Artensterben stoppen! Offener Brief an die Bundeskanzlerin
Archivmeldung vom 28.06.2019
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.06.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttAus Anlass der in der kommenden Woche in Trondheim stattfindenden Konferenz zur Biodiversität (9th Trondheim Conference on Biodiversity) ruft eine Allianz von vier großen Organisationen (Naturschützer, Forschungseinrichtungen und Museen) die Bundeskanzlerin auf, den Kampf gegen das Artensterben zur Chefsache zu machen.
Das Thema sei gleichbedeutend wie der Klimawandel und dieser nicht ohne Erhalt der Artenvielfalt aufzuhalten. Die Frankfurter Zoologische Gesellschaft, die Campaign for Nature, das Museum für Naturkunde Berlin sowie das Forschungsinstitut und Naturkundemuseums Senckenberg, Frankfurt am Main veröffentlichen einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin mit Forderungen zur Lösung des Problems
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
am 6. Mai 2019 hat der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) seinen Bericht zum globalen Zustand der Biologischen Vielfalt der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Dieser zeichnet ein erschreckendes und äußerst besorgniserregendes Bild von der Zukunftsfähigkeit der Lebensgrundlagen jetziger und zukünftiger Generationen, wenn nicht sofortige Entscheidungen und Maßnahmen zum Erhalt der Biologischen Vielfalt national und international umgesetzt werden. Es bestehen keine Zweifel mehr, dass sich die Menschheit aufgrund des fortschreitenden Klimawandels sowie des rasanten Verlustes der biologischen Vielfalt mit zwei existenziellen globalen Krisen konfrontiert sieht. Diese werden dramatisch wachsende wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen haben. So mahnt der Weltbiodiversitätsrat deutlicher als je zuvor, dass wir an einem kritischen Wendepunkt angelangt sind, der richtungsweisend für die Zukunft der Menschheit ist und macht deutlich, dass 80% der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und zentrale Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht erreicht werden, wenn nicht wirksame Maßnahmen gegen den Verlust der Biologischen Vielfalt ergriffen werden. Die Politik ist jetzt gefordert, das Gemeinwohl jetziger und zukünftiger Generationen endlich und entschieden gegenüber Partikularinteressen durchzusetzen.
Der Bericht kommt auch einer Bankrotterklärung der bisherigen internationalen und nationalen Umweltpolitik gleich. Nach der offiziellen Annahme der Convention on Biological Diversity (CBD) am 22. Mai 1992 in Rio de Janeiro hat sich die Umweltsituation weiter dramatisch verschlechtert statt verbessert, wie völkerrechtlich vereinbart. Auch die aktuelle CBD Strategie und die deutsche nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt zeigen, dass die Mehrzahl der gesetzten Ziele verfehlt werden. Seit dem 6. Mai ist es unzweifelhaft, dass die bisher getroffenen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen, um die Ursachen für den fortschreitenden Verlust an biologischer Vielfalt wirksam zu adressieren. Der Mensch ist verantwortlich für das sechste große Artensterben auf unserem Planeten - mit immer bedrohlicher werdenden Konsequenzen für die eigene Art.
Neben anderen Faktoren beruht diese ernüchternde Bilanz politisch auf zwei Tatsachen:
- Zum einen ist es nicht gelungen, das Thema Biologische Vielfalt in der Landwirtschaftspolitik, Verkehrs- und Siedlungspolitik, wichtigen Konsum und Produktionsprozessen sowie der Entwicklungspolitik so zu integrieren, dass der Schutz der Biodiversität als Querschnittsaufgabe wirksam umgesetzt wird.
- Zum anderen entsprechen die bisherigen Ziele nicht dem transformativen Charakter, der vom Weltbiodiversitätsrat empfohlen wird, um endlich eine wirksame Trendwende in den Bemühungen zum Erhalt der Biologischen Vielfalt sicherzustellen.
Die Zeit drängt! Vor dem Hintergrund des IPBES Berichts verbleibt nur ein enger Zeitrahmen, um sich in Vorbereitung auf die COP 15 der CBD im Oktober 2020 auf neue ehrgeizige Ziele zum Schutz der Biologischen Vielfalt bis 2030 zu einigen. Diese Ziele müssen die konsequente Umsetzung der Empfehlungen des Weltbiodiversitätsrates widerspiegeln. Wir wenden uns anlässlich der am Dienstag nächster Woche stattfindenden "Ninth Trondheim Conference on Biodiversity", auf der in Vorbereitung auf die COP 15 Lösungen zum Erhalt der Biologischen Vielfalt diskutiert werden, an Sie als Bundeskanzlerin.
