Studie des Deutschen Philologenverbandes: Gymnasiallehrer mehrheitlich beruflich hoch belastet
Archivmeldung vom 09.03.2020
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Freigeschaltet durch André OttZwei Drittel der mehr als 176.000 Gymnasiallehrer in Deutschland erleben in ihrem Schulalltag eine hohe oder sehr hohe berufliche Belastung. Die empfundene Belastung steigt mit längeren Arbeitszeiten noch einmal deutlich an: So sprechen 74 Prozent der Lehrer an Gymnasien mit 40 bis 45 Wochenstunden von einer hohen bzw. sehr hohen Belastung.
Von denen mit über 45 Wochenstunden sagen dies sogar 83 Prozent. Das ist eines der Ergebnisse der vom Deutschen Philologenverband (DPhV) in Auftrag gegebenen Studie "Lehrerarbeit im Wandel" (LaiW).Studie des Deutschen Philologenverbandes unterstützt durch die DAK-Gesundheit "LEHRERARBEIT IM WANDEL"
Die Studie wurde vom Institut für Präventivmedizin der Universitätsmedizin Rostock durchgeführt - unterstützt von der DAK-Gesundheit. Mit über 16.000 ausgewerteten Datensätzen der online befragten Gymnasiallehrer ist sie die bisher umfassendste Erhebung zu dieser Thematik. "Neun von zehn Lehrern beschreiben das zu hohe Arbeitspensum als besonders belastend", sagt Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands. "Lehrern wird ihr Beruf durch schlechte Rahmenbedingungen und die Delegierung neuer Aufgaben von Seiten der Politik immer weiter erschwert. Wir können nicht stillschweigend in Kauf nehmen, dass unsere Gymnasien nur noch durch eine chronische Überlastung der Lehrkräfte funktionieren."
Fehlende Ruhezonen, hohes Arbeitspensum und viel Lärm
Schlechte Rahmenbedingungen stressen die Gymnasiallehrer: Die große Mehrheit (74 Prozent) vermisst Ruhezonen, die Hälfte leidet unter einem hohen Lärmpegel im Klassenzimmer und mehr als ein Drittel der Lehrkräfte kann sich nicht ausreichend erholen. Vier von zehn Lehrkräften schlafen schlecht. "Wir müssen das Thema Lehrer-Gesundheit in den Fokus der Öffentlichkeit rücken", sagt Andreas Storm. Der Vorstandschef der drittgrößten gesetzlichen Krankenkasse fordert eine Sondersitzung der Kultus- und Gesundheitsminister aller Bundesländer. "Notwendig ist ein Gesundheitsgipfel Schule", so Storm.
Hohe Zufriedenheit mit Lehrerberuf
Trotz der bestehenden hohen Belastung sind drei Viertel der Befragten mit ihrem Beruf sehr zufrieden bzw. zufrieden. Entsprechend hoch ist auch die Bereitschaft, das anfallende Arbeitspensum abzuarbeiten. Die Zufriedenheit mit dem Lehrerberuf basiert im Kern auf vier Punkten: An erster Stelle steht mit 45 Prozent die Arbeit mit den Schülern, gefolgt von der flexiblen Zeiteinteilung (42 Prozent). Die Autonomie im Unterricht und die Zusammenarbeit mit den Kollegen sind weitere zufriedenheitsstiftende Aspekte. "Die meisten Lehrer sind trotz hoher Arbeitsbelastung mit ihrem Beruf zufrieden und die Arbeit mit den Schülern macht ihnen Freude", so Lin-Klitzing.
Viele Lehrer haben eine Sieben-Tage-Woche
Unzufriedenheit lösen bei gut einem Drittel der Befragten lange Arbeitstage aus sowie stetig zunehmende Mehraufgaben - auch aus dem außerunterrichtlichen Aufgabenspektrum. Die in einer regional abgegrenzten Teilstichprobe zusätzlich durchgeführte Arbeitszeit-Abfrage mittels einer App dokumentiert bei vielen Lehrern lange Arbeitstage und eine Sieben-Tage-Woche. Häufig gelingt keine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, wodurch es für die Betroffenen schwer ist, sich am Feierabend und am Wochenende effektiv zu erholen. Weitere Gründe für Unzufriedenheit sind zunehmende Verwaltungsaufgaben und behördliche Vorgaben (jeweils 18 Prozent).
Im Unterricht empfinden Lehrer vor allem die Leistungsunterschiede zwischen den Schülern als belastend (95 Prozent). Außerdem sind für jeden Zweiten der Lärmpegel und verhaltensauffällige Schüler eine große Belastung. Dazu kommen die Mängel in der schulischen Infrastruktur: So hält lediglich jeweils ein Viertel die Arbeitsplätze in der Schule und das Angebot an Ruhezonen für ausreichend.
Schulbezogene Präventionsmaßnahmen dringend notwendig
Nach Ansicht des Instituts für Präventivmedizin sind schulbezogene Präventionsmaßnahmen dringend notwendig, um die Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Lehrer längerfristig zu erhalten. "Lehrer benötigen einen modernen Arbeits- und Gesundheitsschutz, weil sie hohe Anforderungen zu bewältigen haben und einen erheblichen Beitrag zum gesellschaftlichen Gemeinwohl leisten", erklärt die wissenschaftliche Projektleiterin der Studie, Dr. Reingard Seibt.
Andreas Storm ergänzt: "Die Studie zeigt, dass Lehrer dringend Unterstützung beim Gesundbleiben brauchen. Nur wenn sie selbst fit sind, können sie den Schülern einen gesunden Lebensstil vermitteln. Schule muss zu einem Ort der Gesundheit werden."
"Der DPhV unterstützt nachdrücklich die Forderung nach einem nachhaltigen Gesundheitsmanagement an den Schulen", so Prof. Dr. Lin-Klitzing.
Viele Lehrer gehen krank zur Arbeit
Wie die LaiW-Studie weiter zeigt, fehlt bei all der Belastung die deutliche Mehrheit der Lehrer (78 Prozent) wegen Krankheit nur wenige Tage im Jahr. Bei neun von zehn Lehrern kommt es innerhalb eines Jahres vor, dass sie trotz Krankheitsgefühl zum Dienst gehen - bei mehr als einem Drittel sogar gegen ärztliche Empfehlung. Obwohl die große Mehrheit angibt, auf ihre Gesundheit und ein gesundheitsförderliches Verhalten zu achten, gelingt nur der Hälfte eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit.
Fast die Hälfte der Gymnasiallehrer wünscht sich vor allem, dass die Politiker das Stunden-Deputat absenken (46 Prozent) und die Anzahl der Schüler pro Klasse verringern (32 Prozent). Je ein Fünftel möchte, dass sich der Umfang außerunterrichtlicher Pflichten und Verwaltungsaufgaben verringert und die organisatorischen Rahmenbedingungen der Arbeit optimiert werden.
Der Deutsche Philologenverband setzt sich deshalb für bessere schulische Rahmenbedingungen ein. Sie müssen schnell und umfassend realisiert werden, um die Lehrkräfte sofort zu entlasten. Der DPhV fordert:
Belastung senken:
- Entlastung der Lehrkräfte, auch für außerunterrichtliche Tätigkeiten, durch mehr Anrechnungsstunden
- Deutliche Senkung der Regelstundenzahl
- Reduzierung von Verwaltungsaufgaben
- Für jede Zusatzaufgabe muss eine andere entfallen
Unterstützung steigern:
- Leistungsheterogenität senken
- Kleinere Klassen bilden
- Zusätzliche Verwaltungskräfte an Schulen einstellen
- Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern stärken
- Professionelle Unterstützungskräfte einsetzen, z.B. Schulpsychologen vor Ort an jeder Schule - Individuelle Förderung durch zusätzliche Lehrkräfte/Förderkräfte ermöglichen
Zufriedenheit erhalten:
- Bessere materielle Ausstattung der Schulen
- Mehr Arbeitsplätze für Lehrkräfte
Prävention beginnen:
- Ruhige Rückzugsorte in der Schule
- Maßnahmen zur Gewährleistung der Erholungsfähigkeit für Lehrkräfte: Kombination aus arbeitsorganisatorischen Maßnahmen (Stundenplangestaltung, Rückzugsräume) und Maßnahmen zur Verhaltensprävention
- Bessere Ausstattung und Lärmschutz an den Schulen
Quelle: Deutscher Philologenverband (ots)