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Interview mit Biograf Gerd Langguth über Angela Merkel

Archivmeldung vom 10.04.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.04.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Dr. Angela Merkel Bild: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
Dr. Angela Merkel Bild: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

Der Bonner Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf Gerd Langguth erklärt im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT, warum die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin beim Volk so beliebt ist, sie von der Partei zwar respektiert, aber noch immer nicht geliebt wird.

An diesem Samstag ist Bundeskanzlerin Angela Merkel zehn Jahre Parteivorsitzende der CDU. Was wünschen Sie ihr?

Gerd Langguth: Dass Sie weiterhin mit viel Kraft agiert und mehr Augenmerk auf den inneren Zustand der Partei legt.

Wie bewerten Sie die Arbeit der CDU-Chefin?

Langguth: Sie ist deshalb Parteivorsitzende geworden, weil sie infolge des Spendenskandals als die Einzige schien, die die CDU glaubhaft retten konnte. Das hat sie auch mit Bravour gemeistert. Sie hat auch eine Modernisierung der Partei herbeigeführt und die CDU interessant für neue Wählerschichten gemacht, zum Beispiel für Frauen. Aber ihr ist es noch nicht gelungen, so etwas wie eine »Seele der CDU« zu sein.

Was ist von »Kohls Mädchen« heute übriggeblieben?

Langguth: Nicht sehr viel. Sie ist ja in vielen Dingen ganz anders als Kohl. Kohl war der Geschichtsdeuter, sie ist die unideologische Problemlöserin. Sie hat zwar von Kohl das Aussitzen gelernt, aber sie geht an die Dinge mit dem Willen heran, die Details der politischen Themen erfassen zu wollen.

Hat Angela Merkel die Partei im Griff?

Langguth: Ja. Sie wird aber mehr respektiert als geliebt. Im Übrigen ist unter Angela Merkel das Parteileben ähnlich eingeschläfert wie bei dem späten Helmut Kohl. Die Rivalen sind verstummt, aussortiert oder weggelobt. Stoiber, Oettinger, Beckstein, Huber, Merz - fehlt eigentlich nur noch Horst Seehofer.

Wer kann Merkel die Stirn bieten oder sind mittlerweile alle handzahm?

Langguth: Man müsste die Liste noch um Kohl und Schäuble ergänzen, die sie im Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 22. Dezember 1999 so gegeneinander aufgebracht hat, dass der eine den Ehrenvorsitz verloren hat und der andere den Parteivorsitz. In der Tat ist die Zahl ihrer Skalps enorm. Und es ist im Moment niemand da, der ihr die Stirn bieten kann.

Viele werfen Angela Merkel vor, einen Kurs der Sozialdemokratisierung der CDU zu fahren. Ist die Kritik berechtigt?

Langguth: Sie ist nur zum Teil berechtigt. Sie tut sich schwer, die konservativen Wähler zu integrieren. Aber ohne einen Kurs der Modernisierung wäre die CDU eben auch in Koalitionen nicht mehrheitsfähig.

Die Kanzlerin ist beim Volk beliebt. Warum profitiert die Partei nicht mehr vom Kanzlerbonus und auch nicht von der Schwäche der SPD?

Langguth: Das ist eine gute Frage. Bei Helmut Kohl war es genau anders. Da war das Image der Partei viel besser als das des Kanzlers. Dass die CDU nicht so davon profitiert, hängt damit zusammen, dass die Menschen unideologischer geworden sind. Die Parteien haben nicht mehr die starke Verankerung in der Bevölkerung, wie das früher der Fall war. Das führt dazu, dass die Zahl der Mitglieder stark zurückgegangen ist. Darunter leidet die Partei. Merkel ist beliebt, weil die Menschen ihren Fleiß und ihre zurückhaltende Art schätzen.

Viele vermissen von Merkel eine Vision von der Gesellschaft, in der wir leben. Kann sie die Rolle der Visionärin überhaupt ausfüllen?

Langguth: Nein. Sie ist ja Physikerin. Im Übrigen gibt es ja inzwischen die Erkenntnis, dass der Staat sich übernimmt, wenn er eine politisch-moralische Wende verspricht, wie das Kohl getan hat. Das wird ein Staat oder eine Regierung selber nie einlösen können. Das kann nur aus der Gesellschaft selbst kommen. Die Regierungsvertreter müssen aber mit gutem Beispiel vorangehen. Gegen die Konservativen hat Frau Merkel eine neue Familienpolitik durchgesetzt, die Einführung eines Post-Mindestlohns trägt ihre Handschrift und dann kritisierte Merkel sogar den Papst.

