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Drei-Prozent-Hürde: Göring-Eckardt kritisiert Verfassungsgericht

Archivmeldung vom 10.03.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.03.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Katrin Göring-Eckardt, 2013
Katrin Göring-Eckardt, 2013

Foto: Zinneke
Lizenz: CC-BY-SA-3.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat scharfe Kritik an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geübt, die Drei-Prozent-Hürde für das Europaparlament zu kippen. "An dem Urteil stört mich vor allem die Begründung, das Europaparlament sei sowieso schon ein vielstimmiges Gebilde ohne Macht und deswegen sei eine Hürde nicht gerechtfertigt - im Unterschied zum Bundestag", sagte Göring-Eckardt der "Welt". "Wir werden mehr Parteien und möglicherweise auch mehr Fraktionen im Europaparlament sehen."

Große Delegationen wie insbesondere die deutsche mit 96 Abgeordneten würden nun stärker zur Bühne für Partikularinteressen. "Das ist nicht gut", sagte Göring-Eckardt. Die Fraktionsvorsitzende wies zugleich ihren Parteifreund Hans-Christian Ströbele in die Schranken, der als Konsequenz aus der Karlsruher Entscheidung vor knapp zwei Wochen eine Aufhebung der Fünf-Prozent-Klausel für den Bundestag verlangt hatte.

"Das Urteil stärkt paradoxerweise durch die Deklassierung des Europaparlaments sogar die Fünf-Prozent-Hürde für den Bundestag", sagte Göring-Eckardt. Die Sperrklausel sei zwar kein Naturgesetz. "Aber sie hat sich historisch als eine kluge Hürde erwiesen. Das sage ich gerade als Grüne, die wir selbst bei der Wahl 1990 an dieser Hürde gescheitert sind." Jede Partei müsse sich fragen, ob Programm und Professionalität dauerhaft für einen maßgeblichen Teil der Gesellschaft oder nur für Splittergruppen oder Protestwähler relevant seien.

Die disziplinierende Wirkung der Karlsruher Urteile für die Parteien habe sie bisher immer überzeugt, so Göring-Eckardt. "Jetzt aber, da die Masse unserer Gesetze mit Hilfe unserer Parlamentarier in Brüssel geschrieben wird, wird ein Urteil gefällt, das uns europapolitisch zurückwirft."

CDU-Wirtschaftsrat will Fünf-Prozent-Hürde im Grundgesetz verankern

Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, fordert, die Fünf-Prozent-Hürde im Grundgesetz zu verankern. "Ohne die Fünf-Prozent-Klausel drohen uns in der Politik Verhältnisse wie in Italien oder Griechenland", warnte Lauk im Gespräch mit "Handelsblatt-Online".

Er erinnerte daran, dass sich das deutsche Wahlsystem seit 1949 "sehr gut" bewährt habe. Die Fünf-Prozent-Klausel leiste bis heute einen wichtigen Beitrag für eine stabile deutsche Demokratie und damit auch für Wachstum und Wohlstand. "Vor diesem Hintergrund sollte sie direkt im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland fest verankert werden", sagte Lauk. "Eine Zersplitterung des Parlamentes durch viele kleine Parteien erschwert jede Regierungsbildung und leider auch grundsätzliche Entscheidungen."

Der Generalsekretär des Rates, Wolfgang Steiger, fordert die Große Koalition zudem auf, die Drei-Prozent-Klausel für die Europawahl "nachträglich im Grundgesetz zu verankern", wie es der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, schon empfohlen habe. "Mir graust es beim Gedanken, dass im Europa-Parlament neben Neo-Nazis auch noch irgendwelche esoterische Splittergruppen oder andere obskuren Gesinnungsgenossen unser Land vertreten könnten", sagte Steiger "Handelsblatt-Online".

Der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki dagegen lehnt es ab, dem Wahlrecht Verfassungsrang zu geben, weil dann eine flexible Gestaltung der Sperrklausel nicht mehr möglich wäre. "Die jetzige einfachgesetzliche Regelung ist ausreichend, zumal wir nicht verlässlich voraussagen können, ob es in Zukunft zu Konstellationen kommt, bei denen eine Absenkung beziehungsweise Streichung dieser Sperre angezeigt ist", sagte Kubicki "Handelsblatt-Online".

Staatsrechtler und AfD-Chef Lucke stellen Fünf-Prozent-Klausel infrage

Nach der Aufhebung der Drei-Prozent-Hürde für die Europawahl durch das Bundesverfassungsgericht sollte aus Sicht des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart und des Chefs der Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke, auch die Fünf-Prozent-Klausel für die Bundestagswahl fallen. Sperrklauseln wie die Fünf-Prozent-Hürde bei den Wahlen beschränkten die Gleichheit der Wahl.

