Arbeitsmarktexperten Prof. Dr. Uwe Blien: Vollbeschäftigung nur unter bestimmten Bedingungen
Archivmeldung vom 07.08.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDem Arbeitsmarkt stehen harte Monate bevor. Die Rezession hat schon im Juli deutliche Spuren hinterlassen. Nur dank der Kurzarbeit konnte der Arbeitsmarkt stabilisiert werden.
Mitten in diese Krisenstimmung hinein platzierte die SPD ihren ,,Deutschland-Plan", in dem von bis zu vier Millionen neuen Arbeitsplätzen bis 2020 ausgegangen wird und somit das Ziel Vollbeschäftigung erreicht wäre. Der Plan ist ,,eher optimistisch und nur unter bestimmten Bedingungen realistisch", sagt Prof. Dr. Uwe Blien im Interview mit der Landeszeitung Lüneburg. Es komme darauf an, die Wirtschaft dort zu fördern, wo ,,die Nachfrage elastisch" ist, sagt der Experte vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Die SPD hat in ihrem ,,Deutschland-Plan" Vollbeschäftigung als Ziel ausgegeben. Wie ist Vollbeschäftigung eigentlich definiert?
Prof. Dr. Uwe Blien: Es gibt keine Einigkeit unter den Experten. Aber man geht davon aus, dass eine gewisse Zahl an Arbeitslosen unvermeidbar ist --- allein dadurch, dass Leute ihren Job wechseln oder nach einem Abschluss auf Stellensuche sind. Demnach ist Vollbeschäftigung bei einer Arbeitslosenquote von rund drei Prozent gegeben. Ein Wert, der übrigens in der Vergangenheit in einigen Regionen Deutschlands erreicht worden ist.
Drei Prozent Arbeitslosenquote -- entspricht das ungefähr einer Million Arbeitslosen?
Blien: Ja, in etwa.
Bundesarbeitsminister Scholz hat kürzlich gesagt, dass Vollbeschäftigung erreicht wäre, wenn kein Erwerbsloser länger als ein Jahr auf eine neue Stelle warten müsste.
Blien: Bis zu einem Jahr Arbeitslosigkeit wäre eine sehr weite Definition von Vollbeschäftigung. Die Definition ist meiner Meinung nach enger zu fassen. Aber, wie bereits erwähnt, gibt es keine Einigkeit über den Begriff Vollbeschäftigung.
Laut Frank-Walter Steinmeier sollen allein zwei der vier Millionen neuen Jobs in der Industrie entstehen. Wie realistisch ist dieses Ziel?
Blien: Ich habe mir das Konzept von Herrn Steinmeier angesehen und denke, dass es eher optimistisch ist und nur unter bestimmten Bedingungen realistisch sein könnte. Zu diesen Bedingungen zählt, dass man darauf achtet, die Wirtschaft dort zu fördern, wo die Marktnachfrage elastisch ist. Elastisch bedeutet, dass eine Preissenkung von einer starken Expansion der Nachfrage begleitet ist. Bei Preissenkungen als Konsequenz von technischem Fortschritt würde die Nachfrage überproportional steigen und in der Folge Jobs entstehen. Trifft technischer Fortschritt allerdings auf inelastische Nachfrage, würden Jobs abgebaut werden. Es kommt also darauf an, Bereiche elastischer Nachfrage zu erschließen.
Welche Bereiche sind das?
Blien: Insbesondere innovative Bereiche, die in ihrem Produktzyklus noch ganz am Anfang stehen. Hier gibt es übrigens ein Strukturproblem der deutschen Wirtschaft: Wir sind im Allgemeinen sehr konkurrenzfähig bei Produkten, die bereits eingeführt sind. Andere Ökonomien, insbesondere die USA, befassen sich aber stärker damit, neue Produkte auf den Markt zu bringen, die eine große Nachfrage auslösen können.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat schon vor einem Jahr von einem Jobwunder im Ökologie-Bereich gesprochen und prognostizierte 500000 neue ,,grüne" Jobs bis 2020. Ist das realistisch?
Blien: Das kommt darauf an, wie die weitere Entwicklung gestaltet wird. Wenn es etwa im Bereich erneuerbarer Energien gelingt, echte Kostenvorteile für die Bürger zu schaffen, könnte die Nachfrage schnell steigen. Dann könnte es in der Tat ein grünes Jobwunder geben. Wenn es der Politik aber nur darauf ankommt, zum Beispiel neue Umweltstandards zu erreichen, könnten bis zur Umsetzung des Ziels zwar einige hunderttausend Arbeitsplätze entstehen. Ist dieser Standard aber erreicht, würde weiterer technischer Fortschritt zu einem nachteiligen Effekt führen: Der Standard könnte mit deutlich weniger Arbeitskräften gehalten werden, es käme also wieder zu einem Stellenabbau. Nur wenn tatsächlich eine Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten oder auf dem Feld der erneuerbaren Energien induziert werden kann, könnte das Jobziel dauerhaft erreicht werden.
