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Bedford-Strohm und Leoluca Orlando: "Not, Leid und Verzweiflung haben keine Nationalität"

Archivmeldung vom 04.10.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.10.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Heinrich Bedford-Strohm, Angela Merkel und Barak Obama (2017) (Symbolbild)
Heinrich Bedford-Strohm, Angela Merkel und Barak Obama (2017) (Symbolbild)

Bild: Eigenes Werk /OTT

"Not, Leid und Verzweiflung haben keine Nationalität. Und Glaube, Liebe und Hoffnung haben auch keine Nationalität". Vier Monate nach Ihrem gemeinsamen "Palermo-Apell" haben Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, erneut einen eindringlichen Aufruf an die Regierungen, Parlamente und die Kommission der Europäischen Union gerichtet.

Darin bitten sie um die Freigabe aller beschlagnahmten oder festgehaltenen Rettungsschiffe. "Die Kriminalisierung und Behinderung der zivilen Seenotrettung ist sofort zu beenden", appellieren Orlando und Bedford-Strohm in dem heute in Palermo veröffentlichten Papier. Zugleich forderten sie die Wiederaufnahme der staatlichen Seenotrettung im Mittelmeer. "Seenotrettung ist eine staatliche Aufgabe, die durch die europäischen Regierungen wahrgenommen werden muss."

Die europäischen Regierungen hätten bis heute keine klare Vision für eine Lösung jener humanitären Katastrophe, die sich seit Jahren im Mittelmeer abspiele. Der neuerliche Aufruf unterstreicht den Palermo-Appell vom Juni dieses Jahres, in dem Palermos Bürgermeister und der EKD-Ratsvorsitzende einen europäischen Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge gefordert hatten. Dem Appell hatten sich damals zahlreiche Bürgermeister von Städten und Gemeinden sowie Vertreter von Kirchen und Zivilgesellschaft in ganz Europa angeschlossen.

Veröffentlicht wurde der Aufruf heute am Rande der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Palermo an den EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm. "Zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Bischof Heinrich Bedford-Strohm hat mich die Überzeugung geführt, dass wir viele Ideen in Bezug auf Einwanderungspolitik, Willkommenskultur, Asylrecht und Seenotrettung teilen.", so Bürgermeister Leoluca Orlando in einer Feierstunde im Rathaus von Palermo. Wie Palermo sei auch die Evangelische Kirche in Deutschland und insbesondere der Bischof engagiert, eine Lösung zu einem epochalen Phänomen zu finden, um Menschen, die auf der Flucht sind vor Krieg, Terror und Verfolgung, auf ihrer Suche nach einem besseren Leben zu helfen.

"Ich danke den Einwohnern von Palermo und ihrem Bürgermeister Leoluca Orlando dafür, dass sie bewiesen haben, dass Politik ein menschliches Gesicht zeigen kann, erwiderte Bedford-Strohm, "und dass eine offene, solidarische Stadt ein besserer Ort ist, sowohl für diejenigen, die dort schon lange zuhause sind als auch für diejenigen, die dort gerade heimisch werden", so der EKD-Ratsvorsitzende. "Ich bin stolz sagen zu können, dass ich jetzt ein Palermitaner bin." Er freue sich aber auch über die Würdigung der unzähligen Ehrenamtlichen in Kirche und Gesellschaft, die mit dieser Auszeichnung verbunden sei. "Stellvertretend für sie nehme ich die Auszeichnung entgegen: Wer Menschen in Not unterstützt, sei es durch die Integration von Flüchtlingen, in der Seenotrettung oder durch die Unterstützung von Entwicklungsprojekten oder Katastrophenhilfe, leistet einen unverzichtbaren Beitrag dafür, dass Menschen überall in der Welt in Würde leben können."

Der Appell im Wortlaut: "Das neue EU-Parlament hat seine Arbeit aufgenommen. Die neue EU-Kommission wird dies voraussichtlich am 1. November tun. Doch in Europa herrschen nach wie vor starke Spannungen, populistische und extremistische Tendenzen, Intoleranz und Rassismus. Und die europäischen Regierungen haben bis heute keine klare Vision für eine Lösung jener humanitären Katastrophe, die sich seit Jahren im Mittelmeer abspielt.

Menschen versuchen weiterhin, erst durch die Wüste und dann über das Mittelmeer vor Krieg, Terror, Verfolgung und auf der Suche nach einem würdigeren Leben nach Europa zu flüchten. Und das obwohl die südliche Außengrenze unseres Kontinents weiterhin die tödlichste Grenze der Welt ist: Mindestens 994 Menschen sind 2019 im Mittelmeer ertrunken und die Dunkelziffer der Opfer wird auf ein Vielfaches geschätzt.

Innenminister mehrerer europäischer Staaten haben im September auf Malta den Willen ausgedrückt, eine tragfähige politische Lösung für die Rettung und Verteilung von Bootsflüchtlingen zu finden. Wir hoffen, dass sich hieraus schnell ein breiteres Bündnis europäischer Staaten entwickelt, die solidarisch die Verantwortung für im Mittelmeer Gerettete wahrnehmen. Darüber hinaus braucht es eine langfristige und europaweite Lösung für die humane Aufnahme von Flüchtlingen und eine Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.

Gemeinsam mit Bürgermeistern von Städten und Gemeinden, Kirchen und Zivilgesellschaft in ganz Europa richten wir daher unseren erneuten Appell an die Regierungen, Parlamente und die Kommission der Europäischen Union:

  • Das Recht auf Leben sowie die Seenotrettung als moralische und rechtliche Pflicht geltend zu machen! Seenotrettung ist eine staatliche Aufgabe, die durch die europäischen Regierungen wahrgenommen werden muss. Wir fordern daher die sofortige Wiederaufnahme der staatlichen Seenotrettung im Mittelmeer.
  • Die Kriminalisierung und Behinderung der zivilen Seenotrettung sofort zu beenden! Angesichts der Dringlichkeit der Rettung von Menschenleben auf See bitten wir um die Freigabe aller beschlagnahmten oder festgehaltenen Rettungsschiffe.
  • An einem funktionierenden und humanen Asylsystem mit hohen Aufnahmestandards auf europäischer Ebene inklusive einer fairen Verantwortungsteilung weiter zu arbeiten und effektive Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Menschen auf der Flucht bedürfen Sicherheit, Schutz und einer Perspektive. Deshalb hoffen wir auf eine Politik, die Schutzsuchende und Migranten in ihrer Menschenwürde und ihren Menschenrechten achtet anstatt auf Abschreckung und Abschottung zu setzen."

Quelle: EKD Evangelische Kirche in Deutschland (ots)


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