GdP-Chef warnt Bundesregierung vor Abrücken von der Vorratsdatenspeicherung
Archivmeldung vom 27.07.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, hat die Bundesregierung davor gewarnt, angesichts der NSA-Spähaffäre die Vorratsdatenspeicherung infrage zu stellen. "Meine Erwartung ist, dass sich die nächste Bundesregierung darüber aufklärt, dass das flächendeckende Ausspähen von Bürgern, wie das derzeit im Zusammenhang mit den NSA-Aktionen diskutiert wird, in keinem Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung steht. Das sind sehr verschiedene Schuhe", sagte Malchow im Interview mit "Handelsblatt-Online". "Die NSA-Debatte hat uns leider in die Defensive gebracht, weil alles in einen Topf geschmissen wird. Das ist schädlich für uns."
Die Politik sollte sich aus Sicht Malchows daher mit der Frage befassen, was die Vorratsdatenspeicherung für die tägliche Polizeiarbeit bedeute. "Wir fordern die Vorratsdatenspeicherung ja nicht zum Selbstzweck, um Datenfriedhöfe anzulegen", sagte er. "Wenn es politisch aber nicht gewollt ist, dann hat das zum Ergebnis, dass wir bestimmte Straftaten nicht aufklären können." Ihn ärgere in diesem Zusammenhang die Aussage, dass der Nutzen von Vorratsdatenspeicherung noch gar nicht bewiesen sei.
"Widersinnig ist auch der Vorschlag eines kurzfristigen Speicherverfahrens, das "Quick Freeze". Denn es ist unmöglich, Spuren zu sammeln, wenn erst im Verdachtsfall die dann vorhandenen Daten eingefroren werden dürfen", sagte Malchow. Das "Quick Freeze"-Verfahren hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vorgeschlagen. Malchow sagte dazu, ohne Mindestspeicherfrist werde die Aufklärung von Verbrechen "erheblich" behindert. "Wenn wir keine Daten haben, dann können wir auch nicht weiter ermitteln." Viele Bürger würden Opfer von Straftaten, die nicht aufgeklärt werden können. "Dabei geht es nicht nur um Terrorismus, sondern auch um Kinderpornographie, sexuellen Missbrauch, Arzneimittelkriminalität oder Organisierte Kriminalität."
Pofalla will weiter mit US-Geheimdiensten kooperieren
Der Chef des Bundeskanzleramts, Ronald Pofalla (CDU), hält auch in Zukunft eine Kooperation der deutschen Nachrichtendienste mit den US-Geheimdiensten für notwendig. Die Zusammenarbeit mit den USA sei "besonders wichtig", sagte Pofalla der "Rheinischen Post". Als Beispiel nannte er die "Rettung eines noch immer entführten Deutschen". Die deutschen Nachrichtendienste hätten sich stets an Recht und Gesetz gehalten, betonte der CDU-Politiker. "Bei allen berechtigten Nachfragen tragen wir eine gemeinsame Verantwortung."
Datenschutzexperte verlangt Kontrolle über Geheimdienste
Strafverteidiger und Datenschutzexperte Udo Vetter wirft den verantwortlichen Bundespolitikern vor, mit ihrem Unwissen in der NSA-Spionageaffäre einzugestehen, dass Geheimdienste ein politisch nicht kontrolliertes Eigenlieben führen. Im Interview mit der "Frankfurter Rundschau" sagte Vetter: "Wenn Politiker sagen, sie wissen nicht genau, was läuft, dann heißt es, die Geheimdienste führen ein Eigenleben. Es ist die Uraufgabe der Politik, Probleme zu erkennen und sie zu lösen. Dann muss es auch nicht nur ein Bauernopfer geben, wie den BND-Chef, sondern eine Strukturreform." Vetter verlangte, das Kontrollgremium für die Geheimdienste auszuweiten: "Einer der Punkte, der sofort geändert werden könnte, ist der witzige Umstand, dass zehn Parlamentarier - nur zehn! - die Geheimdienste kontrollieren. Das ist ein schlechter Scherz! Sie können das gar nicht bewältigen. Auf politischer Ebene müssen die Kontrollmöglichkeiten ausgebaut werden, notfalls muss man in die Geheimdienste reingehen und umfassende Auskunft verlangen. Und es muss den Geheimdiensten klar sein, dass, wer das politische Primat missachtet, fliegt. Der zweite Punkt, wie gesagt, ist die Strukturreform, vielleicht müssen die Geheimdienste auch gesundgeschrumpft werden."
GdP-Chef Malchow kritisiert Umfang der NSA-Abhöraktionen
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, hat die Spähaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA scharf kritisiert. Es gehöre zwar zu Aufgaben von Nachrichtendiensten weltweit Informationen zu besorgen. "Aber der Umfang der NSA-Abhöraktionen, wenn er denn so stimmt, wie behauptet wird, ist deutlich überzogen", sagte Malchow "Handelsblatt-Online".