"Dies ist keineswegs ein vager Begriff, sondern ist auf das jeweilige Wahlsystem zu beziehen und bedeutet in einem System der personalisierten Verhältniswahl die Erfolgswertgleichheit der Stimmen", sagte Degenhart "Handelsblatt-Online".

Als Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit müssten derartige Sperrklauseln jedoch durch "zwingende Gründe" gerechtfertigt sein. Genannt würden hier die "Funktionsfähigkeit" des Parlaments und das Entstehen regierungsfähiger Mehrheiten. "Unsere parlamentarische Demokratie ist aber jetzt so gefestigt, dass so weitgehende Einschränkungen nicht mehr erforderlich sind, zumal dann die Chancengleichheit kleinerer Parteien unverhältnismäßig beeinträchtigt wird", sagte Degenhart.

Hinzu komme, dass die Sperrklausel mittlerweile die Bildung Großer Koalitionen zu begünstigen scheine. "Das aber ist nicht im Interesse der parlamentarischen Demokratie." Eine deutliche Absenkung, etwa auf drei Prozent, erscheine ihm daher "unerlässlich". Dies sollte aber weiterhin im Bundeswahlgesetz geregelt werden. "Fatal wäre es jedoch, wenn die Große Koalition ihre verfassungsändernde Mehrheit dazu benutzen wollte, die derzeitige Fünf-Prozent-Klausel im Grundgesetz festzuschreiben."

Wie Degenhart hält auch AfD-Chef Lucke die derzeitige Bundestags-Sperrklausel für nicht mehr zeitgemäß. "Die Fünf-Prozent-Hürde ist demokratisch fragwürdig, weil durch sie im Prinzip einer beliebig großen Zahl von Wählern die Teilnahme an der demokratischen Willensbildung verwehrt werden könnte", sagte Lucke "Handelsblatt-Online".

Bei der letzten Bundestagswahl seien es immerhin 15 Prozent der Wähler gewesen, die nicht parlamentarisch vertreten werden. Und je mehr kleine Parteien es gebe, desto höher könne der Prozentsatz der Wähler ausfallen, die, dasselbe Los teilen. Deshalb müsse die Hürde auf ihre Berechtigung hin überprüft werden. "Man könnte die Hürde entweder absenken oder grundsätzlich anders gestalten", sagte der AfD-Chef.

Lucke schlug vor, eine Sperrklausel so zu formulieren, dass höchstens fünf Prozent der Wählerstimmen bei der Sitzvergabe unberücksichtigt blieben. "Alternativ könnte man die Sperrklausel auf die Ergebnisse in den Bundesländern anwenden, denn immerhin findet die Bundestagswahl ja über Landeslisten statt", fügte er hinzu.

Die AfD habe beispielsweise in etlichen Bundesländern, darunter in vier ostdeutschen, mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen erzielt. "Ist es dann demokratisch, dass die Wähler in diesen Ländern dennoch nicht im Bundestag vertreten werden", fragte Lucke. Schließlich könne man auch überlegen, für Parteien unterhalb der Sperrklausel stimmrechtslose Abgeordnete vorzusehen. "Dann würden die Wähler zumindest durch das Rede- und Informationsrecht ihrer Abgeordneten eine gewisse Vertretung im Parlament erfahren."

Riexinger fordert Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hat die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen gefordert. "Wir sind eine erwachsene Demokratie", sagte er der "Berliner Zeitung". "Zugangshürden sind Demokratiehürden." Die Sperrklausel verfälsche Wahlergebnisse.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen eine Prozenthürde bei der Europawahl müsse eine Klage gegen die Sperrklausel auch bei Bundestagswahlen geprüft werden. Die etablierten Parteien seien gut beraten, sich der Diskussion nicht zu verweigern.

Auch bei den Grünen gibt es Sympathien in diese Richtung. Die Parteien der großen Koalition wenden sich dagegen entschieden gegen Überlegungen, die Fünf-Prozent-Klausel zu senken oder ganz abzuschaffen. "In 65 Jahren seit Bestehen dieser deutschen Republik gibt uns diese Klausel Stabilität und Berechenbarkeit", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Thomas Strobl, der Zeitung. Das sei Teil der politischen und wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik.

Ähnlich äußerte sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht. "Die Fünf-Prozent-Hürde hat sich über viele Jahrzehnte bei der Gewährleistung stabiler demokratischer Verhältnisse bewährt", sagte sie. "Daran sollten wir festhalten."

Quelle: dts Nachrichtenagentur

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