Minister Sanders Hang zur Kettensäge
Archivmeldung vom 14.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit einer geradezu euphorischen Erklärung hat sich der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) zu Jahresbeginn Selbstabsolution erteilt:
Die von ihm angeordnete und im November 2006 unter Verletzung europäischen Naturschutzrechts eigenhändig vorangetriebene Kettensägenaktion im streng geschützten Biosphärenreservat "Niedersächsische Elbtalaue" sei zum Schutz gegen Hochwasser notwendig gewesen. "Endlich wird mir auch von Seiten der Wissenschaft Recht gegeben", jubelte der Minister in einer Pressemitteilung am 2. Januar.
Die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH), auf deren Beschwerde hin die EU-Kommission im Frühjahr 2007 wegen der Kettensägenaktion ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrengt hatte, hat nachrecherchiert. "Es war ein echter Sander", urteilt DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. "Schnell geschossen, nicht rechts und links geschaut, die falschen Schlüsse gezogen und wieder mal den eigenen Amtsauftrag vergessen."
Nach DUH-Informationen gründete Sander seine Presseäußerung ausschließlich auf ein kurzes Radiointerview, das der NDR am Morgen des 2. Januar ausgestrahlt hatte. Als Kronzeuge des Kettensägenministers war dort Rudolf Adolf Dietrich aufgetreten, der die Quintessenz eines zuvor von ihm in der Zeitschrift "Wasser und Abfall" (Heft 12/2007) veröffentlichten Aufsatzes noch einmal vorgestellt hatte. Tenor der Wortmeldung: Die nach den verheerenden Hochwasserkatastrophen der vergangenen Jahre aus Politik und Umweltverbänden erhobene Forderung "gebt den Flüssen mehr Raum" müsse sofort vom Tisch, stattdessen seien "schnellstens" Finanzmittel bereitzustellen, "um die enorme Verbuschung im Abflussbereich des Hochwassers der Elbe zu beseitigen" - und zwar gründlich, denn auch das Nachwachsen müsse "nachhaltig vermieden" werden. Andernfalls sei eine "drastische Erhöhung der Deiche zwingend und schnellstens erforderlich." Die von der DUH und vielen Fließwasserexperten geforderten Deichrückverlegungen an geeigneten Elbabschnitten wischte Dietrich, der sich auf eigene Berechnungen beruft, gleich mit vom Tisch. Begründung: Hilft nichts, weil auch die neuen Auen "in kurzer Zeit verbuscht sein werden".
Wer ist Rudolf Adolf Dietrich, der offensichtliche Bruder im Geiste des niedersächsischen Kettensägen-Ministers? Zunächst ist er regionalen Umweltgruppen kein Unbekannter. Der Rentner aus Hohnstorf an der Elbe, der zu seiner berufsaktiven Zeit im Forschungszentrum GKSS in Geesthacht am Institut für Küstenforschung tätig war, gehört zum Umfeld des "Verein zum Schutz der Kulturlandschaft und des Eigentums im Elbtal e. V.". Der hatte sich 1997 gegen Bestrebungen gegründet, an der niedersächsischen Elbe zwischen Schnackenburg und Lauenburg einen Nationalpark zu errichten. Zu den vorrangigen Zielen des Vereins gehört "die Sicherung der freien Verfügung über das Eigentum und der traditionellen Gewohnheitsrechte der ortsansässigen Bevölkerung". Ansonsten unterstützt der Mathematiker seit seiner Pensionierung Initiativen gegen Windkraftanlagen mit eigenen Stellungnahmen, in denen er die Grundlagen der für die Genehmigung erstellten Schallprognosen in Zweifel zieht. Auf Internetseiten obskurer Organisationen, die sich der Atomenergie und dem Kampf gegen erneuerbare Energien verschrieben haben, veröffentlicht Dietrich Pamphlete gegen die Stromerzeugung aus Sonnenenergie ("staatlich subventionierte Vernichtung von Volksvermögen").
"Hans Heinrich Sanders Kronzeuge für den Auenkahlschlag ist pensionierter Mathematiker - und offensichtlich anti-ökologischer Überzeugungstäter. Insofern bilden beide ein Traumpaar", sagte der Leiter Naturschutz der DUH Frank Neuschulz. Mit ihren "Kahlschlag-Phantasien in der streng geschützten C-Zone des Biosphärenreservats stehen die beiden ziemlich allein da". Wissenschaftler des Instituts für Wasser- und Gewässerentwicklung der Universität Karlsruhe hatten bereits 2006 das Gutachten eines Schweriner Ingenieurbüros als nicht haltbar bewertet, das die Grundlage für Sanders Kahlschlag-Erlass bildete. Das seinerzeit gewählte eindimensionale Strömungsmodell sei ungeeignet, auch weil das elastische Weidengebüsch wie feste Säulen modelliert werde. Analoge Mängel weisen auch Dietrichs Berechnungen auf. "Falls überhaupt Eingriffe notwendig sind, dann an wenigen möglicherweise auftretenden hydraulischen Flaschenhälsen", sagte Neuschulz. Die müssten, wenn es sie denn gebe, lokalisiert werden. Doch genau daran hätten weder Sander noch Dietrich irgendein Interesse. Neuschulz: "Die wollen die Radikallösung".
Neuschulz erinnerte daran, dass Ergebnisse eines von Sander selbst beauftragten Gutachtens des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau in Braunschweig (Prof. Dr. Andreas Dittrich) noch nicht vorliegen. Diese Expertise soll aber unter anderem gerade prüfen, ob und welche Engstellen möglicherweise in Verbindung mit Auengehölzen bei Hochwasser punktuelle Abflusshindernisse bilden könnten. "Die Tatsache, dass es Sander für nötig hielt, den Ergebnissen der von ihm selbst beauftragten Wissenschaftler zugunsten des Schnellschusses eines antiökologischen Einzelkämpfers vorzugreifen, spricht für sich", sagte Neuschulz. Die DUH hoffe und gehe davon aus, dass "die Wissenschaft in Niedersachsen weiter frei ist, die Braunschweiger Gutachter sich von den brachial vorgetragenen Erwartungen ihres Auftraggebers nicht irritieren lassen und ihre fachlich qualifizierte Arbeit tun".
DUH-Geschäftsführer Baake erinnerte daran, dass aufgrund der Intervention der Umweltorganisation bei der EU die Auwälder in der geschützten C-Zone des Biosphärenreservats in der Folgezeit von weiteren Sägeaktionen verschont blieben und voraussichtlich auch in diesem Jahr bleiben. "Es waren nicht nur missachtete Formalia, die das Vertragsverletzungsverfahren der EU auslösten, es waren vielmehr handfeste und rechtswidrige Eingriffe in die Natur."
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH)