Der Weg nach unten
Archivmeldung vom 15.06.2004
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.06.2004 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Michael DahlkeEin 53jähriger erwerbsloser Berliner in den Fängen der Verwalter der Arbeitslosigkeit
Peter Telge (Name geändert) ist enttäuscht und wütend. Er geriet in die Mühlen der Verwaltung der Arbeitslosigkeit. Eine der Folgen war, daß er aufgrund einer dreimonatigen sogenannten Sperrzeit beinahe aus seiner Wohnung in Berlin-Reinickendorf geflogen wäre. Er konnte seine Miete nicht zahlen, weil die zuständige »Agentur für Arbeit« die Arbeitslosenhilfe bzw. das zuständige Sozialamt die zustehende Sozialhilfe nicht zahlten.
Telge fühlt sich schikaniert und spricht von »unerträglichen Verhältnissen« bei der zuständigen Agentur für Arbeit in seinem Stadtbezirk. Der gelernte Fernmeldemechaniker ist seit 1999 arbeitslos. Seitdem versucht er neue Arbeit zu finden, sich weiterzubilden und auch als Selbständiger über die Runden zu kommen. Mit seinen 53 Jahren hat er schlechte Karten auf dem »Arbeitsmarkt«, wie er selbst einschätzt.
In die Mühlen der Bürokratie, die Arbeitslosigkeit nur noch verwaltet, geriet er Anfang 2002. Er nahm damals an einer sogenannten Weiterbildung bei einem privaten Bildungsinstitut, der CDI GmbH, teil, vermittelt vom Arbeitsamt. Sein Vertrag wurde einen Tag vor Ablauf des Kurses gekündigt. Der Grund: Er hatte sich mehrfach über grobe Disziplinverstöße einiger Teilnehmer beschwert. Im Kurs seien von Teilnehmern Computerspiele statt des Betriebssystems Linux geübt worden, was zu erheblichen Störungen des Unterrichts geführt habe. Die Folge: Die zuständige Behörde in Berlin-Reinickendorf sperrte für drei Monate den Bezug der Arbeitslosenhilfe.
Peter Telge wehrte sich und erreichte im November 2003 vor dem Sozialgericht Berlin einen sogenannten Vergleich. Die »Sperrzeit« wurde auf drei Wochen verkürzt, die Arbeitslosenhilfe mußte deshalb nachgezahlt werden. Doch das geschah bis heute nicht vollständig. Zwischendurch bekam Telge Sozialhilfe und versuchte, sich selbständig zu machen, wenn auch ohne großen Erfolg. Telge meldete sich im Juni 2003 wieder arbeitslos. Bis heute wartet er auf 300 Euro, die seinen Angaben zufolge noch nicht nachgezahlt wurden. Arbeitsamt wie auch Sozialamt weigerten sich sogar, eine mehrfach geforderte und durch Rechtsanwälte angemahnte Abrechnung über den Nachzahlungsbetrag vorzulegen. Telges wiederholte Nachfragen und Beschwerden wurden regelmäßig ignoriert. Zu den Folgen gehörten Mietschulden und eine Räumungsklage seines Vermieters, die jedoch abgewendet werden konnte.
Der 53jährige wird wütend, wenn er berichtet, was er mit den Behörden erlebte. Er empfindet es als »entwürdigend«, wie die Bürokratie mit ihm umgeht. Mit verschiedenen Begründungen sei versucht worden, seine Anträge auf Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfe abzulehnen. Er spricht von »vorsätzlichen Schikanen« und Beleidigungen durch Mitarbeiter der Agentur für Arbeit in Berlin-Reinickendorf. Nach seinem Eindruck steckt hinter alldem eine bewußte Methode, die die Betroffenen abschrecken soll, ihre Rechte einzufordern.
In dem Berliner Stadtbezirk ist der CDU-Mann Frank Balzer »Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Soziales und Sport«. Er lobt sich selbst dafür, daß er den sozial Schwachen das Leben schwer macht. Der Berliner SPD/PDS-Senat beschloß Ende 2003, die 260 000 Sozialhilfeempfänger in der Hauptstadt schärfer zu kontrollieren. Die Geschichte von »Florida-Rolf« war zuvor durch die Medien gegeistert. Das Ziel war, Geld einzusparen durch Streichung vermeintlich ungerechtfertigter Ansprüche der Betroffenen. CDU-Mann Balzer verkündete stolz: »Für uns nichts Neues, da wir schon seit Jahren gründlich prüfen.« So seien 2003 durch acht »Sozialdetektive« etwa 800 000 Euro in Berlin-Reinickendorf »eingespart« worden. Schon 2001 wurde Balzer von Betroffenen-Initiativen wegen seiner »Politik der sozialen Ausgrenzung« kritisiert.
»Sparen durch Schikane« hieß ein ZDF-Bericht im vergangenen Jahr, in dem gezeigt wurde, wie die Bundesagentur auf Kosten der Arbeitslosen versucht, sich zu sanieren. Einsparen statt Vermitteln in Arbeit sei die Vorgabe, gestand eine Mitarbeiterin der Behörde vor laufender Kamera. Es gehe nur noch darum den Betroffenen »einen Teil der ihnen zustehenden Zahlungen wieder zu kürzen, sie zu sperren, einzusparen«. Arbeitsämter bzw. -agenturen hätten für Langzeitarbeitslose »kaum noch Zeit und kaum noch Geld«, hieß es in dem TV-Beitrag.
So ist das, was der Berliner Peter Telge erlebt, längst kein Einzelfall. Das gilt auch für seinen Versuch, sich weiterzubilden. Bundesweit wird seit langem die schlechte Qualität der Umschulungen und Weiterbildungen, die die Bundesagentur für Arbeit vermittelt, kritisiert. Schon 2002 zeigte die Stiftung Warentest auf, wie private Bildungsinstitute »zum eigenen Vorteil mit Steuergeldern umgehen«. Der Katalog der Vorwürfe reicht vom geringen Interesse am Vorwissen der Arbeitslosen über konzeptlose Kurse und schlechte Qualifikation der »Dozenten« bis hin zu fehlenden Informationen zu Chancen nach dem jeweiligen Kurs. Seit Jahren wird in den Medien über das »Milliardengeschäft mit der Weiterbildung« berichtet, verändert hat sich nichts.
Gegenwärtig ist die Agentur für Arbeit damit beschäftigt, die nicht nur bürokratische Katastrophe um das ab 1. Januar auszuzahlende Arbeitslosengeld II zu bewältigen. Die Betroffenen wie Peter Telge gewinnen dabei nichts, sondern müssen eher befürchten, noch mehr zu verlieren. Der Berliner lebt zur Zeit von etwa 550 Euro Arbeitslosenhilfe. Ab Anfang nächsten Jahres muß er mit 345 Euro zurechtkommen.