Sexuelle Gewalt gegen Kinder in der Kirche (Teil 1)
Archivmeldung vom 25.11.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.11.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSissi Kammerlander vom Verein VICTIMS MISSION klärt in einer mehrteiligen Serie über sexuelle Missbrauchsfälle in Österreich auf. Dieser erste Teil handelt von Jürgen.
"Mit dem Argument, Jürgen müsse für seine unbefriedigende sportliche Leistung (...) 'bestraft' werden, verübte Pater P. regelmäßig orale Penetration an ihm. Die Übergriffe fanden in der Dusche, nach dem Sportunterricht sowie auch im Schlafraum der Kinder statt. Pater P. penetrierte Jürgen jedes Mal oral, bis er schließlich in seinen Rachen und die Mundhöhle ejakulierte." Dies ist ein Zitat aus dem Klagsentwurf wegen Schadenersatz-Ansprüchen gegen den Deutschen Orden der Salesianer als seinerzeitigem Internatsbetreiber.
Kehlkopfkrebs mit 21 Jahren
Jürgen ist fünfzig Jahre alt. Er lebt heute zurückgezogen als Invaliditätspensionist in Österreich. Sein Kehlkopf sowie seine Stimmbänder mussten teilweise entfernt werden, ihm wurde Kehlkopfkrebs im Alter von 21 Jahren diagnostiziert. Jeder Versuch zu sprechen, erinnert ihn schmerzvoll an jene Erlebnisse in seiner Kindheit, die sein Leben ruinierten. Das durch schwere Misshandlungen im Kindesalter verursachte psychische Trauma führte bei Jürgen zum Krebsbefall jenes Körperteils, der den Übergriffen ausgeliefert war.
Der klinisch-psychologische Kurzbericht vom 28.12. 2011 für die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft Wien (Klasnic-Kommission) sagt über diesen Fall aus: "Der damalige behandelnde Arzt (...) vermutete eine psychische Komponente für die so frühe Erkrankung an dieser Krebsart. (...) 2005 war der Krebs erneut da, das rechte Stimmband wurde entfernt, eine Kanüle gesetzt, durch eine Pep-Sonde ein Nerv beschädigt. 2007 wurde die Ehe geschieden, 2008 mussten alle Zähne entfernt werden."
Jürgen: "Beide Erzieher gingen äußerst brutal vor"
Jürgen berichtet: "Ich war von 1974 bis 1978 Schüler im Internat L. und im Gymnasium in D. 1976 bis 1978 wurde ich Opfer regelmäßiger körperlicher und sexueller Gewalt zweier Patres, B. und P., die in der Schule unterrichteten. Im Alter von 9 bis 12 Jahren wurde ich regelmäßig oral vergewaltigt. Weitere sexuelle Übergriffe sowie Schläge musste ich über mich ergehen lassen. Während 'privater Nachhilfestunden' musste ich auf dem Schoß des Rektors, Pater B., sitzen. Unter seinem Talar war er nackt. Er zwang mich zum Oralsex und ejakulierte in meinen Mund. Beide Erzieher gingen äußerst brutal vor und meiner Meinung nach deckten sie sich gegenseitig. So sah ich als Neunjähriger einfach keinerlei Möglichkeit, dass mir irgend jemand glauben würde. Die Verletzungen, meist Hämatome, verursacht durch Hiebe des Pater B., wenn ich mich widersetzte, wurden dem Schularzt und den Eltern gegenüber als Sportverletzungen ausgegeben."
2011: Die Nachricht, dass einer der beiden Täter, nämlich Pater P., noch als Pfarrer tätig ist, trifft Jürgen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er fühlt sich verpflichtet, den Fall zu melden und wendet sich an die Klasnic-Kommission. Dort wird er 2011 als Opfer anerkannt und erhält eine Gestezahlung.
Der psychologische Kurzbericht vom 28.12. 2011 kommt zum Schluss: "Aus klinisch-psychologischer Sicht wird ein kausaler Zusammenhang zwischen den beschriebenen Ereignissen und den dargestellten Folgen hergestellt."
Orden sieht Ansprüche als verjährt an
In einem Brief reagiert der Rechtsanwalts des Ordens am 2.1. 2013 wie folgt: "Die Ansicht Ihres Klienten ist unzutreffend, dass seitens meiner Mandantschaft (der Orden) ein Anerkenntnis abgegeben wurde, geschweige denn ein konstitutives Anerkenntnis. Meine Mandantschaft steht daher nach wie vor auf dem Standpunkt, dass allfällige Ansprüche Ihres Klienten - soferne sie überhaupt bestehen - verjährt sind." Auch in einem weiteren Schreiben versucht die Gegenseite, Tatsachen aufzuweichen, die Situation zu verharmlosen und dadurch die Ansprüche abzuwehren.
2014: Die letzte bekannte Wirkungsstätte des Pater P. fällt in die Diözese Essen, deren Vorsitzender Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck ist. Bischof Overbeck wurde kürzlich mit dem Klagsentwurf Jürgens gegen Pater P. sowie den Orden konfrontiert. Jürgens Rechtsvertreterin ist Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in Wien/Österreich.
Welche Gesetzgebung wird in diesem Fall angewandt? Das kanonische Recht? Das austro-vatikanische Konkordat? Die weltlichen Strafgesetze? Die Rechtslage ist aktuell unklar.
Quelle: www.victimsmission.com/Sissi Kammerlander