaft, also der obersten Anklagebehörde, die ja eigentlich zu unseren Verbündeten hätte zählen sollen.
Wir hatten also oft die skurrile Situation, dass wir eine Art Allianz zwischen Verteidigung und Bundesanwaltschaft beobachten mussten, insbesondere dann, wenn es um die Verstrickung von V-Leuten oder von Beamten ging, die in diesem Spektrum tätig waren.
Die Bundeskanzlerin hatte anfangs "schonungslose Aufklärung" versprochen. Hat die gerichtliche Aufarbeitung zur Aufklärung der Mordserie beigetragen?
Narin: Die gerichtliche Aufarbeitung ist leider nicht geeignet, eine schonungslose Aufklärung herbeizuführen, weil der Verhandlungsgegenstand sich nur auf die angeklagten Personen und die konkret angeklagten Taten erstrecken darf. Wir haben jedoch durch das Geständnis eines Mitangeklagten unter anderem erfahren, dass ein weiterer Bombenanschlag durch den NSU zu verantworten ist, der vorher nicht bekannt war, nämlich auf eine türkische Gaststätte in Nürnberg.
Wir haben darüber hinaus erfahren, dass zahlreiche Personen den NSU, also das sogenannte untergetauchte Trio, mit Waffen, Geld, falschen Dokumenten und Unterschlupfmöglichkeiten versorgt haben, und zwar über viele Jahre.
Am 249. Prozesstag hat die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihr Schweigen gebrochen und eine Entschuldigung verlesen lassen. Später räumte sie ein, immer erst nach den Morden von den Taten erfahren zu haben und jedes Mal vor Wut "ausgeflippt" zu sein. Wie kam diese Wende bei Ihnen und den Opfern bzw. deren Angehörigen an?
Narin: Meine Mandantinnen haben an diesem Verhandlungstag auch selbst teilgenommen, allerdings mit sehr gedämpften Hoffnungen. Tatsächlich war die vermeintliche Einlassung der Frau Zschäpe so um das bisherige Beweisergebnis herumkonstruiert, dass sie eigentlich nur die Dinge eingeräumt hat, die bereits zweifelsfrei nachgewiesen waren. Beate Zschäpe hat sich zudem geweigert, zu ihren Mitangeklagten Auskünfte zu erteilen.
Sie hat dann ihr Bedauern ausgedrückt und gesagt, sie fühle sich moralisch mitverantwortlich für diese Straftaten, sie sei außerdem ständig alkoholisiert gewesen. Sachverständige haben unter anderem ermittelt, dass Frau Zschäpe bis zu 4,5 Promille gehabt haben müsste, wenn ihre Aussagen über ihren Alkoholkonsum zuträfen, als sie in Zwickau die Wohnung in Brand setzte und sich dann vom Tatort entfernte.
Tatsächlich aber haben mehrere Zeugen, mit denen Frau Zschäpe dann an dem Tag Kontakt hatte, oder die sie gesehen hatten, berichtet, dass Frau Zschäpe völlig kontrolliert handelte. Ich denke sie war von ihren neuen Verteidigern nicht gut beraten. Ihre Altverteidiger sprachen sogar von 'prozessualem Selbstmord'.
Parallel zu dem Prozess gab es etliche Untersuchungsausschüsse. Wie beurteilen Sie deren Arbeit in Bezug auf die Hintergründe der NSU-Mordserie?
Narin: Wir werden viele Dinge wohl nicht erfahren. Wir haben allerdings engagierte, mutige Abgeordnete, vor allem im Thüringer Landtag unter der Leitung von Dorothea Marx. Die engagierte Aufklärerin hat gegen alle Widerstände versucht, wichtige Sachverhalte ans Licht zu bringen. Wir haben leider erfahren, dass hierbei einige unter Druck gesetzt wurden, dass sie oder ihre Kinder bedroht wurden. Umso mehr sind wir diesen mutigen Menschen zu Dank verpflichtet, dass sie sich nicht haben einschüchtern lassen.
Fühlen Sie sich als Nebenkläger-Vertreter im Prozessverlauf ausreichend berücksichtigt?
Narin: Wir haben als Vertreter der Nebenklage eine sehr schwache Position und mussten uns unseren Raum im Prozess hart erkämpfen. Und zunächst einmal erwartet man in einem Strafverfahren, dass eine Staatsanwaltschaft in erster Linie auf die umfassende Aufklärung der bezeichneten Straftaten hinwirkt und nicht etwa die Aufklärung von Sachverhalten in einer skurril anmutenden Allianz mit Teilen der Verteidigung blockiert.
Das war zunächst eine sehr merkwürdige und neue Erfahrung. Wir haben allerdings zwischenzeitlich durch die zahlreichen prozessualen Anträge und durch unser Wirken bei der Vernehmung von Zeugen uns einen gewissen Respekt des Senats erarbeitet.
Können Sie ein Beispiel für Ihr Wirken nennen?
Narin: Wir haben versucht, im Verfahren Themen zu erörtern, die nicht in der Anklage formuliert, allerdings von großer Bedeutung waren. So haben wir Beate Zschäpe die Frage gestellt, ob sie sich am 7. Mai in Berlin aufgehalten habe. Diese Frage wurde noch vor wenigen Wochen vom Senat als unzulässig abgewiesen. Später habe ich einen Beweisantrag gestellt, und Dokumente in das Verfahren eingeführt, aus denen hervorgeht, dass Beate Zschäpe und Uwe Mundlos, gemeinsam mit zwei weiteren Personen, offenbar anhand von Kartenmaterial eine Synagoge in Berlin ausgespäht haben, wenige Monate vor dem ersten Mord.
