Anwalt kritisiert „Hatespeech“-Gesetz: „Massenvernichtung freier Rede“
Archivmeldung vom 24.05.2017
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Freigeschaltet durch André OttDas Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) strotzt nur so vor Verstößen gegen das Grundgesetz und der Justizminister versucht, kritische Blicke davon abzuwenden. So sieht das Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der eine Alternative zum Gesetz entworfen hat.
Die deutsche Ausgabe des russischen online Magazins "Sputnik" meldet weiter: "Im Bundestag wurde letzten Freitag das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des Justizministers Heiko Maas diskutiert. Gegenwind kam vor allem aus den Reihen der Grünen und der Linken, aber in einem Punkt waren sich alle sicher — dass das Gesetz so nicht stehen bleiben kann. Das Gesetz wird nun in die Ausschüsse zurückverwiesen und dort geändert. Aber was sind seine Mängel?
Rechtsanwalt Joachims Steinhöfel beschäftigt sich schon lange mit Urteilen und Fehlurteilen im Bereich soziale Netzwerke, erklärt im Sputnik-Interview die Mängel des Gesetzes – und bietet eine Lösung an.
„Das Gesetz weist eine solche Vielzahl an Mängeln auf, dass ich jetzt ungefähr eine Viertelstunde deklamieren müsste“, hebt der Rechtsanwalt an. Die Mängel des Gesetzes sind für Steinhöfel:
• Verstoß gegen Artikel 3, den Gleichheitsgrundsatz: Hier würden soziale Netzwerke gegenüber klassischen Medien wie Zeitung und Fernsehen diskriminiert, indem ihnen Aufgaben aufgezwungen werden, die den anderen nicht auferlegt werden.
• Verstoß gegen Artikel 5, Meinungsfreiheit: Den sozialen Netzwerken wird nach Steinhöfel ein „Zensurinstrumentarium“ aufgezwungen, das sie dazu führen kann, dass diese viele Inhalte nur löschen, um keine Bußgelder auferlegt zu bekommen.
• Verstoß gegen Artikel 12, Berufsausführungsfreiheit: Das Gesetz greift in interne Abläufe von Unternehmen ein, die eigentlich das dortige Management zu regeln hätte und schreibt vor, wie das Unternehmen zu handeln habe.
Den Eindruck, Unternehmen könnten durch sein Gesetz in Löschzwang geraten, versuchte Heiko Maas allerdings im Bundestag aus der Welt zu schaffen. Er argumentierte, dass Bußgelder nur dann drohen würden, wenn „ein systematisches Versagen“ eines Unternehmens vorläge. Aber wie erkennt man so ein systematisches Versagen?
„Der Justizminister versucht, die Öffentlichkeit zu täuschen“, kommentiert Steinhöfel die Argumentation von Maas, in der er einen Zirkel erkennt: Zwar knüpfe das Gesetz nicht unmittelbar die Millionenstrafen an eine nicht erfolgte Löschung an. Es knüpfe die Bußgelder aber an, wenn kein wirksames System zur Löschung strafbarer Inhalte geschaffen werde. „Aber ein System, das nicht alles oder das meiste Strafbare löscht, ist nicht wirksam“, erklärt der Anwalt. „Mit anderen Worten: Entweder sie löschen oder die Geldbuße ist wirksam und fällt an.“
Überhaupt sollte der Staat laut Steinhöfel nicht in die Justiz eingreifen, sondern sie ausbauen, damit sie den Aufgaben besser gewachsen ist. „Es ist nicht die Aufgabe und kann nicht die Aufgabe in einem Staat sein, dessen konstituierendes Element die Gewaltenteilung ist, dass das massenhafte Entscheiden, die Massenvernichtung freier Rede durch zig Millionen hohe Bußgelddrohungen an ein privates Unternehmen ‚outgesorcet‘ wird, das dann irgendwelche ungeschulten Zeitarbeitskräfte mit dem Finger auf Dauerdruck bei Löschen setzen“, betont er.
Eine weitere große Schwäche des Gesetzes ist, dass es mit Bußstrafen bei unterlassener Löschung droht, aber für Fälle ungerechtfertigter Löschung keine Strafen vorsieht: „Was völlig fehlt, ist die Berücksichtigung derer, die betroffen sind, wenn ihre Postings, Kommentare zu Unrecht gelöscht werden“, sagt Steinhöfel. Denn solche Löschungen sind immerhin ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. „Eine solche Regel müsste in das Gesetz ebenfalls hinein, das hat Herr Maas übersehen“, schließt der Rechtsanwalt.
Aber Steinhöfel bleibt nicht bei Kritik stehen, sondern er hat einen eigenen Gegenentwurf geschaffen, den er „Meinungsfreiheitsgesetz“ (MfG) nennt und von dem er selbst sagt: „Wenn der Bundestag den verabschieden würde, hätten wir das Problem in Windeseile gelöst.“
Im Gesetz selbst ist keine Rede von Verpflichtungen, die soziale Plattformen hätten, die nicht gerade gegen geltendes Recht verstoßen. Einziger Schnittpunkt zwischen beiden Gesetzen ist, dass soziale Netzwerke einen Zustellbevollmächtigten im jeweiligen Land benennen müssen. Den Schwerpunkt legt das MfG aber auf die andere Verpflichtung von sozialen Netzwerken: die Unterlassung von Löschungen von Nutzerinhalten, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.
Und was passiert, wenn bei einem Post Uneinigkeit herrscht? Das, was schon immer passierte, meint Steinhöfel: „Am Ende müssen diese Entscheidungen im Streitfalle durch Gerichte getroffen werden, und es darf nicht schon vorher eine gravierende Geldstrafe drohen, wenn man nicht auf Nummer sicher geht und löscht.“
Quelle: Sputnik (Deutschland)