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Freya Barschel und das unendliche Sterben

Archivmeldung vom 04.11.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.11.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Freya Barschel Bild: Johannes Schumacher
Freya Barschel Bild: Johannes Schumacher

Schleswig-Holsteins ehemaliger Ministerpräsident Uwe Barschel (†1987) ist ermordet worden. Das behauptete „das Medium“ Kim-Anne Jannes (39) in einer am vergangenen Sonntag ausgestrahlten gleichnamigen "Dokusoap" des Privatsenders RTL.

Die Szenerie zum Auftakt des TV-Abends an Halloween mutet gespenstisch an: Jannes, selbst ernannte Mittlerin zwischen Dies- und Jenseits gibt vor, im Möllner Wohnhaus der Barschels Kontakt zu dem toten Politiker gefunden zu haben. Die ehemalige Goldschmiedin mit britischer Ausbildung zum „Medium“ weiß angeblich zunächst nicht, dass sie mit einem prominenten Fall konfrontiert wird. Das Türschild am Möllner Wohnhaus der Barschels ist überklebt. Jannes, bei der Aufklärung eines Mallorquiner Dreifach-Mords eben noch von Atemnot und heftigen Kopfschmerzen geplagt, spürt den Lieblingsplatz Uwe Barschels schlafwandlerisch sicher auf. Sie legt sich auf einen abgewetzten, ledernen Ohrensessel fest. Freya Barschel (63), Witwe des Verstorbenen, die den „Spuk“ zunächst über einen Monitor und Kopfhörer aus einem Nachbarzimmer verfolgt, zeigt sich verblüfft.

Der Horror blüht: Jannes lässt Uwe Barschel über die Umstände seines Todes in dem Genfer Hotel „Beau Rivage“ sprechen. Es fühle sich an, als wenn er Morphium in sich habe, verrät uns Barschel aus dem Jenseits. Sein Körper zittere, die Kehle sei trocken. Der vermeintliche Barschel-Geist fragt, „auf was er sich da eingelassen hat“. Das ganze passiere in einem „neutralen Zimmer, einem Hotelzimmer“. Durch Lüftungsschlitze dringe geruchsloses Gas in dieses Zimmer, lege sich auf die Haut Barschels, lähme ihn, berichtet Jannes. Als der Politiker Schritte hört, liege er bereits bewegungslos auf dem Boden.

Und wie kam Barschel in die Badewanne? Er habe in die Wanne gelegt werden müssen, um ihm das betäubende Mittel abzuwaschen, damit es später nicht nachgewiesen werden kann – behauptet Jannes. Nur eins quäle den Politiker heute im Jenseits: Dass er seiner armen Freya nicht mehr habe sagen können, wie sehr er sie liebe. Er möchte ihr „tausend mal Danke sagen“. Der Witwe rollen Tränen über die Wangen.

Sie sei mit dem Medium einen ungewöhnlichen Weg gegangen, erklärt die Witwe. „Ich wollte damit aufzeigen, dass mein Mann kein feiger Selbstmörder und auch kein Lügner gewesen ist.“ Nun sei er rehabilitiert. Barschel-Chefermittler Heinrich Wille, Leitender Lübecker Oberstaatsanwalt im Ruhestand – jemand, der die Mord-These in seinem Abschlussbericht immerhin nicht ausschließt – möchte auch „nicht annäherungsweise“ im Zusammenhang mit dieser Sendung zitiert werden. „Ein Bereich, in dem ich mich nicht bewege“, lässt er seine Abneigung gegenüber der bizarren Geistershow spüren.

RTL versieht den Abspann mit dem Hinweis: „Die Gesprächsinhalte mit dem Medium im ,Fall Barschel‘ sind juristisch nicht relevant.“ Die Pilotsendung wirkte ohnehin dilettantisch zusammengeschustert. Im Abspann werden Menschen gezeigt, deren Fälle zwar auf einer vorab verbreiteten Promo-CD angekündigt wurden, in der Pilotsendung dann aber gar nicht auftauchten. 3,87 Millionen Menschen verfolgten nach Senderangaben den Auftakt zu einer möglichen RTL-Reihe. Marktanteil: immerhin 13,4 Prozent.

