Mindestlohn: Verdi weist Kritik von SPD-Generalsekretärin Fahimi zurück
Archivmeldung vom 30.06.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDie Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist dem Vorwurf von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi entgegengetreten, wonach die "unsachgemäße" Kritik von Gewerkschaftschef Frank Bsirske am Mindestlohn auf "Fehlinformationen" zurückzuführen sei.
Der Leiter des Bereichs Wirtschaftspolitik bei Verdi, Dierk Hirschel, erinnerte daran, dass die SPD in ihrem Wahlprogramm einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro versprochen habe: "Der Mindestlohnkompromiss enthält so viele Ausnahmen, dass von einem flächendeckenden Mindestlohn keine Rede mehr sein kann", sagte Hirschel "Handelsblatt-Online". "Es handelt sich vielmehr um einen Flickenteppich." Das sei zwar besser als der Status Quo, "aber erkennbar nicht das, was versprochen wurde".
Bsirske hatte der Koalition am Wochenende Wählertäuschung vorgeworfen und dies damit begründet, dass die Neuregelungen wegen der Ausnahmen mit einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn nichts mehr zu tun hätten. Verdi-Experte Hirschel sagte dazu, entscheidend sei, ob dort wo Mindestlohn drauf stehe, auch Mindestlohn drin sei. "Durch die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose, Jugendliche, Saisonarbeiter, Zusteller und Praktikanten drohen mehr als die Hälfte der Mindestlohnberechtigten vom Mindestlohn ausgeschlossen zu werden", kritisierte er.
Eine allgemeine Lohnuntergrenze sehe anders aus. "Unionsparteien und Arbeitgeberverbänden ist es gelungen, den gesetzlichen Mindestlohn systematisch zu unterhöhlen", so Hirschel. Jetzt werde es unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns weiterhin Armutslöhne geben. Diskriminiert werde nach Alter und Status. "Gemessen an den ursprünglichen sozialdemokratischen Zielen ist der rot-schwarze Mindestlohnkompromiss eine Enttäuschung. Die gewerkschaftliche Erwartungshaltung war eine andere."
Ramsauer kündigt Nein-Stimmen aus der Union zum Mindestlohn-Gesetz an
Der CSU-Wirtschaftspolitiker Peter Ramsauer hat Nein-Stimmen aus den Reihen der Union zum Mindestlohn-Gesetz von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) angekündigt. "Das Gesetz geht nach wie vor wirtschaftspolitisch in die falsche Richtung, deshalb werden viele Wirtschaftspolitiker der Union nicht zustimmen", sagte der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses der Zeitung "Bild".
Eine Spitzenrunde der Koalition aus Union und SPD hatte am Freitag den Weg für die Verabschiedung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro geebnet. Dabei wurden Ausnahmen für die Zeitungsbranche, für Saisonarbeit und für die Beschäftigung von Praktikanten vereinbart.
FDP: Gesetzlicher Mindestlohn bleibt Käse
FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hat den geplanten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde scharf kritisiert: "Auch wenn er nun löchrig wird, bleibt der allgemeine gesetzliche Mindestlohn Käse", sagte die Freidemokratin am Montag in Berlin. "Die zusätzlichen Ausnahmen begrenzen zwar den Schaden, aber gerade für junge Menschen, Langzeitarbeitslose und den Mittelstand gibt es keinen Grund zur Entwarnung."
Der Mindestlohn werde Arbeitsplätze kosten, prophezeite die FDP-Generalsekretärin. "Damit schadet er den Schwächsten am Arbeitsmarkt und wird so zum Chancenblockierer. Besser wäre es, das bestehende System der Branchenmindestlöhne weiterzuentwickeln."
Linkspartei wirft SPD Wählerbetrug beim Mindestlohn vor
Die Einigung der Koalitionsspitzen auf weitere Sonderregelungen beim Mindestlohn stößt auf scharfe Kritik der Linkspartei. "Das Nahles-Gesetz liest sich wie eine Satire auf das SPD-Wahlprogramm. Das ist Betrug an den Wählern und an den SPD-Mitgliedern", sagte Partei-Chef Bernd Riexinger der "Frankfurter Rundschau". "Die Ausnahmen haben in Karlsruhe niemals Bestand, weil sie eklatant gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen", kritisierte er.
Hingegen verteidigte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, den Kompromiss: "Es wird keine Branchenausnahmen geben. Überall muss 2017 ein Stundenlohn von 8,50 Euro gezahlt werden", sagte sie der "Frankfurter Rundschau". Ausnahmen für Langzeitarbeitslose und Praktikanten seien frühzeitig angekündigt worden und könnten niemand überraschen. Außerdem sei klar gewesen, dass es eine Übergangsfrist bis 2017 geben würde, während derer Branchen mit eigenen Tarifverträgen vom Mindestlohn abweichen dürfen: "Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart."
SPD-Arbeitnehmerflügel lehnt neue Ausnahmen beim Mindestlohn ab
Der Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), Klaus Barthel, ist strikt gegen die von der Union erzwungenen weiteren Ausnahmen beim geplanten gesetzlichen Mindestlohn und fordert den Stopp der vereinbarten Regelungen. "Die angedachten weiteren Ausnahmen beim Mindestlohn belegen, dass es einigen in der Union nicht um die sachgerechte Umsetzung des Koalitionsvertrages geht, sondern um die systematische Durchlöcherung des Mindestlohnes bis zur Unkenntlichkeit", sagte Barthel dem "Handelsblatt-Online".
