Deutsche Umwelthilfe kritisiert Bundesregierung für sinkenden Stellenwert der Umweltpolitik und abhandengekommenes Rechtsstaatsverständnis
Archivmeldung vom 18.12.2018
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Freigeschaltet durch André OttDie umweltpolitische Jahresbilanz der Deutschen Umwelthilfe (DUH) fällt für 2018 erneut ernüchternd aus. Die Umweltpolitik unter der neuen Bundesregierung befindet sich auf Talfahrt während die Industrie weiter den Takt vorgibt. Die DUH sieht daher verstärkt die Zivilgesellschaft in der Pflicht, auf die Umsetzung von Recht und Gesetz auch im Umwelt- und Naturschutz zu drängen. Die DUH wird den erfolgreichen Weg über die Gerichte fortsetzen, um bestehende Vorschriften zum Schutz von Umwelt und Verbrauchern durchzusetzen.
Im Mai 2018 hat die DUH Klage gegen die Bundesrepublik, vertreten durch das Bundeslandwirtschaftsministerium, eingereicht. Ziel ist, das Recht auf sauberes Wasser durchzusetzen. "Unter allen 28 EU-Staaten weist Deutschland die zweithöchste Belastung des Grundwassers durch Nitrat auf. Seit 1991 gibt die EU-Richtlinie Ziele vor, um die Nitratbelastung zu verringern, sogar die EU hat Deutschland deswegen schon Strafzahlungen angedroht - doch der Grenzwert für Nitrat wird noch immer gerissen. Auch das neue Düngerecht schafft hier keine Abhilfe. Unsere Geduld ist am Ende, die Gefahr für Trinkwasser, Gesundheit und Artenvielfalt ist zu groß. Wir werden daher auch in 2019 mit rechtlichen Mitteln für den Grund- und Trinkwasserschutz kämpfen", sagt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Die DUH fordert die Bundesregierung auf, ein Aktionsprogramm zum Schutz von Gewässern gegen Nitrateinträge aus der Landwirtschaft zu verabschieden. Hauptursache des Nitrateintrags ist die industrielle Massentierhaltung. Doch nicht nur die Qualität der Gewässer leidet, auch die biologische Vielfalt im ländlichen Raum geht dramatisch zurück. Daher setzt sich die DUH für eine naturnahe Landwirtschaft ein und fordert dazu ein umfassendes Pestizid-Reduktionsprogramm.
Mit dem Hitzesommer 2018 ist der Klimawandel als "Heißzeit" im Bewusstsein der Menschen angekommen, jedoch nicht bei der Bundesregierung. "Deutschland hängt bei seinen nationalen und internationalen Zielen weit hinterher, auf warme Worte auf der internationalen Bühne wie zuletzt beim Weltklimagipfel in Kattowitz folgen keine Taten. In der EU drückt die Bundesregierung bei der Ausgestaltung der Richtlinien für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz auf die Bremse. Die Kohle-Kommission ist mit ihrem Fahrplan zum Kohleausstieg weiter im Verzug", kritisiert Müller-Kraenner weiter. Die DUH fordert ein nationales Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Zielen für alle Sektoren.
Barbara Metz, Stellvertretende Geschäftsführerin der DUH, ergänzt: "Es fehlt eine klare Botschaft der Bundesregierung pro Wärmewende und zwar über Legislaturperioden hinweg, denn nur so kann Planbarkeit und Sicherheit erzeugt werden. Energieeffizienzmaßnahmen dürfen nicht länger zum Sündenbock für steigende Mieten und Preise gemacht und ausgebremst werden. Die Bundesregierung sollte endlich aufhören, sich von den Hiobsbotschaften der Immobilienwirtschaft leiten zu lassen, die nur an das Klingeln im eigenen Geldbeutel denkt. Stattdessen sollte die Bundesregierung die Bürger und das Klimaschutzpotenzial im Gebäudesektor in den Blick nehmen."
Die DUH ist davon überzeugt, dass Sozialverträglichkeit und Klimaschutz im Gebäudebereich Hand in Hand gehen können. Dafür bedarf es jedoch unter anderem eines zeitgemäßen Mietrechts, das die Kosten zwischen Eigentümern, Mietern und Staat gerecht verteilt. Die Bundesregierung muss zudem endlich ihre Blockadehaltung gegenüber der steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen aufgeben, anstatt mit Symbolmaßnahmen, wie dem nicht zielführenden Baukindergeld, zu reagieren.
Auch das neue Verpackungsgesetz muss mehr als Symbolpolitik sein. Einen Beitrag dazu konnte die DUH leisten, indem sie erfolgreich eine Mehrwegquote im Verpackungsgesetz erkämpfte. "Die bisherige Abfallpolitik hat das Prinzip der Vermeidung nicht umgesetzt und ist krachend gescheitert, dies zeigen die immer größer werdenden Mengen an Plastikmüll. Das ab dem 1. Januar 2019 in Kraft tretende neue Verpackungsgesetz setzt den riesigen Müllbergen aber kaum etwas entgegen, da es sich fast nur auf das Recycling konzentriert, wodurch der Abfall aber nicht weniger wird. Daher ist es umso wichtiger, die wenigen Maßnahmen umzusetzen, die wirklich Potenzial zur Vermeidung haben. Dazu zählt die Mehrwegquote von 70 Prozent für Getränkeverpackungen und deren Einhaltung. Mehrweg statt Einweg muss sich als Leitsatz auch bei anderen Gütern des alltäglichen Konsums durchsetzen", sagt Metz.