Wieviel CDU steckt eigentlich noch in der CDU?

Langguth: Die Frage ist berechtigt, genauso wie die Frage: Wieviel SPD steckt noch in der SPD? Alle Parteien tun sich mit ihrer Identität schwer. Ich denke, dass sich die CDU im Vergleich zur SPD noch am deutlichsten für eine marktwirtschaftliche Orientierung ausspricht. Die CDU steht auch dafür, dass der Staat nicht alles regeln muss. Die Verteidigungspolitik und die innere Sicherheit sind der CDU wichtig. Auf anderen Feldern hat Merkel erkannt, dass die CDU nur dann mehrheitsfähig ist, wenn sie eine Sozialpolitik macht, die auch bei Arbeitnehmern Unterstützung findet.

Wie lange wird sie Kanzlerin, wie lange Parteivorsitzende bleiben?

Langguth: Sie wird so lange Parteivorsitzende sein, so lange sie Kanzlerin ist. Sollte sie als Kanzlerin scheitern, würde sie sehr schnell den Parteivorsitz abgeben. Sie weiß ganz genau, dass in Deutschland die Quelle der Macht der Parteivorsitz ist. Ich sage voraus, dass sie als Kanzlerin nahe an die Amtszeit eines Helmut Kohl von 16 Jahren herankommen kann. Denn es ist in einem Fünf-Fraktionen-System sehr schwer, gegen die stärkste Partei, die zumal noch die Regierungschefin stellt, eine Mehrheit zu bilden.

Wie geht die NRW-Wahl am 9. Mai aus?

Langguth: Ich denke, dass sich die CDU nach der Sponsoringkrise etwas stabilisiert hat, aber es dürfte ausgeschlossen sein, das alte Ergebnis von 44,8 Prozent herbeizuführen. Rüttgers hat die Nase vorn, in der einen oder anderen Koalition Ministerpräsident zu bleiben - aber die Wähler in NRW sind unkalkulierbarer als in anderen Bundesländern.

Was haben Sie als Merkel-Biograf eigentlich für ein Bild von Frau Merkel als Mensch?

Langguth: Sie ist nicht nur ein Workaholic, sondern auch ein »Politikaholic«, wie ich jene nenne, die sich ganz für die Politik aufzehren. Merkel ist sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag mit vollem Fleiß für die Politik tätig. Und sie ist jemand, die sich durch Spitzenleistungen verwirklichen will. Das ist ihr Lebensziel. Sie war schon so als Schülerin. Als Pfarrerstochter musste sie besser sein als alle anderen. Nur dann konnte sie zur Oberschule und auf die Universität gehen. Und dieses Besserseinwollen als alle anderen, das versucht sie bis heute umzusetzen.

Herr Langguth, vollenden Sie! Angela Merkels größte Stärke ist, ...

... dass sie mit einem ziemlichen Charme insistierend gelegentlich auch Leute überzeugen kann, die etwas anderes von ihr wollen.

Wenn Merkel den Namen Friedrich Merz hört, ...

... dann denkt sie an eine schwierige Auseinandersetzung und hoffentlich auch daran, dass sie einen der besten Politiker der Union vergrault hat.

Merkels Schwäche ist, ...

... dass sie zu wenig Führungspersönlichkeiten um sich schart, die auch andere Positionen als sie vertreten.

Horst Seehofer würde Merkel am liebsten ...

... auf eine längere Isarfahrt verbannen.

Merkel denkt über den konservativen Flügel ihrer Partei, ...

... dass es ihn gibt, er aber nicht den Vorstellungen ihrer Politik entspricht, dass vielleicht aber die Einsicht kommt, ihn stärker pflegen zu müssen.

Merkels bitterste Niederlage war, ...

... als sie 2002 nicht die Kanzlerkandidatur übertragen bekam. Später stellte sich das als ihr großes Glück heraus, denn ob sie 2002 gegen Schröder gewonnen hätte, ist zweifelhaft.

Von Guido Westerwelle wünscht sie sich, ...

... dass er sich manches Mal bestimmte Aktivitäten im Zusammenhang mit seinen persönlichen Lebensumständen besser überlegt.

Ihr größter Sieg war, ...

... dass sie Kanzlerkandidatin wurde und sie trotz eines schlechten Wahlergebnisses Gerhard Schröder aus dem Rennen geschlagen hat.

Ihren Spitznamen »Mutti« findet sie, ...

... sicherlich ganz putzig, wohl als ein Kunstprodukt von Journalisten.

Quelle: Westfalen-Blatt

 

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