Die neuen Vorschläge, beispielsweise im Hinblick auf die Saisonarbeit, seien eine erneute "Einladung für Umgehungen und Missbrauch, auch zulasten der Sozialkassen". Die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose seien schon "schlimm genug" gewesen. "Dieselben Unionsparteien würden, wenn sich diese Ideen durchsetzen, in Bälde den von ihnen selbst erzeugten Sozialmissbrauch und die Armutszuwanderung beklagen", so Barthel weiter. Er erwarte daher, dass die Koalitionsfraktionen in dieser Woche "diesen Unfug stoppen", forderte der stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Wirtschaftsausschusses.
Er setze dabei auch auf den "Sachverstand und die Verlässlichkeit" in der Union, fügte Barthel hinzu. Die SPD stehe ohnehin im Wort. "Wir dürfen aber jetzt nicht wenige Meter vor dem Ziel Herrn Kauders Jagd nach Siegestrophäen zur Beruhigung nervöser Klientelpolitiker in der Union nachgeben", sagte Barthel mit Blick auf Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU).
SPD: Gewerkschaftskritik an Mindestlohnausnahmen "völlig überzogen"
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat die Kritik der Gewerkschaften an den Ausnahmen beim Mindestlohn als "völlig überzogen" und "unsachgemäß" zurückgewiesen. Der Mindestlohn komme wie versprochen, sagte die Generalsekretärin der Sozialdemokraten im Gespräch mit "Spiegel Online". Auch Saisonarbeiter und Zeitungszusteller hätten künftig in voller Höhe Anspruch auf den Mindestlohn, betonte Fahimi. "8,50 Euro flächendeckend, keine Branche wird ausgenommen. Für mindestens 3,7 Millionen Beschäftigte bedeutet dies künftig eine bislang nicht gekannte Absicherung."
Die SPD habe gemeinsam mit den Gewerkschaften jahrelang für den Mindestlohn gekämpft, der am Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden soll. "Ich gehe davon aus, dass sich darüber alle Gewerkschaftsvorsitzenden gleichermaßen freuen", so die SPD-Politikerin weiter.
Linke: Geplanter Mindestlohn "Flickenteppich"
Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat die jüngste Gewerkschaftskritik von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi zurückgewiesen und den Mindestlohn als einen einzigen "Flickenteppich" bezeichnet.
"Die SPD-Generalsekretärin scheint vergessen zu haben, was die SPD ihren Mitgliedern, unter denen auch viele Gewerkschafter sind, zur Urabstimmung über die Koalitionsvereinbarung vorgelegt hatte - einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ohne Ausnahmen", sagte Bartsch der "Mitteldeutschen Zeitung" (Online-Ausgabe). "Herausgekommen ist nun ein einziger Flickenteppich."
Bartsch fügte hinzu: "Dass die Gewerkschaftsvorsitzenden sich nicht für dumm verkaufen lassen wollen und offenbar ein besseres politisches Kurzzeitgedächtnis haben, sollte deshalb der SPD-Spitze nicht Anlass für Mahnungen an deren Adresse, sondern für den Griff an die eigene Nase sein. Verarschen können sich die Gewerkschafter und die SPD-Basis auch allein." Fahimi hatte erklärt, die Kritik der Gewerkschaften an den geplanten Ausnahmen beim Mindestlohn sei "völlig überzogen".
Linke fordert Entschuldigung von SPD-Generalsekretärin an Bsirske
Die Linkspartei hält die von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi im Mindestlohn-Streit geäußerte Kritik am Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, für inakzeptabel und fordert eine Entschuldigung. "Bei der SPD liegen die Nerven blank. Offenbar gibt es im Willy-Brandt-Haus einige, die immer noch nicht gelernt haben, dass die Gewerkschaften nicht die Laufburschen der SPD sind", sagte der Vize-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst, "Handelsblatt-Online". "Die Abkanzelung eines Gewerkschaftsvorsitzenden durch eine Funktionärin aus der zweiten Reihe ist ein gravierender und inakzeptabler Vorgang." Fahimi wäre gut beraten, sich bei Bsirske "öffentlich zu entschuldigen".
Wirtschaftsforscher sieht "bedenkliche Schieflage" beim Mindestlohn
Der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, hat die geplanten Mindestlohn-Regelungen der schwarz-roten Koalition scharf kritisiert und sieht eine "bedenkliche Schieflage" bei der Lohnuntergrenze.
"Die Bundesregierung ist mit den jetzt debattierten Ausnahmen offenkundig dabei, vor den Partikularinteressen einzelner Branchen einzuknicken. Sie verliert auf diese Weise das gesamtwirtschaftliche Interesse an einer gesetzlichen Lohnuntergrenze aus den Augen", sagte Horn "Handelsblatt-Online". "So gerät das gesamte Vorhaben Mindestlohn in eine bedenkliche Schieflage."
Ziel sei schließlich gewesen, die Löhne am unteren Ende der Lohnskala zu stabilisieren, sagte Horn weiter. "Werden Ausnahmen gemacht, wird der Ruf nach weiteren Ausnahmen lauter und die Lohnuntergrenze verschwindet immer weiter im Nebel diverser Anrechnungs- und Ausnahmetatbestände", warnte der IMK-Chef. "Dann wird das eigentliche Ziel verfehlt."
Quelle: dts Nachrichtenagentur