Berlin: Polizei setzt Corona-Versammlungsverbot gegen Demonstranten und Journalisten durch
Archivmeldung vom 11.04.2020
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEinige Hundert Menschen haben am Samstag an ihre Grundrechte erinnert, die auch in der Corona-Krise gelten sollen. Ein Großaufgebot der Polizei hat versucht, die „Ansammlung“ aufzulösen. Dabei hat sie eine unbekannte Zahl von Menschen vorläufig verhaftet, darunter auch Sputnik-Autor Ulrich Gellermann. Sputnik war vor Ort.
Weiter heißt es hierzu auf deren deutschen Webseite von "Sputnik": "Bis zu 400 Menschen haben am Samstag in Berlins Mitte gegen die Einschränkungen ihrer Grundrechte durch die Corona-Verordnungen der Bundes- und Landesregierungen protestiert. Sie waren einem Aufruf der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ gefolgt, die auf ihrer Webseite das ankündigte: „Dritte Hygiene für Verfassung, Grundrechte & transparente Gestaltung der neuen Wirtschaftsregeln durch die Menschen selbst. Mit 2-Meter-Abstand, Mundschutz* und Grundgesetz.“
Doch damit verstießen sie gegen die „Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung“ des Landes Berlin. Dort heißt es gleich in § 1: „Öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen, Versammlungen, Zusammenkünfte und Ansammlungen dürfen nicht stattfinden.“ Mehrfach erklärte die massiv aufgefahrene Polizei den Anwesenden „Hier findet heute keine Versammlung statt“ und forderte dazu auf, den Rosa-Luxemburg-Platz bei der Volksbühne in Berlin-Mitte zu verlassen. Mehrfach wurde das mit der Eindämmungsverordnung erklärt und damit, dass die Menschen davor geschützt werden müssten, dass sich das Virus weiter ausbreitet. „Gehen Sie in den Park oder nach Hause oder sonst wohin“, forderte ein Polizist via Lautsprecher auf.
Weil das die meisten erst einmal ignorierten, dabei das Grundgesetz hochhaltend und verteilend, verhaftete die Polizei in Kampfuniform zahlreiche der Anwesenden. Diese wurden einem Sammelpunkt in der Nähe des Kinos „Babylon“ in der Alexanderstraße zugeführt und erhielten eine Anzeige sowie einen Platzverweis, nachdem ihre Personalien aufgenommen worden waren. Wer sich wehrte, wie eine junge Frau, wurde massiv gezwungen, mitzukommen. Die Polizisten waren alle so ausgerüstet, als würden sie gegen Gewalttäter vorgehen, fast alle mit Schutzmasken, eine ganze Reihe mit Helm.
Keine Rücksicht auf Journalisten
Es traf auch Journalisten wie Ulrich Gellermann und Ken Jepsen, denen ihr beruflicher Status nicht half. Journalisten, die nur den Presseausweis vorzeigten und keinen Personalausweis dabei hatten, wurde ebenso des Platzes verwiesen. Jepsen erklärte später gegenüber Sputniknews, er sei aufgegriffen worden, als er sich am Platz mit Kollegen traf. Mehr wisse er nicht, sagte er auf Nachfrage, nachdem er seine Anzeige bekommen hatte. Auch der Autor dieses Berichtes wurde mehrmals von Polizisten beim Arbeiten behindert.
Waleska Jakubowski, Sprecherin der Polizei Berlin, konnte auf Nachfrage vor Ort nicht erklären, warum selbst Journalisten zugeführt wurden. Ebenso konnte sie nicht beantworten, warum zielgerichtet Personen mit Transparenten und Schildern herausgegriffen und zugeführt wurden. Sie erklärte, die Maßnahmen gegen die Anwesenden seien wegen des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz und der Eindämmungsverordnung erfolgt. Sie verwies auf den § 1 der Berliner Verordnung und darauf, dass die „Ansammlung“ am Rosa-Luxemburg-Platz nicht bei der Polizei angemeldet sowie keine Ausnahmegenehmigung beantragt wurde.
Laut Jakubowski waren zuerst Kommunikationsbeauftrage der Polizei im Einsatz, als solche gekennzeichnet, die auch viel mit den Anwesenden diskutierten und versuchten, sie zu überzeugen, den Platz zu verlassen und den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Wer dem nicht nachgekommen sei, sei „angesprochen“ worden und zur Personenfeststellung gebracht worden.
Gezieltes Herausgreifen Einzelner
Kurz zuvor wurde Sputnik mehrfach Zeuge, wie gezielt Menschen mit Protestschildern von behelmten Polizisten festgenommen und zum Sammelpunkt gebracht worden, obwohl sie nicht in Gruppen standen. Eine junge Frau berichtete, dass ihr Freund in dem Moment von sechs Polizisten verhaftet wurde, als er ein Transparent „Für Menschenrechte“ in die Luft hielt. Er sei zu Boden gerissen worden und dann seien ihm Handschellen angelegt worden. Die Polizisten hätten ihr erklärt, dass ihr Freund ein „Straftäter“ sei.
