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Interview der Mittelbayerischen Zeitung mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Archivmeldung vom 17.08.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.08.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bild: leutheusser-schnarrenberger.de
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bild: leutheusser-schnarrenberger.de

Im nachfolgenden Interview mit der Mittelbayerischen Zeitung spricht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Justizministerin und bayerische FDP-Vorsitzende, über die Pkw-Maut für Ausländer, den Fall Mollath und die NSA-Affäre.

CSU-Chef Seehofer hat angekündigt, keinen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, in dem eine Pkw-Maut für Ausländer nicht enthalten ist. Würden Sie im Streit um die Maut eine mögliche schwarz-gelbe Koalition nach der Wahl platzen lassen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Eine Maut, die mit EU-Recht nicht vereinbar ist, will in der CDU und in der FDP niemand. Eine absolute Forderung aufzustellen, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für nicht angebracht. Über derartige Themen sollte man sich erst unterhalten, wenn man einen Regierungsauftrag von den Wählern erhalten hat.

Aber es ist unstrittig, dass mehr Geld für Infrastrukturprojekte benötig wird ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, wir haben eindeutig Schwachstellen, die auch durch mangelnde Finanzierung entstanden sind. Aber wir sollten nicht zuallererst eine Debatte darüber führen, wie wir die Bürger mehr belasten können. Bei 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen und bei Anzeichen einer positiven Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone sollten wir lieber darüber sprechen, wie wir das Geld, das wir haben, sinnvoll verwenden und nicht über neue Belastungen.

... was nichts anderes heißt wie: Wir brauchen die Maut eigentlich nicht.

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, so ist es.

Nicht nur bei der Maut gibt es unterschiedliche Positionen zwischen der FDP und der CSU. Wäre Geschlossenheit nicht die bessere Strategie im Wahlkampf?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen in Bayern, vor allem, wenn man daran denkt, wo wir begonnen haben. 2008 standen wir vor den Scherben des Landesbank-Desasters. Heute haben wir das Schlimmste hinter uns. Aber denken Sie, das wäre alleine mit der CSU gegangen? Oder der Ausbau der Kinderbetreuung? Mit Sicherheit nicht! Das ging nur, weil wir gemeinsam regiert haben und auch kontroverse Diskussionen führen mussten. Wir haben in einigen Punkten unterschiedliche Positionen, aber das muss auch so sein, sonst wären wir ja eine Partei.

Im Fall Mollath wurde heftig über die Unabhängigkeit der Justiz debattiert. Gab es aus Ihrer Sicht zu viel Einmischung?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Richter sind in ihrer Entscheidungsfindung unabhängig. Aber sobald die Entscheidung rechtskräftig geworden ist, kann selbstverständlich diskutiert werden. Politiker haben ja die Richter nicht aufgefordert, gefälligst ihr Urteil zu korrigieren. Aber dass Zweifel geäußert werden und man fragt: Ist es wirklich richtig, jemand sieben Jahre lang in der Psychiatrie zu lassen oder wo gibt es Wege, es noch einmal zu überprüfen, das ist in Ordnung.

Das Landgericht Regensburg, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Mollath ablehnte , musste heftige Kritik einstecken. Zu Recht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben in der Justiz mehrere Instanzenzüge. Ich habe in dieser Legislaturperiode die Einschränkung von Rechtsmitteln zum Teil rückgängig gemacht, die aus der Zeit der großen Koalition stammen. Ich fühle mich durch den Fall Mollath bestätigt. Wenn es um das Einsperren von Menschen geht, dem tiefsten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, müssen wir ein engmaschiges Netz von Überprüfungen haben.

Sie weichen aus: Wie beurteilen Sie die Arbeit des Landgerichts Regensburg?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Arbeit des Landgerichtes bewerte ich nicht. Ich sage: Es ist gut, dass es den Instanzenweg gibt, der die Sichtweise und die Bewertung eines anderen Gerichtes bringt. Es ist gut, dass wir einen Rechtsstaat haben, der diese Möglichkeiten vorsieht.

Wie urteilen Sie über die Arbeit der bayerischen Justizministerin Beate Merk?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich verteile keine Noten zu Landesministern. Ich sage nur: Es ist gut, dass es eine klare Positionierung der Justizministerin im fortgeschrittenen Stadium gegeben hat.

