foodwatch fordert auch Korrekturen von DIHK und CDU
Archivmeldung vom 13.03.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) musste nun auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) Falschinformationen über die wirtschaftlichen Chancen von TTIP korrigieren. Wie der BDI hatte auch die arbeitgebernahe INSM mögliche wirtschaftliche Effekte zehn Mal größer dargestellt, als sie nach Einschätzung in Studien sein könnten. Die Verbraucherorganisation foodwatch hatte beide Organisationen zuvor öffentlich und per Brief aufgefordert, die falschen Angaben zurückzuziehen.
Weiter operieren der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und die CDU mit falschen Zahlen über die angeblichen Beschäftigungszuwächse des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens. foodwatch forderte beide ebenfalls zur Richtigstellung auf.
"Und schon wieder muss ein TTIP-Befürworter sagen: Wir haben falsch informiert", erklärte foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. "Die Kampagne der TTIP-Fans entlarvt sich mehr und mehr als das, was sie ist: eine große Luftnummer. Kühne Träume werden als Fakten dargestellt, Chancen von TTIP aufgebauscht und Risiken geleugnet. Allein das sollte das Misstrauen der Bevölkerung wecken: Wer so unaufrichtig informiert, der hat etwas zu verbergen. Das ist der beste Grund dafür, die TTIP-Verhandlungen jetzt zu stoppen."
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hatte im Februar 2015 eine Broschüre mit "12 Fakten zu TTIP" herausgegeben (im Internet verfügbar unter http://bit.ly/19gvfAa), von denen zunächst wenigstens 5 Fakten fehlerhafte oder verzerrte Darstellungen enthielten. Vor allem wurden die in Studien hypothetisch berechneten Erwartungen an die wirtschaftlichen Chancen des Abkommens falsch wiedergegeben: Sie wurden als jährliche Effekte dargestellt, obwohl es sich um eine nach zehn Jahren eintretende, einmalige Niveauanhebungen handelt. So schrieb die INSM von einem zusätzlichen jährlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 119 Milliarden Euro. Tatsächlich könnte ein solcher Effekt nach der zugrunde gelegten Studie bestenfalls als einmalige Niveauanhebung nach 10 Jahren eintreten - bis dahin hätte sich das von der INSM genannte, TTIP-bedingte Zusatzwachstum bereits auf 1,2 Billionen Euro summiert - also auf das Zehnfache. Ergänzt um Sternchen-Erläuterungen (*) hat die INSM heute zumindest bei zwei der fünf "Fakten" Korrekturen vorgenommen. foodwatch verlangte auch die Richtigstellung der weiteren Punkte.
In einem Schreiben an DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben forderte foodwatch auch diesen Wirtschaftsverband auf, Falschdarstellungen zu TTIP abzuändern:
- Auf der DIHK-Internetseite heißt es: "Die vom Bundeswirtschaftsministerium beim ifo-Institut in Auftrag gegebene Studie zu den Auswirkungen des TTIP geht davon aus, dass TTIP in Europa bis zu 400.000 neue Arbeitsplätze schaffen kann - mindestens 100.000 davon in Deutschland." (Quelle: http://bit.ly/1wDEvsm) Richtig ist jedoch: In der zitierten Studie (http://bit.ly/1E57Lpc ) wird von "bis zu etwa 110.000 neue[n] Arbeitsplätze[n]" gesprochen. Die "Mindest"-Annahme der Studienautoren liegt mit nur 2.100 neuen Stellen durch TTIP in Deutschland (und rund 12.000 in Europa) deutlich darunter.