Dass Plastik nicht mehr im Trend ist, zeigt sich für die DUH an dem Rückenwind, den sie beispielsweise durch ihre Kampagnenarbeit gegen Plastik im Meer erhalten hat - fast 500.000 Menschen unterzeichneten bereits die Petition an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber auch beim Protest gegen die Überfischung der Meere sowie im Bereich der "Sauberen Luft" zeigt sich für die DUH, wie groß das Engagement der Bürger ist. Im Rahmen ihrer Citizen Science Messaktion "Decke auf, wo Atmen krank macht" konnte die DUH mittlerweile durch Unterstützung zahlreicher Freiwilliger über die 65 amtlich bekannten Städte hinaus 50 weitere Städte mit Überschreitungen des NO2-Grenzwertes identifizieren.
"Anstatt die Bürger vor der krankmachenden Luft zu schützen und die Hersteller endlich zur Hardware-Nachrüstung der Betrugs-Diesel auf Kosten der Automobilhersteller zu verpflichten und 5.000 Euro Bußgeld zu verlangen, setzt sich diese von den Autokonzernen ferngesteuerte Bundesregierung für erhöhte NOx-Grenzwerte von Diesel-Pkw ein und will die NO2-Grenzwerte für die Atemluft anheben. In beiden Fällen haben dies europäische wie nationale Gerichte eindrucksvoll als illegal abgelehnt", sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Aktuell klagt die DUH in 34 Städten für "Saubere Luft", weil der zum Schutz der Gesundheit erlassene Grenzwert der EU für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2) seit seiner Gültigkeit 2010 in vielen Orten noch immer nicht eingehalten wird. Mit der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 steht allen Bürgern spätestens ab 2019 an allen Orten ihr Recht auf "Saubere Luft" zu. Der Grenzwert für das Dieselabgasgift NO2 im Jahresmittel muss in allen Städten eingehalten werden.
Am Freitag, 14. Dezember 2018, konnte erstmals eine außergerichtliche Einigung mit einer Landesregierung für die "Saubere Luft" in Darmstadt erreicht werden. "Damit verbinden wir die Hoffnung eines Politikwechsels in der Luftreinhaltepolitik. Auch die Landesregierung von Rheinland-Pfalz für Mainz und das Land Berlin haben erklärt, die von der DUH erstrittenen Urteile zu akzeptieren und Diesel-Fahrverbote sowie den Umbau des innerstädtischen Verkehrs im Frühjahr 2019 umzusetzen. Was fehlt sind die verbindlich angeordneten Hardware-Updates der Bundesregierung, die weiter ihre Bürger buchstäblich im Dieseldunst stehen lässt", so Resch.
"Wir erleben eine Regierung im Panikmodus, die sich in Anbiederung an die Dieselkonzerne sogar über geltende Gesetze und Gerichtsurteile hinwegsetzt. Wie es um das Rechtsstaatsverständnis steht, führt die Bayerische Staatsregierung seit vier Jahren mit ihrer Missachtung eines rechtskräftigen Urteils für "Saubere Luft" und Diesel-Fahrverbote in der BMW-Metropole München vor. Auf Antrag des höchsten bayerischen Gerichts soll nun der Europäische Gerichtshof bestätigen, dass in diesem Fall Zwangshaft gegen Ministerpräsident Markus Söder und weitere Minister beziehungsweise Behördenchefs verfügt werden muss. Wir haben eine Rechtsstaatskrise, um deren Beseitigung sich nicht die Politik kümmert, sondern die Selbstheilungskräfte der Justiz", sagt Resch.
Die DUH beobachtet auch bei Teilen der Industrie und des Handels eine Tendenz zu Verstößen insbesondere gegen umweltbezogene Verbraucherschutzvorschriften. "Als qualifizierte Einrichtung kontrollierte die DUH auch 2018 in circa 25 Rechtsgebieten die Einhaltung umweltbezogener Verbraucherschutzvorschriften und verfolgte stichprobenhaft Verstöße. Eine Aufgabe, die in praktisch allen übrigen EU-Staaten von Behörden wahrgenommen wird", so Resch.
Zwei wesentliche Grundsatzentscheidungen konnte die DUH erwirken: der Europäische Gerichtshof und der Bundesgerichtshof gaben der DUH im Rechtsstreit mit Peugeot Recht: Autokonzerne müssen auch bei Werbevideos auf sozialen Plattformen korrekte Angaben zu CO2- und Spritverbrauch machen. Ebenso wesentlich ist ein weiteres von der DUH erstrittenes Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs, das Immobilienmakler - und nicht nur Verkäufer und Vermieter - dazu verpflichtet, über Energieverbrauch und Effizienz einer Wohnung oder eines Hauses zu informieren.
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V. (ots)