BDK: Ständige Überwachung islamistischer Gefährder nicht leistbar
Archivmeldung vom 12.01.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtNach Einschätzung des Bundesverbandes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, sind die Sicherheitsbehörden nicht in der Lage, die hohe Zahl islamistischer Gefährder ununterbrochen zu beobachten: Eine lückenlose "Rund-um-die-Uhr-Überwachung" dieser Personen sei "verfassungsrechtlich bedenklich und für Polizei und Verfassungsschutz personell nicht leistbar", sagte Schulz dem "Handelsblatt" (Onlineausgabe).
Die Grenze der Leistungsfähigkeit der operativen Polizeieinheiten sei bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und der Bewachung der aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen erreicht gewesen. Der BDK gehe derzeit von mindestens 180 Personen aus, wobei die tatsächliche Zahl aber weitaus höher liegen dürfte, sagte Schulz weiter. "Allein für die Überwachung dieser 180 Personen würden wir jetzt dauerhaft etwa 4.000 Beamte benötigen. Woher sollen wir die nehmen?" Die Länderregierungen kürzten fast überall sogar weiterhin das Personal, anstatt es aufzustocken.
Die Dschihad-Rückkehrer seien jedoch ein großes Problem. "Wir wissen im Regelfall nicht, wer sich von diesen Personen friedlich verhalten wird, wer traumatisiert ist und selber Hilfe benötigt, und wer davon eine tickende Zeitbombe ist", sagte der der Polizeigewerkschafter.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, betonte ebenfalls die Notwendigkeit, gefährliche Islamisten stärker in den Blick zu nehmen. Eine intensivere Kontrolle der Gefährder sei aber nur mit verstärktem Personaleinsatz möglich, sagte Malchow dem "Handelsblatt" (Onlineausgabe). "Hier rächt sich der Personalabbau bei den Sicherheitsbehörden."
Malchow merkte in diesem Zusammenhang kritisch an, "dass in Deutschland die Gefahr für die Freiheit nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern von international geführten Terroristen und Gefährdern ausgeht".
CSU für Inhaftierung islamistischer Gefährder
Nach den Terrorakten in Frankreich will die CSU den staatlichen Maßnahmenkatalog gegen islamistische Gefährder in Deutschland drastisch verschärfen: "Gefährder, die als kampferprobte Dschihadisten nach Deutschland zurückgekehrt sind, sind ein nicht hinzunehmendes Sicherheitsrisiko und deshalb zu inhaftieren. Das Schutzbedürfnis der Bürger hat in solchen Fällen Vorrang vor dem Freiheitsbedürfnis von Gotteskriegern", sagte der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl dem "Handelsblatt" (Onlineausgabe).
Uhl erinnerte daran, dass bereits im Grundgesetz stehe, dass Menschen, die das friedliche Zusammenleben der Völker störten, mit Haft zu bestrafen seien. Von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) forderte er deshalb, in dieser Hinsicht die Rechtslage zu prüfen und gegebenenfalls eine Gesetzesverschärfung vorzuschlagen. "Sollte nach Auffassung des Bundesjustizministers eine Inhaftierung mit geltendem Strafrecht - Paragraf 80 und andere - nicht möglich sein, hat er unverzüglich einen geeigneten Gesetzesvorschlag zu machen."
Uhl äußerte sich vor dem Hintergrund, dass die Zahl der sogenannten Gefährder in Deutschland von einem Rekordstand zum nächsten klettert: 260 solcher Extremisten, denen ein Anschlag wie in Frankreich zuzutrauen ist, führen die Behörden inzwischen auf ihren Listen, berichtet das "Handelsblatt". Es sei ein drastischer Anstieg: Vor einigen Jahren musste sich das Bundeskriminalamt (BKA) demnach noch um 80 bis 90 Gefährder kümmern.
Zeitung: Bundestag debattiert am Donnerstag über Terror
Der Bundestag soll am Donnerstag über die Terroranschläge in Paris und die Schlussfolgerungen für die deutsche Politik debattieren. Laut eines Berichts des "Tagesspiegel" (Dienstagsausgabe) unter Berufung auf Koalitionskreise soll Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu eine Regierungserklärung abgeben. Anschließend sollen die Fraktionen in einer etwa einstündigen Aussprache Gelegenheit bekommen, ihre Positionen darzulegen. Geplant sei auch eine kurze einleitende Ansprache von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), schreibt die Zeitung weiter.
