SNA-Fragen an die Bundesregierung: Herrschaft der Taliban anerkennen?
Archivmeldung vom 06.09.2021
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Freigeschaltet durch Anja SchmittDie Bundesregierung stellt den Taliban* viele Forderungen. Doch 600 Millionen Euro Hilfeleistungen von Deutschland für Afghanistan werden offenbar nicht an diese Forderungen geknüpft. Stattdessen kann sich die Bundesregierung eine Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land vorstellen. Was stimmt aber nicht? „SNA News“ fragt nach.
Weiter ist auf deren deutschen Webseite dazu folgendes geschrieben: "Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) habe sehr deutlich gemacht, dass Deutschland für jeglichen Umgang mit den Taliban gewisse Erwartungen stelle, sagte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes Andrea Sasse auf der Bundespressekonferenz am Montag. Die Regierung stellt laut Maas sehr konkrete Bedingungen an Afghanistan, wie etwa dass Frauen- und Menschenrechte geachtet werden, eine inklusive Regierung gebildet wird, humanitäre Hilfslieferungen ermöglicht und „Afghanistan nicht zum neuen Ort des Terrorismus wird.“ Würden die Taliban diese Bedingungen im Voraus erfüllen, stünde auch eine Entwicklungszusammenarbeit mit Deutschland im Rahmen, bekräftigte Sasse die Worte von Maas.
„Erkennen keine Regime an, aber...“
"Doch geht die Entwicklungsarbeit ohne politische Anerkennung der Taliban?", fragte der ARD-Korrespondent Hans Jessen aus dem Saal. Für das Auswärtige Amt scheinen das unterschiedliche Sachen zu sein. Es gehe darum, „was wir von der Taliban erwarten, was wir fordern“, wiederholte Sasse. „Unter diesen Bedingungen sind wir bereit, über einen Umgang mit den Taliban zu diskutieren. Die Frage der politischen Anerkennung sei von Maas ausdrücklich nicht genannt worden, betonte die Sprecherin.
"Unter welchen Umständen könnte sich die Bundesregierung vorstellen, die Herrschaft der Taliban anzuerkennen?", fragte SNA und Sasse legte nach:
„Wir erkennen grundsätzlich keine Regime an, sondern tatsächliche Staaten.“
Tatsächlich hat die Bundesregierung in der Vergangenheit in dieser Hinsicht unterschiedlich gehandelt. In Venezuela erkannte sie im Februar 2019 den Oppositionspolitiker Juan Guaidó als Übergangspräsidenten an. Doch im Januar 2021 änderte die Bundesregierung ihre Position zu Guaidó: So wird der ehemalige Parlamentspräsident von Berlin und von anderen EU-Staaten nicht mehr als Interimspräsident Venezuelas anerkannt, sondern als „wichtiger Akteur“ und „privilegierterGesprächspartner“.
„Mit Bezug auf Südafrika ging es aber nicht allein um die Anerkennung von Staaten, sondern um die Frage, wen erkennt Deutschland oder die EU als legitime Regierung an“, erinnerte auch Jessen. Gemeint dabei wurde offenbar die Apartheid-Politik, also die Rassentrennung, von der die Politik in Südafrika von 1949 bis 1992 bestimmt war. Deutschland war in den 1980ern wohl das einzige Land der Welt, das ein Kulturabkommen mit Südafrika aufrechterhalten und verteidigt hatte.
600 Millionen Hilfsgelder für Afghanistan ohne Bedingungen?
Die Bundesregierung hat erstmal 100 Millionen Euro als humanitäre Soforthilfe für Afghanistan bereitgestellt. Dazu sollen weitere 500 Millionen Euro kommen. Doch werden sie durch die angesprochenen Forderungen der Bundesregierung bzw. durch irgendwelche Bedingungen konditioniert, wollte SNA wissen.
Laut der Sprecherin des Auswärtigen Amtes handelt es sich bei 500 Millionen Euro um eine sogenannte „Extra-Gesamtheit“. Ein Teil der Mittel werde dann in humanitäre Hilfe fließen, unabhängig vom Regime in Kabul. Andere Teile werden dann den Nachbarstaaten von Afghanistan zugute kommen, sagte Sasse. Die Abstimmung zu der genauen Verteilung und Bereitstellung dieser Mittel sei in der Bundesregierung jedoch nicht abgeschlossen. Auf die Frage nach Bedingungen ist sie nicht eingegangen.
Taliban wollen diplomatische Beziehungen und Finanzhilfen
Die Frage ist auch unbeantwortet geblieben, welche Gesprächskanäle die Bundesregierung jenseits der Gespräche des Botschafters Markus Potzel in Doha hat. Nach der Evakuierung der deutschen Botschaft in Kabul in Folge der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 wurde Potzel zwecks Verhandlungen nach Katar entsandt, wo die Taliban ihr politisches Büro betreiben. So führe Potzel in Doha Gespräche mit den Partnern der G7, so Sasse, und Heiko Maas habe sich letzte Woche mit verschiedenen Nachbarstaaten Afghanistans abgestimmt. Doch was die Taliban angehe, würden sich Gespräche von Potzel tatsächlich nur auf Doha beziehen.
Am Sonntag hatten Vertreter der Taliban ebenfalls ihre Erwartungen an Deutschland gerichtet: „Wir wollen starke und offizielle diplomatische Beziehungen zu Deutschland“, sagte ihr Sprecher Sabiullah Mudschahid der „Welt am Sonntag“. Dazu wünschen sich die Taliban von der Bundesregierung und anderen Ländern finanzielle Unterstützung, humanitäre Hilfe und Kooperation bei Gesundheit, Landwirtschaft und Bildung."
* Unter anderem von der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Russland, Tadschikistan, Belarus) als Terrororganisation eingestuft, deren Tätigkeit in diesen Ländern verboten ist.
Quelle: SNA News (Deutschland)