Gauck distanziert sich von Wulffs Islam-These
Archivmeldung vom 31.05.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBundespräsident Joachim Gauck hat sich von der These seines Vorgängers Christian Wulff distanziert, wonach der Islam zu Deutschland gehöre. Diesen Satz könne er so nicht übernehmen, sagte Gauck in einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Die Zeit". "Aber seine Intention nehme ich an", bekräftigte Gauck. Wulffs Absicht sei gewesen, die Bürger für die Wirklichkeit zu öffnen. "Und die Wirklichkeit ist, dass in diesem Lande viele Muslime leben", so der Bundespräsident. Er hätte einfach gesagt, "die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland."
Auf seiner Nahost-Reise bekräftigte Gauck indessen Deutschlands Solidarität und Unterstützung bei der Schaffung eines eigenständigen palästinensischen Staates. "Deutschland bekennt sich nachdrücklich zur Zwei-Staaten-Lösung und unterstützt die Schaffung eines eigenständigen palästinensischen Staates", so Gauck nach einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Donnerstag in Ramallah. Man sein sich einig, dass nur Verhandlungen und niemals Gewalt zu diesem Ziel führen werden. Deutschland unterstütze den Aufbau in den Autonomiegebieten mit 70 Millionen Euro im Jahr. Dabei nehmen Bildung und Sicherheit zentrale Pfeiler ein.
Westerwelle lobt Gaucks Nahost-Reise
Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat Bundespräsident Joachim Gauck für sein Auftreten in Israel und den Palästinensergebieten gelobt. "Wir alle können mit dem Verlauf der Nahost-Reise des Bundespräsidenten sehr zufrieden sein", sagte der FDP-Politiker der Tageszeitung "Die Welt" (Freitag). "Der Besuch in Israel hat die Beziehungen zwischen unseren Ländern weiter vertieft." Anders als Gauck benutzte Westerwelle die Formulierung, dass "die Sicherheit Israels für uns nicht verhandelbar ist und das Existenzrecht Israels Staatsraison ist". Dies sei nicht nur Antwort auf das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte, sondern auch "Ausdruck der Wertepartnerschaft, die wir mit Israel haben". Von einem Bundespräsidenten solle man allerdings "nicht erwarten, dass er dieselben Worte wählt wie andere vor ihm". Er habe seine besondere Verbundenheit mit Israel in eigenen Worten zum Ausdruck gebracht. "Ich finde, das ist ihm sehr gut gelungen."
Gauck warnt vor Überhöhung des Holocaust-Gedenkens
Bundespräsident Joachim Gauck sieht in dem Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wonach das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehöre, eine Überforderung. Zugleich warnte das deutsche Staatsoberhaupt davor, die Erinnerung an den Holocaust in etwas Überwirkliches zu verwandeln. In einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte Gauck: "Dieser Satz von Frau Merkel kommt aus dem Herzen meiner Generation. Er bedeutet letztlich womöglich eine Überforderung, vielleicht auch eine in ganz tiefen Schichten wurzelnde magische Beschwörung. Alles, was wir tun wollen, soll geleitet sein von dem Ziel, dass Israel als Heimstatt der Juden beschützt sein soll. Dieser Satz ist nicht nur aus der politischen Ratio geboren, sondern aus einer tiefen Zerknirschung. Es ist ein moralischer Appell an uns selber, bei dem ich sehr besorgt bin, ob wir die Größe dieses Anspruchs an uns selbst in politisches Handeln umzusetzen vermögen." Für eine Schlussstrich-Debatte werde ein Präsident Gauck nie Verständnis haben. "Aber einer Tendenz will ich auch nicht folgen: der Wandlung der Rezeption des Holocaust in eine quasi religiöse Dimension, in etwas Überwirkliches."
Gauck äußerte Verständnis für die Entlassung des früheren Umweltministers Norbert Röttgen, forderte die Bundeskanzlerin jedoch auf, den Vorgang zu erklären. "In einer Situation, in der die Koalition nicht von jedem nur gute Zensuren bekommt, ist es ein hoher politischer Wert für eine Regierungschefin, Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Es hilft aber, wenn die konkrete Handlung der Öffentlichkeit nachvollziehbar erklärt wird", sagte Gauck der ZEIT.
Mitgefühl äußerte das Staatsoberhaupt mit seinem Vorgänger Christian Wulff. "Es war schön zu sehen, wie da zu Beginn der Amtszeit ein junges, begabtes Paar auf diese neue Aufgabe zugegangen ist. Und dann gab es dieses Bündel von Ursache und Wirkung oder von problematischem Krisenmanagement, und alles hat so zusammengewirkt, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt abzusehen war, es würde nicht gut gehen. Je nach Neigung konnte man dann `Hurra` schreien, oder es erfasste einen eben ein - lassen Sie es mich ruhig auch sagen - christliches Mitgefühl, das völlig unabhängig ist von einem politischen Urteil", so Gauck.
Graumann lobt Gaucks Auftritt in Israel
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hat Bundespräsident Joachim Gauck für seinen Auftritt in Israel gelobt. Graumann, der Gauck bei einem Teil der Reise begleitet hatte, sagte der "Saarbrücker Zeitung" (Freitagausgabe), besonders in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem habe Gauck Worte "von großer emotionaler Kraft" gefunden. "Er ist ein Mann, der Gefühle sehr gut vermitteln kann. Das war bei dieser schwierigen Reise ganz wichtig." Gaucks Aussage, dass man den Holocaust nicht vergessen dürfe und zu Israel stehen solle, habe ihn persönlich sehr bewegt. "Dahinter steht auch eine politische Botschaft, die in Israel gut angekommen ist, und die man hoffentlich auch in Deutschland hört." Er verstehe die wachsende Israel-Skepsis in Deutschland nicht, bei der das Land sogar mit Nordkorea oder dem Iran verglichen werde, sagte Graumann. "Ich finde das ungerecht." Israel mache zweifellos auch politische Fehler, darunter den Siedlungsbau. Doch müsse man auch von deutscher Seite für mehr Verständnis im Umgang mit Israel werben. "Der Staat ist einer, der offen in seiner Existenz bedroht wird. Das ist bei keinem anderen Land so." Insgesamt verdiene Israel mehr Sympathie. "Der Bundespräsident hat mit seiner Reise eine ganze Menge dazu beigetragen. Und das hat er auch sehr selbstbewusst gegenüber Israel getan."
Quelle: dts Nachrichtenagentur