- An anderer Stelle der DIHK-Internetseite heißt es ebenso falsch: "Durch einen umfassenden Abbau von Handelshemmnissen zwischen den USA und der EU werden in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen. Studien gehen von mindestens 100.000 neuen Arbeitsplätzen aus." (Quelle: http://bit.ly/1MxTmZf)
- Ferner schreibt der DIHK im Internet als Antwort auf die Frage "Kann TTIP bestehendes EU-Recht aushebeln?": "EU-Rechtsvorschriften werden durch den Abschluss eines bilateralen Abkommens wie dem TTIP nicht automatisch außer Kraft gesetzt. Denn in Europa gilt nach wie vor: Jede Änderung einer EU-Rechtsvorschrift muss durch alle EU-Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament angenommen werden. Daran werden Freihandelsabkommen nichts ändern." (Quelle: http://bit.ly/1MxTmZf) Auch dies ist irreführend formuliert. Richtig ist, dass TTIP als völkerrechtlicher Vertrag Vorrang sowohl vor europäischen als auch vor nationalstaatlichen Gesetzen und rechtsverbindlichen Vorschriften hat. Das heißt: Sowohl bestehende als auch künftige nationale und EU-Gesetze, die gegen die Pflichten in TTIP verstoßen, sind automatisch rechtswidrig und müssen geändert werden. Formal müssen die EU-Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament die Änderungen zwar tatsächlich beschließen, jedoch sind sie dazu durch TTIP verpflichtet. Weichen sie davon ab, können Sanktionen verhängt werden.
Wie der DIHK macht auch die CDU falsche Angaben über die möglichen Jobeffekte des geplanten Abkommens:
- In einer TTIP-Broschüre der Partei (http://bit.ly/1EGn8tz) steht u.a.: "Die Schätzungen über zusätzliche Arbeitsplätze in der EU reichen von 400.000 bis 1,3 Millionen." Damit unterschlägt die Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel wie der DIHK niedrigere Schätzungen aus denselben Studien - in denen nicht 400.000, sondern rund 12.000 zusätzliche Jobs EU-weit die unterste genannte Größenordnung sind.
foodwatch forderte die CDU auf, die Verbreitung der Broschüre zu stoppen und die Angaben öffentlich zu korrigieren. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber bauschte die möglichen Jobeffekte auf. foodwatch verlangte eine öffentliche Richtigstellung.
Details zu den falschen Angaben von BDI und INSM:
Der BDI hatte sich bei seinen Angaben auf eine Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR) im Auftrag der Europäischen Kommission berufen (Quelle: http://bit.ly/1cuYFUG). Darin wurden hypothetische TTIP-Szenarien durchgerechnet. Den Einschätzungen der Autoren zufolge könnte ein besonders ambitioniertes Abkommen das Bruttoinlandsprodukt der EU um 0,5 Prozent bzw. 119 Milliarden Euro sowie das Jahreseinkommen einer vierköpfigen Familie um 545 Euro anheben - diese Effekte würden zehn Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens eintreten, laut Studie im Jahre 2027. Es handelt sich also hier um einmalige Niveauerhöhungen. Der BDI hatte daraus an mindestens drei Stellen jährliche Effekte gemacht. Am Mittwoch dieser Woche korrigierte der Verband die Passagen in einer Publikation sowie auf seiner Internetseite. Der Deutschlandfunk änderte zudem entsprechende Falschaussagen von Ulrich Grillo in der online zur Verfügung gestellten, verschriftlichten Version eines Live-Interviews vom 6. Mai 2014 (http://bit.ly/1rleYRp).
Der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hatte foodwatch Fehler oder irreführende Darstellungen bei 5 von 12 "Fakten" in ihrer TTIP-Broschüre (http://bit.ly/19gvfAa) vorgeworfen. Die Punkte betreffen die wirtschaftlichen Chancen sowie Folgen des Abkommens für Entwicklungsländer und sind nun - wenn auch nur teilweise - korrigiert worden:
- Als "Fakt 1" beschreibt die INSM: "Handel sichert Wachstum und Arbeitsplätze [...] Von der Globalisierung mit einem liberalisierten Welthandel profitieren aber auch die Entwicklungsländer: Das Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen der am wenigsten entwickelten Länder hat sich zwischen 2004 und 2013 mehr als verdoppelt. [...] Auch die ärmsten Länder gewinnen [...]" - richtig ist: Alle diese Punkte haben mit TTIP nichts zu tun, sondern beziehen sich auf vergangene Entwicklungen. Die Ausführungen als "Fakt über TTIP" darzustellen, ist daher unseriös, zumal die bekannten Studien zu TTIP in der Tendenz Verluste für viele Entwicklungsländer durch TTIP erwarten.
