Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Halbzeit der Legislaturperiode
Archivmeldung vom 22.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHeute vor zwei Jahren hat die Kanzlerschaft Angela Merkels begonnen. Der Nachrichtensender N24 hat aus diesem Anlass folgendes Interview mit der Bundeskanzlerin geführt, das der Sender erstmals heute (Donnerstag) um 15 Uhr ausgestrahlt hat:
N24: Worauf sind Sie stolz nach zwei Jahren als Regierungschefin?
Und was müssten Sie vielleicht noch besser machen?
Merkel: Ich bin erst einmal zufrieden damit, dass es uns doch
gelungen ist, den Haushalt in Ordnung zu bringen - ein Stück weit
zumindest. Dass wir die Arbeitslosigkeit senken konnten und vielen
Menschen auch neue Arbeitsmöglichkeiten geben konnten. Und dass wir
gerade auch Wissenschaft und Forschung nach vorne gebracht haben. Ich
glaube, dass wir das jetzt in der zweiten Hälfte der
Legislaturperiode verstetigen müssen. Das heißt, wir müssen
aufpassen, dass wir den Aufschwung nicht verspielen, sondern dass wir
ihn verfestigen in einer internationalen Lage, die etwas
komplizierter werden könnte. Und deshalb heißt es, sich auf
Investitionen zu konzentrieren und darauf, Arbeitsplätze zu schaffen.
Das ist das Allerwichtigste.
N24: Nennen Sie uns doch das wichtigste Vorhaben der Großen
Koalition in den kommenden zwei Jahren.
Merkel: Nach wie vor mehr Arbeitsplätze, und zwar hochwertige
Arbeitsplätze schaffen. Und das heißt Forschung, das heißt
Entwicklung, das heißt Entlastung wo immer möglich bei den
Lohnzusatzkosten oder aber eben auch durch die Wirkung der
Unternehmenssteuerreform. Das muss unser Augenmerk bleiben. Jeder
Mensch, der in Arbeit kommt, hat eine Chance mehr für sich und sein
Leben. Und dazu gehört auch der Schwerpunkt Bildung und Ausbildung,
den wir natürlich auch setzen.
N24: Wie wäre es denn mit der Idee von Günther Beckstein, der
jetzt vorgeschlagen hat, die Mineralölsteuer zu senken, und
gleichzeitig eine Pkw-Maut-Vignette einzuführen?
Merkel: Ich glaube, dass wir jetzt nicht Versprechungen machen
können, die unsere Haushaltsdisziplin wieder in Frage stellen würden.
Und die Mineralölsteuer zu senken würde das bedeuten. Wir sehen, dass
die Menschen mit steigenden Preisen, gerade bei Sprit, zu tun haben.
Und deshalb heißt unsere Antwort: Wo immer wir Möglichkeiten haben,
bei den Lohnzusatzkosten runterzugehen, tun wir das. Wir entlasten
einen durchschnittlichen Arbeitnehmer mit 270 Euro dadurch, dass wir
die Arbeitslosenversicherungsbeiträge gesenkt haben. Und das ist die
Antwort, die ich geben kann - und redlich geben kann.
N24: Beunruhigen Sie eigentlich der ständig steigende Ölpreis und
der ständig fallende Dollar?
Merkel: Wir freuen uns natürlich, dass Europa eine starke Währung
hat. Aber im Export hat das natürlich auch Probleme. Wir arbeiten
daran international, dass die Währungsgleichgewichte vernünftig
ausbalanciert sind. Der hohe Erdölpreis ist ein Problem. Da darf man
gar nicht drum herum reden. Deshalb arbeiten wir auch an der Lösung
internationaler Konflikte - Nahostkonflikt. Je friedlicher diese
Region ist, aus der das Öl kommt, umso besser die Chance, dass der
Preis auch wieder fällt. Und wir müssen alles daran setzen,
Klimaschutz und weniger Verbrauch von fossilen Rohstoffen
durchzusetzen, damit unsere Wirtschaft davon nicht so abhängig ist.
N24: Zur Innenpolitik. Die SPD hat offensichtlich beschlossen,
etwas härter mit Ihnen umzugehen. Warum lassen Sie sich das gefallen?