Ihr Mann hätte niemals Selbstmord begangen – da ist sich Freya Barschel sicher. 20 Jahre nach dem mysteriösen Tod ihres Mannes gibt sie Einblick in das Innenleben Uwe Barschels und erklärt, wie sie sich seine letzten Stunden rekonstruiert.

Dass Uwe Barschel umgebracht wurde, davon ist Barschels Witwe Freya seit jeher überzeugt. Die inzwischen 60-Jährige kämpft noch immer um den Ruf ihres Mannes. Sie lebt tief im holsteinischen Wald hinter Mölln in der weißen Villa, die sie und ihr Mann 1976 zusammen renoviert haben. Das 10.000 Quadratmeter große Anwesen liegt in völliger Einsamkeit. Freya Barschel, eine zierliche Frau, hat zum Tee geladen. „Darjeeling, zweite Ernte. Die ist besser als die erste“, sagt sie und nimmt im Wohnzimmer Platz.

Sie haben stets gesagt, dass Ihr Mann umgebracht wurde. Glauben Sie, dass die erneute Aufmerksamkeit zum 20. Todestag auch neue Erkenntnisse ans Licht bringen kann?

Freya Barschel: Nicht wirklich. Aber ich werde die Hoffnung nie aufgeben, dass der Mord aufgeklärt wird. Bei John F. Kennedy wurde der Mörder nie gefunden, bei Schwedens Ministerpräsident Olof Palme auch nicht. Bei meinem Mann ist es vielleicht anders. Aber solange man keinen Täter präsentieren kann, wird es schwer.

Ihr Anwalt fordert, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Mit welcher Begründung?

Barschel: 1998 hat der mit dem Fall befasste Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille in Lübeck die Ermittlungen eingestellt, weil er weder für Mord noch für Suizid sichere Erkenntnisse hatte. Jetzt aber sagt er öffentlich, dass es Mord gewesen sein muss. Damit hat er sich widersprochen. Unser Anwalt begründet seinen Vorstoß damit, dass die Staatsanwaltschaft in Lübeck nicht vertrauenswürdig sei. Konkret wurde unserem Anwalt damals die Einsicht in herbeigezogene Akten und Aktenteile unter Hinweis darauf verwehrt, die Einsichtnahme durch ihn würde den Ablauf der Ermittlungen gefährden. Auf sein Schreiben an die Generalbundesanwältin Harms hat unser Anwalt bis heute nicht einmal eine Eingangsbetätigung bekommen. Es ist ja bekannt, dass auch Oberstaatsanwalt Wille einige Indizien nicht verwerten konnte, weil ihm die beantragte Einsicht in BND-Akten verwehrt wurde.

Oberstaatsanwalt Wille will seine Mord-These in einem Buch veröffentlichen. Das hat ihm der Schleswiger Generalstaatsanwalt Erhard Rex verboten. Haben Sie mit Herrn Wille über seine Erkenntnisse gesprochen?

Barschel: Nein, ich kenne auch nicht sein Manuskript. Ich weiß nur, dass es von Beginn an stets politische Absicht war, den Tod meines Mannes als Selbstmord darzustellen. Das macht mich immer noch zornig. Ich befürchte, dass auch jetzt wieder Vieles an Informationen geblockt wird, auch von staatlicher Seite.

Wer hat Ihren Mann ermordet?

Barschel: Ich vermute, dahinter stecken diverse Geheimdienste. Mein Mann fühlte sich schon Monate vor seinem Tod bedroht. Auch der Flugzeugabsturz im Mai 1987 auf dem Flughafen Lübeck-Blankensee, bei dem die Piloten und der Leibwächter meines Mannes starben und den mein Mann knapp überlebte, war ein Anschlag.