- Unter "Fakt 10" heißt es zum selben Aspekt: "Ein liberalisierter Handel zwischen der EU und den USA würde auch den übrigen Ländern Vorteile bringen: Das weltweite Einkommen würde durch positive Effekte auf den Handel um knapp 100 Milliarden Euro steigen. [...] Die ganze Welt gewinnt [...]". Richtig ist: Hier macht die INSM globale Durchschnittswerte zu einem Gewinn für alle. Tatsächlich erwarten die Studien für viele Entwicklungs- und Schwellenländer teils deutliche Einbußen. Dass "die ganze Welt gewinnt", ist also falsch.
- "Fakt 7" wird überschrieben mit "119 Milliarden Euro Gewinne durch TTIP". Es handelt sich dabei jedoch nur eine Kalkulation auf Basis hypothetischer Annahmen über die Ausgestaltung von TTIP und wird nur für den Fall eines besonders ambitionierten Szenarios erwartet - andere, ebenfalls durchgerechnete Annahmen in derselben Studie kommen zu deutlich niedrigeren Effekten. Insofern ist es falsch und manipulativ, 119 Milliarden Gewinne als "Fakt" darzustellen.
Im weiteren Text hatte die INSM aus einem (einmaligen) Niveaueffekt jährliche Effekte gemacht. Sie schrieb: "Bis zu 119 Milliarden Euro pro Jahr könne [d.h. laut CEPR-Studie, Anmerkung foodwatch] der Zuwachs des BIP in der EU betragen." In einer zugeordneten Grafik hieß es: "Geschätztes jährliches BIP-Zusatzwachstum". Beides ist seit heute korrigiert - nicht jedoch die Darstellung von möglichen Effekten hypothetischer Best-Case-Szenarien als "Fakt".
- "Fakt 8" der INSM lautet "Freihandel bedeutet höhere Einkommen", im Text hieß es: "Mit dem Bruttoinlandsprodukt steigt auch das Einkommen: Das verfügbare Einkommen einer vierköpfigen Familie in der EU würde laut Centre for Economic Policy Research (CEPR) durch TTIP im Schnitt um 545 Euro jährlich steigen, bei einer vergleichbaren Familie in den USA um 655 Euro." Auch das war falsch: Erneut stellte die INSM eine einmalige Niveauanhebung als jährlichen Effekt dar. Der Satz ist seit heute korrigiert.
- Unter "Fakt 9" schließlich verspricht die INSM "Hunderttausende neue Arbeitsplätze in der EU [...] Nicht nur das Einkommen, auch die Zahl der Arbeitsplätze würde durch ein weitreichendes Freihandelsabkommen steigen: In der EU könnten 400.000 neue Arbeitsplätze entstehen, davon bis zu 110.000 allein in Deutschland." Hier bezieht sich die INSM offenbar auf die Studie des Münchener ifo-Instituts für das Bundeswirtschaftsministerium - pickt sich aus dieser aber lediglich die Einschätzungen für das ambitionierteste der in der Studie durchgerechneten, hypothetischen TTIP-Szenarien heraus. Ein Szenario, das von Experten bereits als völlig unrealistisch kritisiert wurde. Die INSM macht aus hypothetischen Berechnungen Fakten und verschweigt die weitaus niedrigeren Werte für andere Szenarien aus derselben Studie.
Quelle: foodwatch e.V. (ots)