Merkel: Meine Aufgabe als Kanzlerin heißt, vernünftige Politik zu
machen. Und wenn die SPD Vorschläge macht, die Arbeitsplätze in
Gefahr bringen, dann werden wir von der Union nicht mitgehen. Meine
Aufgabe habe ich definiert. Und deshalb werde ich die jeweils
notwendigen Antworten darauf geben in der Sache. Und ich habe
ansonsten den Eindruck, dass wir uns unserer Verantwortung als
Koalition, als Gesamtregierung bewusst sind. Herr Müntefering hat uns
das ja gestern noch einmal mit auf den Weg gegeben. Ich kann das nur
unterstreichen.
N24: Nun haben Sie einen neuen Vizekanzler mit Frank-Walter
Steinmeier. Wie sehen Sie das Verhältnis? Ist das eher Koch und
Kellner wie bei Schröder und Fischer, oder sind sie gleichberechtigte
Lenker der Großen Koalition?
Merkel: Das Verhältnis ist Merkel-Steinmeier. Und wir sind jeweils
eigenständige Persönlichkeiten. Ich habe mit Herrn Steinmeier gut
zusammengearbeitet während unserer gesamten europäischen
Präsidentschaft. Ich bin der festen Überzeugung, dass uns der Gedanke
eint, dass wir für das Land eine Verantwortung haben. Und das wird
uns prägen, auch den Stil der Zusammenarbeit - genauso wie der Stil
der Zusammenarbeit mit dem Parteivorsitzenden Beck natürlich auch
bestehen bleibt.
N24: Nun hat es offensichtlich unterschwellig
Meinungsverschiedenheiten bei der China-Politik gegeben, auch durch
den Besuch des Dalai-Lama. Wie soll das denn jetzt weitergehen? Gibt
es einen gemeinsamen Ansatz von Ihnen und Herrn Steinmeier, wie
künftig mit China umgegangen werden soll?
Merkel: Erstens, glaube ich, ist es ganz selbstverständlich, dass
jeder Bundeskanzler, und auch ich, sich selbst aussucht, mit wem er
sich wo trifft. Zweitens - Respekt im Ausland bekommen wir nur, wenn
wir gemeinsam auftreten. Und ich habe den Eindruck, da sind wir auch
auf einem guten Weg. Und drittens hat ja niemand die Grundsätze der
China-Politik in Frage gestellt. Das ist die Ein-China-Politik. Das
ist die Wichtigkeit des Landes China. Und das wissen die Chinesen
auch. Und mein Wunschtraum wäre, dass auch China einmal den
Dalai-Lama empfängt und sieht, dass es um Menschenrechte, um
kulturelle Autonomie geht. Das wäre ein wunderbares Zeichen.
N24: Ihr Vorgänger Gerhard Schröder hat ihren Umgang mit Russland
kritisiert und ihnen unterstellt, sie könnten aufgrund
ihrer DDR-Biographie gar kein rationales Verhältnis zu Russland
haben. Erwarten Sie eine Entschuldigung von ihm?
Merkel: Jeder kann sich darüber seine Meinung bilden. Ich habe
mein Leben, meine Biographie. Auf die bin ich auch ein Stück weit
stolz oder glücklich mit ihr. Aus der schöpfe ich die Kraft - so wie
andere Kanzler, etwa Helmut Kohl, von deren Biographie geprägt
wurden. Und insofern werden sich die Deutschen auch ihre Meinung
darüber bilden.
N24: Am Freitag ist in Berlin der Bundespresseball. Und Sie hätten
doch Gelegenheit, dort mit Ihren Koalitionspartnern die Halbzeit zu
feiern. Warum gehen Sie zum dritten Mal nicht hin?
Merkel: Ich gehe jetzt ungefähr zum neunzehnten Mal nicht hin,
weil ich, seitdem ich in der Politik bin, noch nicht beim
Bundespresseball war. Es gibt auch andere kulturelle Höhepunkte in
Berlin, wo Sie mich dann vielleicht sehen. Ich glaube, wir sehen uns
bald wieder.
Das Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel führte N24-Chefredakteur Peter Limbourg.
Quelle: Pressemitteilung N24