Im Deutschland-Plan visiert die SPD auch eine Million neue Arbeitsplätze im Gesundheitsbereich an. Ist das nicht unrealistisch?
Blien: Ich glaube schon, dass der Gesundheitsbereich zu den Feldern gehört, wo eine elastische Nachfrage zu erwarten ist. Mit höherer Lebenserwartung, aber auch mit höheren Einkommen können die Bürger von den Gebieten des täglichen Bedarfs umschalten auf anspruchsvolle Leistungen im Bereich des Gesundheitswesens oder der Altenpflege. Hier könnten also viele neue Arbeitsplätze entstehen.
Deutschland soll laut der SPD zum Silicon Valley umweltschonender Industrieproduktion werden. Gleichzeit fehlen aber schon heute rund 80000 Fachkräfte. Widerspricht sich das nicht ein bisschen?
Blien: Das ist in der Tat ein Widerspruch. Es kommt darauf an, die Qualifikation der nachwachsenden Kohorten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verbessern. Dieses Ziel ist auch im Steinmeier-Konzept genannt.
Grundsätzlich kann die Politik nur den Rahmen für ein Jobwunder vorgeben. Wo besteht noch Verbesserungsbedarf?
Blien: Es muss eine abgestimmte Vorgehensweise zwischen unterschiedlichen Politikbereichen geben. Dazu zählt in erster Linie eine starke Technologie- und Bildungsförderung für jene Teile der Wirtschaft, bei denen die bereits genannten Bedingungen erfüllt sind. Auch hier finden sich übrigens Andeutungen im Steinmeier-Konzept.
Ist der Handlungsspielraum des Staates angesichts der hohen Verschuldung nicht schon zu stark eingeengt?
Blien: Das ist der Tat ein gravierendes Problem, das auf jede neue Regierung zukommen wird.
Im Herbst und Winter steht der Arbeitsmarkt vor schweren Zeiten, die Erwerbslosenquote soll deutlich steigen und damit auch das Defizit der Bundesagentur für Arbeit, dass sich dann auf mehrere Milliarden Euro belaufen dürfte. Gehen Sie von steigenden Arbeitslosenbeiträgen im kommenden Jahr aus?
Blien: Das ist in erster Linie eine Frage der Finanzierung. Entweder wird es zu einer Erhöhung kommen, oder das Defizit wird aus Mitteln des Staates gedeckt, das heißt, die Bundesgarantie würde greifen.
Bei einem Jobwunder käme auch auf die Bundesagentur für Arbeit viel Arbeit zu. Ist die BA dafür gut gerüstet?
Blien: Die Bundesagentur hat schon in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen und es wird laufend weiter verbessert. Ich glaube, es bestünden gute Chancen, den Bedarf erfüllen zu können.
Was ist dran an den Meldungen dass der BA die Vermittler davonlaufen?
Blien: Das Problem besteht in der Tat bei den großen Jobcentern, die sich um Arbeitslosengeld II-Bezieher kümmern. Hier hat die Politik versäumt, den Beschäftigten eine klare Perspektive zu geben, wie es künftig weitergehen wird. Weil die Mitarbeiter nicht wissen, ob die Arbeitsgemeinschaften von Arbeitsagenturen und Kommunen aufgelöst werden, sehen sich viele nach anderen Jobs um. Außerdem gibt es bei den Jobcentern viele befristete Arbeitsverträge auch dies erhöht die Fluktuation.
Die SPD hat vorgelegt. Gehen Sie davon aus, dass die anderen Parteien nachziehen werden und es eine Art Wettbewerb um das ehrgeizigste Ziel auf dem Arbeitsmarkt gibt?
Blien: Unabhängig von einem derartigen Wettlauf gilt, dass es sehr schwierig werden wird, das Ziel Vollbeschäftigung zu erreichen. Zum einen lassen sich Konjunkturprobleme der Weltwirtschaft nicht von heute auf morgen beseitigen. Es kann also sein, dass es bis 2020 wieder zu einer weltweiten Krise kommt, die sich nachteilig auf die deutsche Wirtschaft auswirkt. Der zweite kritische Punkt ist, dass es eine regionale Problematik gibt: Einige Regionen vor allem in Ostdeutschland weisen eine bestimmte Eigendynamik auf. Dort lässt sich Arbeitslosigkeit nicht ohne weiteres derartig reduzieren. Die Ökonomie von Regionen läuft wie Tanker: Einmal in eine bestimmte Richtung in Bewegung gesetzt, sind sie nur schwer auf einen neuen Kurs zu bringen. Hier Vollbeschäftigung innerhalb von zehn Jahren erreichen zu wollen, wäre ein sehr ehrgeiziges Ziel.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Interview Werner Kolbe)