Das müssen Sie erklären. Als Ursache gilt bis heute ein Pilotenfehler. Die Cessna hat 700 Meter vor der Landebahn einen Mast gestreift und ist deshalb abgestürzt. Nach einem Mordversuch klingt das nicht.

Barschel: Die Auswertung der Funkaufzeichnungen zwischen Piloten und Tower haben ergeben, dass die Maschine im Landeanflug stark geblendet worden ist. Die Piloten haben vermutlich den Mast nicht gesehen. Jedenfalls fühlte sich mein Mann danach nicht mehr sicher. Ende September 1987, schon nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident, bekam er zu Hause einen Anruf, der ihn völlig aus der Bahn warf. Da sagte er mir, dass er nie zuvor in seinem Leben so viel Angst gehabt hätte. Es war ihm wohl klar geworden, dass sein Wissen ihn gefährdete. Danach bat er um verlängerten Begleitschutz.

Hat Ihr Mann nie mit Ihnen über die Gründe seiner Angst gesprochen?

Barschel: Er hat mir nur gesagt, dass es Dinge gab, die ihm nach seiner Amtsübernahme 1982 nie gesagt worden waren. Er wollte ja auch im Kieler Untersuchungsausschuss Einiges offen legen.

Was konkret?

Barschel: Er sprach sehr allgemein von Waffen und von Entscheidungen, die vor seiner Amtszeit getroffen und die ihm nicht berichtet worden waren. Er sagte mir, dass ihn sein Wissen sehr belaste und dass er mit niemanden darüber sprechen könne. Ich halte generell die Thesen des Journalisten Wolfram Baentsch und des Ex-Mossad-Agenten Victor Ostrovsky für schlüssig. Beide schreiben in ihren Büchern, mein Mann habe sein Schweigen über Waffengeschäfte brechen wollen, die für den damaligen Iran-Irak-Krieg über schleswig-holsteinischen Boden gingen.

Warum kommt Selbstmord nicht in Frage?

Barschel: Selbstmord? Nicht mein Mann. Er war sehr gläubig, auch wenn ich seine Gebete nicht kannte. Selbstmord wäre keine Option für ihn gewesen. Warum auch? Sein Tod war unsinnig. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er wollte die Vorwürfe widerlegen, er sei der Hauptschuldige in der Bespitzelungsaffäre gegen Björn Engholm. Er wollte sich unbedingt entlasten.

Warum nahm er auf dem Weg von Ihrem Urlaubsort Gran Canaria zum Untersuchungsausschuss nach Kiel den Umweg über Genf?

Barschel: Es waren Herbstferien, und es gab keine Direktflüge mehr nach Deutschland. Er bekam nur einen Flug mit Aufenthalt in Genf. Wir waren schon auf der Hinreise über Genf geflogen. Sein Informant wollte ihn dann dort treffen. Mein Mann sollte von ihm Entlastungsmaterial erhalten. Wichtige Fotos. Der Informant nannte sich Roloff. Er hatte schon vorher mehrmals meinen Mann angerufen. Aber das Treffen stellte sich als Falle heraus.

Wann erfuhr Ihr Mann, dass er Roloff in Genf treffen würde?

Barschel: Vielleicht zwei Tage vorher. Wir waren schon auf Gran Canaria, als er dort angerufen wurde. Woher der Informant unsere Nummer dort hatte, weiß ich nicht. In Genf wollte sich mein Mann eigentlich ein günstiges Hotel suchen. Vom „Beau Rivage“, wo er später tot aufgefunden wurde, war nie die Rede. Das Hotel kannte er gar nicht. Es fand sich im Nachhinein ja auch nie ein Taxifahrer, der ihn dorthin gefahren hatte. Von einem geplanten Treffen in einem Hotelzimmer hat er mir nichts erzählt. Er muss dort hingelockt worden sein.

Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Ihrem Mann?

Barschel: Er rief mich aus Genf vom Hotel aus an. Wir sprachen gar nicht darüber, in welchem Hotel er war. Er sagte mir, dass er Roloff am Flughafen getroffen hatte und er sich für 20 Uhr noch einmal mit ihm verabredet hätte. Er klang sehr frohgemut. Er hat so sehr auf das Entlastungsmaterial gehofft.

Der Name Barschel wird mit dem größten Politskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte verbunden. Wie lebt es sich mit diesem Namen?

Barschel: Sehr gut. In unserer Region im Herzogtum Lauenburg ist der Name Barschel noch immer sehr positiv besetzt. Mein Mann war hier sehr beliebt. Eine Rückkehr zu meinem Mädchennamen von Bismarck kam nach seinem Tod nie für mich in Frage. Warum sollte ich anders heißen als meine vier Kinder?

Ihr Nachname mag zumindest bei manchen Politikern in Schleswig-Holstein noch immer Beklemmungen auslösen.

Barschel: Das kann durchaus so sein. Mein Mann wurde im zweiten Kieler Untersuchungsausschuss 1993 weitgehend von den Vorwürfen, er habe Björn Engholm bespitzeln lassen, rehabilitiert. Das ist aber kaum bekannt. Und in den chaotischen Wochen um die Landtagswahl 1987 glaubten die Öffentlichkeit und die Presse nicht mehr meinem Mann.

Das Bild eines unglaubwürdigen Uwe Barschel ist im öffentlichen Bewusstsein nie revidiert worden. Wie viel Schuld daran trägt seine „Ehrenwort“-Erklärung, die er wenige Tage vor seinem Rücktritt vom Amt als Ministerpräsident abgab?

Barschel: Mein Mann war doch nicht dumm. Er war Jurist. Seine Ehrenwort-Erklärung war sicher so formuliert, dass sie der Wahrheit entsprach. Er wusste also genau, was er sagte. Alles, was er in die Hand nahm, war gut vorbereitet. Er fühlte sich unschuldig.

Welche Schwächen hatte Ihr Mann?

Barschel: Ungeduld war die größte. Er war ein Perfektionist. Er hat damals in unserem Haus alle unsere Bilder mit der Wasserwaage aufgehängt. Der Garten wäre heute wohl noch gepflegter. Uwe war stets akkurater als ich.

Als Todestag ihres Mannes gilt offiziell der 11. Oktober, der Tag, an dem er gefunden wurde. Sie haben aber den 10. Oktober auf seinem Grabstein eingravieren lassen. Warum?

Barschel: Es gab da so einen Moment am Abend des 10. Oktober. Es ging mir schrecklich. Etwas war auf einmal anders. Das war kurz vor Mitternacht. Erst später wurde mir klar, dass das der Todeszeitpunkt meines Mannes gewesen sein muss.

Als Ihr Mann starb, war er schon nicht mehr Ministerpräsident. Hatte er ein politisches Comeback geplant?

Barschel: Nein, er hatte andere Pläne. Er wollte erst einmal Abstand gewinnen und zu sich finden. Er hatte überlegt, für einige Monate nach Kanada zu gehen oder ganz auswandern zu wollen. Er wollte auch ein Buch schreiben. Über das, was ihm widerfahren war. Er hat nie verstanden, wie das alles geschehen konnte.

Inzwischen berichten die Medien wieder ausführlich über die Ereignisse von damals. Wie geht es Ihnen damit?

Barschel: Es ist nicht leicht. Ich versuche, mich nicht zu häufig mit dem Thema zu beschäftigen. Es regt mich zu sehr auf. Eigentlich denke ich nur noch über das Wie und das Warum seines Todes nach, wenn ich dazu befragt werde.

Quelle: Johannes Schumacher (freier Journalist EPF)

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