Sie haben als Konsequenz aus dem Fall Mollath Eckpunkte für eine Reform des Unterbringungsrechts vorgelegt, mit frühzeitigen und deutlich häufigeren Überprüfungen und Kontrollgutachten. Wird sie Teil eines möglichen Koalitionsvertrages?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja natürlich. Das muss in der nächsten Legislaturperiode erfolgen. Es gehört möglichst zügig in einen Koalitionsvertrag. Im Grundanliegen gibt es keine strittigen Aspekte. Konsens besteht auch mit den Oppositionsfraktionen. Es geht nur noch um Details.

Gibt es überhaupt genügend qualifizierte Gutachter, um die geplanten zusätzliche Expertisen in Auftrag zu geben?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir brauchen mehr Gutachter für Gefährlichkeitsprognosen, das hat bereits die Neuregelung der Sicherungsverwahrung mit sich gebracht. Natürlich ist das mit Kosten verwunden. Aber das muss im Rechtsstaat bewältigt werden.

In ihren Eckpunkten für ein neues Unterbringungsrecht äußern Sie sich nicht dazu, ob die umstrittenen Gutachten rein nach Aktenlage weiter möglich sein sollen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Darüber werden wir verhandeln. Ich meine, dass die Entscheidung, einen Menschen einzusperren, nur gefällt werden kann, wenn der Gutachter selbst mit dem Patienten gesprochen und sich einen persönlichen Eindruck verschafft hat.

Löst eine Reform des Unterbringungsrechts den Grundkonflikt? Auf der einen Seite soll niemand leichtfertig in die Psychiatrie eingewiesen werden, auf der anderen Seite gibt es die Tendenz, vorsichtshalber auf Nummer Sicher zu gehen, wenn der Verdacht auf eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht.

Leutheusser-Schnarrenberger: Das Problem ist, dass Prognoseentscheidungen über die Gefährlichkeit von Menschen zu treffen sind. Natürlich ist das schwierig. Der Gesetzgeber kann dafür nur den Rahmen aufstellen. Die absolute Sicherheit gibt es nicht. Wir müssen Sicherheitsbedürfnisse und Freiheitsrechte sorgfältig austarieren.

Das gilt auch beim Thema Geheimdienste. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat die NSA-Affäre für beendet erklärt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe die Grundhaltung: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. In der NSA-Affäre geht es um eine stärkere Kontrolle der Geheimdienste und um mehr Transparenz. Herr Pofalla hat durch seine Aussagen im Parlamentarischen Kontrollgremium viele Fragen ausgeräumt. Aber wir sind natürlich noch nicht am Ende der Debatte. Wir sind mitten drin.

Ist das angestrebte Anti-Spionage-Abkommen mit den USA nicht ein Beleg dafür, dass die Amerikaner uns ausspionieren?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das Abkommen ist der Beleg dafür, dass es notwendig ist, einige Dinge einmal klar festzuhalten, selbst wenn sie eigentlich selbstverständlich wären, etwa, dass Freunde sich nicht ausspionieren sollen. Aber es geht auch auf nationaler und europäischer Ebene darum, klarere Regeln aufzustellen. In Deutschland muss das Parlamentarische Kontrollgremium gestärkt werden und in der EU müssen wir den Druck erhöhen, das gemeinsame Datenschutzabkommen noch vor Ende der Legislaturperiode im Mai zu verabschieden.

Ist der Datenschutz im Innenministerium richtig angesiedelt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich hielte es besser, wenn er in den Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums fiele. Das würde dem Thema eine andere Ausrichtung geben.

Wie meinen Sie das?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Politik sollte keine Datenberge anhäufen, wo sie nicht nötig sind. Das gilt bei der Vorratsdatenspeicherung, die wir ablehnen, ebenso wie bei der Maut, die wenn dann nicht mit elektronischen Mautstellen geregelt werden sollte, sondern mit einer Vignette.

Zusammengefasst sagen Sie: Die FDP wird gebraucht als Korrektiv und als Verfechterin der Bürgerrechte. Wie viel Prozent holt sie damit?

Leutheusser-Schnarrenberger: Auf Bundesebene acht oder etwas mehr. In Bayern gehe ich davon aus, dass mindestens sechs Prozent möglich sind, vielleicht aber auch mehr. Bislang sind 80 Prozent der potenziellen FDP Wähler unentschlossen. Auf die wollen wir uns in den kommenden Wochen konzentrieren.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)

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