Eine Frau wurde von mehreren Polizisten zum Sammelpunkt geführt, während sie weiter das Grundgesetz der Bundesrepublik hochhielt. So erging es einer bisher unbekannten Zahl von Menschen, wobei es reichte, dass sie auf dem Platz das Geschehen beobachteten und Polizisten meinten, sie würden falsch stehen.
Eine Frau trug ein Schild, dass nur an Absatz 4 des Grundgesetzartikels 20 erinnerte und aufforderte, die Lügen zu stoppen. In dem Artikel heißt es: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Eine ganze Gruppe behelmter Polizisten war ihr zielgerichtet gefolgt und verhaftete sie dann.
Die Polizisten auf dem Rosa-Luxemburg-Platz wurden nicht nur in Diskussionen verwickelt, sondern auch verbal attackiert, unter anderem mit „Kopf einschalten, Jungs“. Zum Teil geduldig versuchten sie die Anwesenden zu überzeugen, bevor sie härter durchgriffen. Als Antwort kamen unter anderem Beifall, Buh-Rufe und Sprechchöre wie „Wir sind das Volk“, auch das Singen der Nationalhymne oder Rufe wie „Stasi“.
Andreas Knopp sagte gegenüber Sputnik, er verstehe angesichts der Corona-Krise und der politischen Maßnahmen die Welt nicht mehr. Auch angesichts des Geschehens am Rosa-Luxemburg-Platz schüttelte der Chemiker, der nach eigenen Worten selbst im medizinischen Bereich tätig war, den Kopf. Er habe vorher in der Zeitung davon gelesen:
„Ich finde das unglaublich, dass die beim Verteilen des Grundgesetzes Ärger bekommen haben und das Grundgesetz beschlagnahmt worden ist.“
Er habe das erst nicht glauben können und habe sich selbst davon überzeugen wollen, „dass es das gibt“.
„Ich bin erschüttert“, erklärte Heinrich Kerstens aus Giffhorn (Niedersachsen), der nach Berlin gekommen war, „um für die Grundrechte einzustehen“, wie er Sputnik erklärte. Das habe er eine Woche zuvor bereits getan, worauf er von drei Polizeibeamten festgenommen und eingeschüchtert worden sei. Er habe eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz bekommen, nur weil er mit dem Grundgesetz über den Platz gelaufen sei.
Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz sind Zitate der Namensgeberin in die Straßen- und Wegeoberfläche eingelassen, der deutschen Revolutionärin, die 1919 ermordet wurde. Gern wird an ihren Ausspruch „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ erinnert, selbst von bundesdeutschen Politikern. Einer, der sich in der DDR auf sie berief und als Bürgerrechtler im Westen hofiert wurde, kam nach dem Ereignis radfahrend dem Autor im Prenzlauer Berg entgegen: Roland Jahn, „Stasi-Unterlagen“-Beauftragter der Bundesregierung. Bei der Aktion derjenigen, die sich heute in Berlins Mitte für ihre Grundrechte einsetzten, war Jahn nicht dabei.
Prominente Warnung vor Schaden für Grundrechte
Sein Motiv beschrieb der 62-Jährige so: Er habe vor 50 Jahren seinen Großvater und Vater gefragt, warum der Faschismus und dessen Verbrechen möglich waren. Damals habe er keine Antwort bekommen. „Ich möchte meinen Enkelkindern ein Antwort geben können, wenn ich gefragt werde: Wie ist das hier alles passiert?“
Das politische Argument, gegenwärtig gehe es nur um den Schutz der Bürger vor einem Virus, sieht er als Vorwand. Er sei vorher nie ein politischer Mensch gewesen, betonte er, könne jetzt aber nicht mehr einfach zuschauen. Er habe sich eine Ausrede einfallen lassen müssen, um nach Berlin fahren zu können, so Kerstens.
Zu ähnlichen „Ansammlungen“ war bundesweit aufgerufen worden, so auch von der Heidelberger Rechtsanwältin Beate Bahner. Sie hatte eine Verfassungsklage gegen die Corona-Verordnungen von Bund und Ländern angekündigt, die sie als „eklatant verfassungswidrig“ bezeichnete. Weil sie auch zu Protest-Versammlungen aufrief, ermittelt die Polizei gegen sie. Ein Eilantrag der Anwältin wurde vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Freitag abgelehnt. Zuvor war ihre Webseite vom Diensteanbieter 1&1 Ionos kurzzeitig gesperrt worden, wie nicht nur Sputnik meldete.
Unterdessen haben renommierte bundesdeutsche Verfassungs- und Staatsrechtler Alarm geschlagen, wie selbst der Sender 3sat berichtete. Sie warnen, dass derzeit die Grundrechte in Folge der Corona-Maßnahmen bedroht würden. Selbst der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat vor schweren Schäden für die Grundrechte gewarnt, sollten die Einschränkungen in der Corona-Krise lange andauern."
Quelle: Sputnik (Deutschland)