Der Vorsitzende hat allerdings insoweit Größe bewiesen, als dass er die Frage, die er wenige Wochen zuvor abgewiesen hatte, selbst der Angeklagten Zschäpe gestellt hat, und diese hat dann noch vor der Vernehmung des polizeilichen Zeugen eingeräumt, dass sie in Berlin gewesen sei. Sie habe sich jedoch nur das KaDeWe angesehen und das Brandenburger Tor und erinnere sich an weitere Dinge nicht. Inwieweit man diesen Angaben Glauben schenken kann, ist angesichts der hervorragend protokollierten Geschehnisse durch die Polizei fragwürdig.
Wie bewerten Sie die DNA-Spur, die eine Verbindung zwischen Uwe Böhnhardt und dem Mordfall Peggy vermuten lässt, vor dem Hintergrund, dass kinderpornografisches Material auf dessen PC gefunden wurde, und er Tino Brandt, den wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Ex-V-Mann, kannte?
Narin: Zumindest im unmittelbaren Umfeld des NSU ist uns anhand des Aktenstudiums frühzeitig klar geworden, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern und pädokriminelles Material eine sehr große Rolle spielten. So hat mich verwundert, dass das pädokriminelle Netzwerk, das der Chef des Thüringer Heimatschutzes, Tino Brandt, viele Jahre betrieben hat, so lange ungehindert agieren konnte, obwohl dieser Sachverhalt in Thüringen ein offenes Geheimnis war.
Wir wissen, dass Tino Brandt als V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz von seiner Behörde vor mindestens 35 Strafverfahren aktiv geschützt wurde, dass er vor polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen gezielt durch seine V-Mann-Führer gewarnt wurde. Ich denke, dass jetzt in diesem Kontext auch die Behörden gefragt sind, hier verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen, indem all diesen Sachverhalten nachgegangen wird.
Uwe Böhnhardt und der Waffenbeschaffer des NSU, Enrico T., haben in der Vergangenheit bereits im Zusammenhang mit der Ermordung eines neunjährigen Jungen eine Rolle gespielt. Enrico T. war damals Tatverdächtiger, hat dann später Uwe Böhnhardt bezichtigt, für die Ermordung des Kindes verantwortlich zu sein. Und wir haben darüber hinaus Erkenntnisse über weitere Personen aus diesem Milieu, die Böhnhardt kannten.
Also halten Sie eine Täterschaft für wahrscheinlich?
Narin: Ich halte es auf jeden Fall für sehr plausibel, dass hier ein Zusammenhang bestehen kann. Man muss natürlich die weiteren Ermittlungen abwarten. Zwischenzeitlich wurde durch das BKA eine Meldung kolportiert, es handle sich möglicherweise um eine Verunreinigung aufgrund verwendetem identischem Werkzeug an den verschiedenen Tatorten.
Diese Hypothese wurde allerdings sowohl von den Landeskriminalämtern als auch von Forensikern als sehr unplausibel angesehen, zumal die Geräte mit einer Lösung, die DNA-Material vernichtet, gereinigt werden. Abgesehen davon wurden diese Gerätschaften über viele Jahre benutzt, also hätte man Böhnharts DNA an vielen Tatorten finden müssen. Darüber hinaus kann ich sagen, dass nach meinen Erkenntnissen die DNA-Spur, die unter den sterblichen Überresten von Peggy an einem Stofffetzen aufgefunden wurde, von einer Qualität ist, die eine versehentliche Übertragung in Form einer Verunreinigung nahezu ausschließt.
Planen Sie weitere Schritte nach dem Prozess?
Narin: Nach dem Prozess wird unser Auftrag nicht beendet sein. Wir werden weiterhin alle Möglichkeiten ausschöpfen. Vor wenigen Tagen verjährte allerdings die sogenannte Operation Konfetti - im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden zahlreiche Akten zum NSU-Umfeld durch einen Mitarbeiter geschreddert. Wir wissen heute aufgrund eines Geständnisses gegenüber der Generalbundesanwaltschaft, dass diese Person die Akten vorsätzlich vernichtet hat. Dies ist erst vor wenigen Monaten bekannt geworden.
Die Staatsanwaltschaft in Köln hat sich leider geweigert, ein Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen bzw. verjährungsunterbrechende Maßnahmen zu verfügen. Wir werden demnächst Strafanzeige gegen die Staatsanwälte wegen Strafvereitelung im Amt stellen, fürchten aber, dass auch das keine Konsequenzen haben wird, weil dieselbe Staatsanwaltschaft, die diese Nichtaufnahme der Ermittlungen angeordnet hatte, für dieses Strafverfahren zuständig wäre.
Sie sind regelmäßig als Vortragsreisender unterwegs, welche Mission verfolgen Sie damit?
Narin: Ich finde es sehr schön und wichtig, dass Menschen in der ganzen Republik sich für diese Thematik interessieren. Angesichts der Komplexität des Sachverhalts kann eigentlich kein normaler Mensch mehr den NSU-Komplex überblicken, und hier will ich meinen Beitrag zur Aufklärung leisten. Die Zivilgesellschaft in dieser Demokratie scheint zu funktionieren. Das gibt auch meinen Mandantinnen das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Das Interview führte Dietlinde Terjung.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)