Unions-Politiker fordern schärfere Maßnahmen gegen Islamisten
Politikern von CDU und CSU geht die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) angekündigte Verschärfung der Sicherheitsgesetze nicht weit genug: Sie fordern mit Blick auf Islamisten, die aus Syrien und dem Irak nach Deutschland zurückgekehrt sind, auch Gefährder genannt, schärfere Maßnahmen. "Parallel zur Überwachung sollten Rückkehrer unter anderem zur Teilnahme an Demokratiekursen verpflichtet werden", sagte der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Patrick Sensburg (CDU), dem "Handelsblatt" (Onlineausgabe).
In enger Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinden müssten Personen aber auch schon vor der Ausreise in den Blick genommen werden, sagte Sensburg weiter. "Sie müssen so vom Extremismus abgehalten werden. Vom Bund geförderte Projekte wie "180-Grad-Wende" in Köln oder "Muslim Open Mind" in Düsseldorf unterstützen diese Ansätze dann."
Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), brachte ebenfalls weitergehende Regelungen ins Spiel. "Ob weitere Maßnahmen wie Meldeauflagen oder elektronische Fußfesseln zu treffen sind, sollten wir jetzt intensiv prüfen", sagte der CSU-Politiker dem "Handelsblatt".
Kritisch sehen Sensburg und Mayer den Vorstoß des CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl. Dieser forderte, kampferprobte Dschihadisten, die nach Deutschland zurückgekehrt seien, zu inhaftieren. "Das Schutzbedürfnis der Bürger hat in solchen Fällen Vorrang vor dem Freiheitsbedürfnis von Gotteskriegern", sagte der Uhl dem "Handelsblatt" (Onlineausgabe).
Sensburg sagte dazu: "Ich halte die Ansicht, Gefährder zu `internieren`, für falsch. Es muss auch hier die Unschuldsvermutung gelten", sagte der CDU-Politiker. Es helfe daher nur, wenn sie "intensiv observiert" würden. "Hier muss bei der Polizei und beim Verfassungsschutz Personal aufgebaut werden", sagte er. Ähnlich äußerte sich Mayer.
Maas kündigt Gesetzespaket für effektiveren Anti-Terrorkampf an
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wird noch im Januar ein Gesetzespakt mit Maßnahmen für einen effektiveren Anti-Terrorkampf vorlegen. "Ich werde bereits im Januar ein Paket vorlegen, mit dem wir noch härter gegen Terroristen vorgehen können", sagte Maas der "Bild". "Dann schaffen wir einen eigenen Straftatbestand gegen die finanzielle Unterstützung von Terrororganisationen etwa durch Spenden. Und: Die Reisen von Islamisten in Kriegsgebiete werden noch weitgehender unter Strafe gestellt - wenn zum Beispiel in Syrien ein Terrorcamp aufgesucht werden soll."
Das diese Maßnahmen erst jetzt ergriffen werden, liege an einer entsprechenden UN-Resolution, so der Minister, die erst vor wenigen Monaten beschlossen worden sei. "Wir stützen uns dabei auf eine UN-Resolution, die erst Ende September 2014 verabschiedet worden ist. Insofern haben wir sehr zügig gearbeitet. Immer in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern. Und mit dem Innenminister."
Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung lehnt Maas jedoch weiter ab. "Wir sind uns alle einig: Wir sind verpflichtet, unser Land so sicher zu machen wie möglich, aber eine absolute Sicherheit wird es niemals geben. Daran würde auch eine Totalüberwachung von uns allen ohne jeden Anlass nichts ändern. Die Vorratsdatenspeicherung gibt es in Frankreich, sie konnte auch den Anschlag in Paris nicht verhindern. Und: Eine solche Speicherung verstößt gegen die Grundrechte. Das hat der Europäische Gerichtshof eindeutig festgestellt. Also was soll das, die furchtbaren Anschläge in Paris zu nutzen, um eine alte Diskussion wieder anzuzetteln", fragte Maas. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Vorratsdatenspeicherung 2010 für verfassungswidrig erklärt, weil der Datenschutz nicht hinreichend berücksichtigt worden sei und die Hürden für den Zugriff von Ermittlungsbehörden zu niedrig gewesen seien.
Maaßen: Deutschland im Fokus islamistischer Extremisten
Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sieht Deutschland durch den islamischen Extremismus bedroht. "Die Sicherheitsbehörden und insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz weisen schon seit langem darauf hin, dass Deutschland, dass ganz Westeuropa, im Fokus ist des global agierenden islamistischen Extremismus", sagte Maaßen im "Bericht aus Berlin".
Man müsse damit rechnen, dass Terroristen auch in Deutschland versuchen würden, Anschläge zu verüben. Maaßen setzte sich für eine engere Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten ein. Die USA seien im Punkt Terrorbekämpfung "für uns unverzichtbare Partner".