Kritisch sieht Malchow auch, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND und das im Inland operierende Bundesamt für Verfassungsschutz angeblich das NSA-Spähprogramm XKeyscore genutzt haben sollen. "Die Frage, welche Instrumente deutsche Dienste nutzen, muss sich immer an unserer Rechtslage orientieren. Wenn die Hilfsmittel ausländischer Dienste damit nicht konform gehen, dann dürfen sie in Deutschland von deutschen Behörden auch nicht eingesetzt werden", sagte der Polizeigewerkschafter. Aus Sicht Malchows muss es konkrete Hinweise auf Personen geben, um dann in deren Rechte tiefer einzugreifen. Erst dann sei es "rechtlich sauber", sagte er und fügte hinzu: "Wir dürfen uns auch nur Programme einkaufen, die mit deutschem Recht vereinbar sind."
Es gibt drei verschiedene "PRISM"
Der US-Geheimdienst "National Security Agency" (NSA) hat in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundeskanzleramt eingeräumt, dass drei unterschiedliche Prism-Progamme existieren. Das berichtet die "Welt" in ihrer Freitagsausgabe unter Berufung auf das Schreiben der NSA. "Die deutschen Medien verwechseln zwei unterschiedliche und eigenständige Prism-Programme", heißt es in dem Schreiben des US-Geheimdienstes.
Das erste Prism-Programm, das durch die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden bekannt wurde, werde gemäß dem "Foreign Intelligence Surveillance Act" (FISA) eingesetzt. Ziel sei die Terrorismus- und Cyber-Abwehr sowie die Bekämpfung von nuklearer Proliferation. Es handle sich nicht um ein flächendeckendes und willkürliches Überwachungsprogramm, so die NSA weiter. "Die NSA und der Rest der US-Regierung können dies nicht nutzen, um willkürlich den Inhalt privater Kommunikation von Bürgern anderer Nationen zu sammeln", heißt es in dem US-Dokument an das Kanzleramt. "Die Nutzung dieser Autorität findet fokussiert, zielgerichtet, auf rechtlicher Basis statt und ist alles andere als pauschal."
Das zweite Prism-Programm sei ein vom US-Verteidigungsministerium in Afghanistan genutztes "Tool", um geheimdienstliche Informationen zu sammeln und nach ihnen zu suchen. Außerdem gebe es ein drittes, ebenfalls von der NSA genutztes Prism, das völlig unabhängig zu dem von Edward Snowden beschriebenen Überwachungsprogramm betrieben werde. Der vollständige Name des Programms laute "Portal for Real-time Information Sharing and Management" (Prism).
Spionage-Skandal: Namhafte Schriftsteller schreiben Brandbrief
In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, der in der gestrigen Freitagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) erschien, fordern 32 namhafte deutsche Autoren von Bundeskanzlerin Merkel Aufklärung in der PRISM-Affäre. "Wir können uns nicht wehren. Es gibt keine Klagemöglichkeiten, keine Akteneinsicht", schreiben die Schriftsteller, darunter Juli Zeh, Moritz Rinke und Ulrich Beck. "Wir erleben einen historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat, nämlich die Umkehrung des Prinzips der Unschuldsvermutung hin zu einem millionenfachen Generalverdacht." Die Autoren fordern in der F.A.Z. Klarheit von der Kanzlerin: Es wachse der Eindruck, dass das Vorgehen der amerikanischen und britischen Behörden von der deutschen Regierung billigend in Kauf genommen würde. "Deshalb fragen wir Sie: Ist es politisch gewollt, dass die NSA auf unserem Staatsgebiet Überwachungsmaßnahmen durchführt, die den deutschen Behörden durch Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht verboten sind? Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen" Die Autoren fordern Frau Merkel in der F.A.Z. auf, "die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen" und zu erklären, was die Bundesregierung dagegen zu unternehmen gedenke.
Den Brief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unterzeichneten Juli Zeh, Ilija Trojanow, Carolin Emcke, Friedrich von Borries, Moritz Rinke, Eva Menasse, Tanja Dückers, Norbert Niemann, Sherko Fatah, Angelina Maccarone, Michael Kumpfmüller, Tilman Spengler, Steffen Kopetzky, Sten Nadolny, Markus Orths, Sasa Stanisic, Micha Brumlik, Josef Haslinger, Simon Urban, Kristof Magnusson, Andres Veiel, Feridun Zaimoglu, Ingo Schulze, Falk Richter, Hilal Sezgin, Georg M. Oswald, Ulrike Draesner, Clemens J. Setz, Ulrich Beck, Katja Lange-Müller, Ulrich Peltzer und Thomas von Steinaecker.
Quelle: dts Nachrichtenagentur