Als Reaktion auf IPBES Bericht erwarten wir von der deutschen Bundesregierung vorrangig zwei Dinge:
1. Die Verabschiedung eines verbindlichen nationalen Maßnahmenkataloges mit ausreichender Finanzierung, der den Empfehlungen des Weltbiodiversitätsrates zum Schutz der Biologischen Vielfalt folgt und diese konsequent umsetzt; 2. Auf dieser Grundlage ein engagiertes und couragiertes internationales Eintreten der Bundesregierung für die Vereinbarung entsprechender 2030-Ziele auf der COP 15 im Oktober nächsten Jahres. Deutschland kommt wegen seiner Wirtschaftskraft und aufgrund der Tatsache, dass es auf der COP 15 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, eine wichtige Führungsrolle zu. Für die Verabschiedung einer erfolgreichen CBD 2030 Strategie wird es daher entscheidend sein, dass die Bundesregierung dieser Rolle gerecht wird und sich unter Ihrer Führung:
- ressortübergreifend auf ehrgeizige nationale und internationale Ziele und Positionen zum Schutz der Biologischen Vielfalt verständigt, - die wirksame Verankerung dieser Ziele und Positionen in allen relevanten nationalen Sektoren und Politikbereichen sicherstellt, - die vereinbarten Ziele und Positionen in den Verhandlungen innerhalb der EU, aber auch auf internationaler Ebene konsequent vertritt, - die sofortige Umsetzung der Empfehlungen des Weltbiodiversitätsrates durch die CBD bis 2030 auf den kommenden internationalen Gipfeln der G7 und G20 zu einem zentralen Thema macht und sich mit Nachdruck dafür einsetzt.
Ihr persönliches Engagement und eine übergreifende Rolle des Kanzleramtes erachten wir als unabdingbar. Beides ist notwendig, um die Wichtigkeit und Dringlichkeit ambitionierter Ziele und Positionen zu unterstreichen und zu verhindern, dass diese unterschiedlichen ressortspezifischen Interessen und Streitigkeiten zum Opfer fallen. Frau Bundeskanzlerin, Sie persönlich haben bereits in kritischen Momenten der Umweltpolitik - wie nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima - unter Beweis gestellt, dass Sie wegweisende und einschneidende Maßnahmen und Entscheidungen auf den Weg bringen können, wenn das Wohl und die Sicherheit jetziger und zukünftiger Generationen auf dem Spiel stehen. Solch ein verantwortungsvolles Handeln ist jetzt wichtiger und dringender als je zuvor.
Wir fordern Sie auf: Zeigen Sie Entschlossenheit und Durchsetzungswillen, werden Sie aktiv gegen das Artensterben und für die Bewahrung der Lebensgrundlagen heutiger und zukünftiger Generationen! Sorgen Sie dafür, dass die notwendigen Entscheidungen getroffen werden, statt sich Mutlosigkeit und Versagen bei einem der zentralen Zukunftsthemen nachsagen lassen müssen.
Frau Bundeskanzlerin, sorgen Sie insbesondere dafür, dass bis Ende 2030:
- Der Schutz von Klima und Biologischer Vielfalt als gemeinsame und gleichrangige Aufgabe verwirklicht wird; - Die Internalisierung externer Kosten instrumentalisiert und eine umfassende ökologische Steuerreform eingeführt ist; - Die naturschädliche EU-Subventionspolitik beendet wird und deutliche schärfere Umweltauflagen für die Landwirtschaft umgesetzt werden; - Global der wirksame Schutz von mindestens 30% der wichtigsten Land- und Meeresökosysteme sichergestellt ist; - National, auf mindestens zwei Prozent der Landesfläche große Wildnisgebiete aus-gewiesen und fünf Prozent der Wälder einer natürlichen Entwicklung überlassen sind; - Die Mittel Deutschlands und anderer Industrieländer zur wirksamen Umsetzung der neuen CBD 2030 Strategie deutlich erhöht werden; - Ein breites und tiefes Verständnis und Bewusstsein für Biologische Vielfalt und deren Wert für den Menschen in der Öffentlichkeit sichergestellt wird; - Die trans-und interdisziplinäre Forschung zu den wissenschaftlichen Grundlagen für das Verständnis und den Erhalt von Biologischer Vielfalt deutlich gestärkt wird.
Hochachtungsvoll
Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer Zoologische Gesellschaft Frankfurt Prof. Dr. Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin Prof. Dr. Volker Mosbrugger, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt am Main
Quelle: Wyss Campaign for Nature (ots)