Miersch hält Scheitern der Koalitionsverhandlungen für möglich
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hält trotz erfolgreicher Sondierungen mit der Union ein Scheitern der weiteren Gespräche zur Regierungsbildung für möglich. "Wir haben immer wieder gesagt, Koalitionsvereinbarungen sind kein Automatismus", sagte Miersch dem Nachrichtenmagazins Politico. "Wir wissen nicht, wo wir in einigen Wochen stehen." Auf die Frage, ob die Koalitionsverhandlungen scheitern könnten, antwortete Miersch: "Natürlich."
Viele Fragen seien "sehr kontrovers" diskutiert worden. Jetzt sei es die
Aufgabe, "Kompromisse zu suchen und die Möglichkeiten einer Koalition
zu prüfen". Die Sondierungsgespräche seien "nicht ganz einfach" gewesen:
"Aber wir haben, finde ich, ein sehr belastbares Ergebnis hinbekommen."
Miersch setzt auf einen raschen Start weiterer Gespräche: "Ich gehe
davon aus, dass wir in dieser Woche starten."
Der
SPD-Generalsekretär wies zudem Spekulationen zurück, seine Partei wolle
die Entscheidungen unter anderem zu Schuldenbremse und Sondervermögen im
Parlament abwarten, um danach eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung
anzustreben: "Das ist nun wirklich Quatsch. Das schließe ich aus."
Miersch
verteidigte die Vereinbarungen mit der Union zur Migration und zu
Zurückweisungen an den Grenzen. Der zentrale Punkt sei, "dass wir hier
keinen nationalen Sonderweg machen, sondern im Rahmen des europäischen
Rechts eben die Abstimmung mit dem europäischen Nachbarn, wie wir es
beispielsweise mit der Schweiz schon praktizieren", so der
SPD-Generalsekretär.
Einigen Fachleuten geht der
Sondierungskompromiss von Union und SPD wiederum nicht weit genug. "Die
Vorhaben im Sondierungspapier gehen in die richtige Richtung", sagte der
Konstanzer Migrationsrechtsforscher Daniel Thym der "Süddeutschen
Zeitung". "Sie wirken aber nur kurzfristig. Daneben brauchen wir jetzt
einen großen Wurf."
Thym plädiert für eine umfangreiche EU-Reform
und mahnt einen stärkeren Grenzschutz und Asylzentren außerhalb
Deutschlands an. "Wir haben in Deutschland wahrscheinlich nur noch diese
eine Chance, die Probleme durch Parteien der politischen Mitte in den
Griff zu bekommen", sagte Thym. Schaffe man es nicht, "das System neu
aufzustellen und Ordnung zu schaffen, dann dürften rechte und
rechtsextreme Kräfte erstarken und ganz andere Fragen stellen". Dann
drohe eine Abschaffung des Asylrechts.
"Wir brauchen langfristig
eine weitere EU-Asylreform", sagte Thym. Die laufende reiche nicht aus.
Wichtig sei ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen. Nötig seien auch
"Modellprojekte für Asylverfahren schon in Drittstaaten und
Rückführzentren für Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde".
Thym
schlägt etwa Rückführungszentren in der Türkei vor. Die neue Regierung
müsse auch verhindern, dass Menschen im Land bleiben, die keinen
Schutzstatus haben. Da gebe es "Vollzugsdefizite" bei deutschen
Behörden. "Es fehlt die Digitalisierung, die Behörden haben Probleme,
neues Personal zu gewinnen, es gibt sehr komplizierte gesetzliche Regeln
und sehr komplizierte Urteile."
Der Migrationsexperte sieht
zudem juristische Probleme bei zentralen Vorhaben der künftigen
Regierung. Dass Deutschland auf lange Sicht Asylsuchende an der Grenze
zurückweisen kann, hält er für wenig realistisch. "Dauerhafte
Zurückweisungen über viele Monate hinweg haben eine sehr geringe
juristische Chance", sagte Thym.
Er empfiehlt der nächsten
Regierung deshalb, nicht alle Asylsuchenden zurückzuweisen, sondern nur
bestimmte Gruppen. "Denkbar wäre etwa, dass Familien und Minderjährige
aus humanitären Gründen weiter ins Land kommen, während junge Männer
zwischen 18 und 40 Jahren zurückgewiesen werden." Das erhöhe die Chance,
dass Gerichte "mitspielen". Die nächste Regierung könne so kurzfristig
das Zeichen setzen: "Die Willkommenskultur ist vorbei."
Quelle: dts Nachrichtenagentur