De Maizière wirft Pegida Missbrauch der Anschläge von Paris vor
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat der islamkritischen Pegida-Bewegung vorgeworfen, die Terroranschläge von Paris politisch zu missbrauchen. "Die Instrumentalisierung eines so schrecklichen Mordanschlages für die eigenen Zwecke ist schäbig", sagte de Maizière kurz vor der nächsten geplanten Pegida-Großkundgebung am Montag in Dresden der "Bild am Sonntag". "Was Pegida da betreibt ist ein unlauteres Spiel mit Worten."
Der Minister warf den Pegida-Anhängern zudem vor, Islam mit Islamismus gleich zu setzen: "Es wurde erst gesagt, man habe Sorge vor Islamisierung. Und jetzt heißt es: Seht ihr, wir haben doch immer vor dem Islamismus gewarnt. Das ist infam." Und weiter: "Wir müssen unterscheiden zwischen Islamisten, die sich zu Unrecht auf die Religion berufen, um Straftaten und Morde zu begehen oder sich radikalisieren - und den Muslimen, die verfassungstreu in Deutschland ihren Glauben leben. Sie haben mit den Terroristen nichts zu tun und wollen es auch nicht. Diese Kraft der Differenzierung müssen wir in Deutschland aufbringen."
Gleichzeitig machte der Minister klar, dass der islamistische Terror mit aller Härte bekämpft werden müsse: "Die Islamisten bekommen unsere harte klare rechtsstaatliche Antwort, dazu brauchen wir nicht Pegida."
De Maizière mahnt zu Aufmerksamkeit im Alltag
Angesichts der Terrorwelle in Frankreich hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Deutschen zu Aufmerksamkeit im Alltag aufgerufen. "Wir haben Radikalisierungsprozesse in Deutschland, bei denen sich Personen äußerlich und innerlich bis hin zu ihren Essgewohnheiten verändern", sagte de Maizière der "Bild am Sonntag". "Und da ist Wachsamkeit der Bürger, der Familien, der Nachbarn, der Sportfreunde oder Mitgläubigen in Moscheegemeinden wichtig und richtig."
Der Minister mahnte, die Bürger sollten nicht jeden, der mit einer Kapuze im Dunkeln herumlaufe, verdächtigen. Das würde zu einem Klima des Misstrauens führen. "Allerdings haben wir so viele Gefährder wie nie zuvor. Wir gehen von ungefähr 260 Personen aus", betonte de Maizière. "Von ihnen geht eine Gefahr für unsere Sicherheit aus. Ich habe große Sorge vor gut vorbereiteten Tätern wie in Paris, Brüssel, Australien oder Kanada. Das macht den Ernst der Lage aus."
Der Bundesinnenminister sieht die deutschen Behörden auf die Bedrohungslage vorbereitet. "Unsere Sicherheitsbehörden sind gut aufgestellt. Wir hindern jede Woche Menschen an der Ausreise in den Dschihad. Wir verhindern Wiedereinreisen oder nehmen Menschen dabei fest." In den letzten Wochen seien erfolgreich mehrere Hundert Ermittlungsverfahren gegen Personen wegen Beteiligung an terroristischen Aktivitäten eingeleitet worden.
"Oft sind diese Ermittlungen mit Durchsuchungen verbunden. Und da wurde auch militärisch nutzbares Gerät wie Schutzwesten und Nachtsichtgeräte gefunden. Aber auch Waffen wie Messer, Schwerter - bis zur Maschinenpistole", sagte de Maizière.
Der Minister betonte, dass die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und eine europaweite Erfassung von Fluggastdaten unverzichtbar seien: "Beide Instrumente halte ich für erforderlich. Das galt vor den schrecklichen Ereignissen in Frankreich ebenso, wie es danach gilt."
Der CDU-Politiker plädierte für eine intensive Überwachung der Kommunikation von Gefährdern. "Allen, die eine solche Üb! erwachun g prinzipiell für falsch halten, sage ich, sie ist für die Sicherheit unseres Landes dringend geboten."
Trotz vieler Kritik sei Deutschland auf die Zusammenarbeit mit internationalen Nachrichtendiensten auch mit den USA dringend angewiesen, betonte der Minister. "Das dient unser aller Sicherheit." Mit Blick auf die Anschläge vom 11. September in den USA sowie auf andere verheerende Terrorakte sagte de Maizière: "Wir konnten einige vorbereitete Anschläge verhindern - ein erheblicher Teil durch Ausgangshinweise befreundeter Dienste. Aber wir haben auch Glück gehabt. Und leider muss das nicht immer so bleiben."
Quelle: dts Nachrichtenagentur